Vermarktungs-Experte:"Elf Ich-AGs gegen elf Ich-AGs"

Bayern tourt durch China, Schweinsteiger spielt mit Manchester in den USA. Ein Gespräch über Vermarktung.

Interview von Anna Dreher

Prof. Dr. André Bühler, Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing, über Ich-AGs im Fußball, Bastian Schweinsteiger, Arturo Vidal und den Vorsprung der Premier League auf dem weltweiten Markt.

SZ: Warum war der Hype um den Wechsel von Bastian Schweinsteiger vom FC Bayern München zu Manchester United so groß?

Prof. Dr. André Bühler: Fußball kann immer eine unglaubliche öffentliche Wirkung entfalten. Außerdem haben wir in diesem Fall den amtierenden Weltmeister, den Helden von Rio, der den deutschen Weltmeistertitel erst ermöglicht hat und dann auch noch 17 Jahre beim gleichen Verein war - da sind so viele Geschichten drin. Davon lebt Marketing, und wenn man das dann nutzt, gibt es eben diesen Hype.

Spieler werden selbst immer mehr zu Marken. Ist der Wechsel von Schweinsteiger zu Manchester United ein Versuch, sich auch weltweit noch mehr als solche zu etablieren?

Ja, die englische Premier League ist einfach noch mal eine Nummer größer als die Bundesliga. In der Champions League spielen die englischen Klubs zwar eher eine untergeordnete Rolle, aber sportlich und was die globale Außenwirkung betrifft, steht England mit seinen ganzen Weltstars sehr gut da.

Nun ist der FC Bayern ja aber nicht gerade ein kleiner Verein.

Wir reden hier zwar vom großen FC Bayern München, aber Schweinsteiger ist zu einem Klub gegangen, der noch größer ist. Manchester United hat weltweit laut eigenen Angaben ungefähr 695 Millionen Fans. Nur zwei Prozent davon haben jemals ein Spiel von Manchester United live im Stadion gesehen - aber die restlichen 98 Prozent kaufen Trikots oder Web-TV-Angebote und bringen sehr viel Geld und globale Aufmerksamkeit, die für Sponsoren wichtig ist.

Dass die Premier League international eine größere Rolle spielt, liegt doch aber nicht nur an den Akteuren.

Nein, das liegt an einer ganz eindeutigen Strategie. Die Premier League hat schon vor Jahren mit ihrer Vermarktung im Ausland begonnen. Das waren die Ersten, die regelmäßige Werbe-Touren in der Sommerpause gemacht haben, die einen Premier-League-Cup in Asien etabliert haben, die ihre Trainingslager dort abhalten. Natürlich hat die Liga allein durch die Sprache schon einen unglaublichen Vorteil. Manchester United kann auch ein Asiate aussprechen. Bei FC Bayern München wird es schon schwieriger.

Sprachlich könnte zumindest die Primera División mit der Premier League mithalten.

Die spanische Liga agiert wenig systematisch. Das sind eher die Clubs, also Real Madrid oder der FC Barcelona, die sich dort selbst vermarkten und dementsprechend dann auch ins Ausland gehen, um dort eine globale Bekanntheit zu bekommen. Auch in Italien geht die Motivation eher vom AC Mailand, Inter Mailand oder Juventus Turin selbst aus.

Manchester United ist zurzeit auf Testspiel- und Werbetour in den USA, der FC Bayern ist nach China geflogen. Was sagt die Wahl der Reiseroute über die Marktpositionierung und Zukunftsausrichtung der Vereine und der Ligen aus?

Das ist eine klassische Internationalisierungsstrategie mit der Frage: welche Zielmärkte sind attraktiv? Im Fall des FC Bayern hat man sich vergangenes Jahr für die USA entschieden und ein Büro in New York eröffnet. Aber es gab auch die Erkenntnis: Asien ist ganz gut - da gibt es unglaublich viele Fußballfans und von diesem riesen Kuchen möchte man ein Stück abhaben. Große Fußballvereine müssen zwar global agieren, aber regional präsent sein. Heißt: man muss vor Ort sein, um dort für die Marke zu werben, um dort Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das wiederum heißt, man muss dort Trainingslager abhalten und Testspiele machen.

Und Manchester United macht es genau umgekehrt?

Die sind schon vor 15 Jahren nach Asien gegangen. Mit David Beckham hatten sie damals einen absoluten Star, der in Asien vergöttert wurde und so haben sie sich dort einen ganz guten Marktanteil gesichert. Ich bin gespannt, ob Bayern München das aufbringen kann.

Was glauben Sie?

Zumindest kurzfristig nicht. Bei Bayern München müssen zwei Dinge passieren: Zum Einen müssen sie natürlich präsent sein. Und zum Anderen in der Champions League noch erfolgreicher sein, also Titelgewinn, Titelgewinn, Titelgewinn. Das wird auf den anderen Märkten wahrgenommen.

Hat also jede Liga ihren Star-Verein?

In England sind noch Chelsea, Liverpool oder Manchester City gut vertreten. Die haben alle tolle, teilweise aber auch traurige Geschichten zu erzählen. Aber Southampton und Stoke City zum Beispiel will in Asien keiner sehen. Also es gibt schon bestimmte Zugpferde, um in verschiedenen Märkten Fuß zu fassen und Aufmerksamkeit für die Liga zu generieren. Und in der Bundesliga hat zum Beispiel der VfB Trainingslager in Südafrika absolviert - auch hier gibt es also mehrere Beispiele für die Internationalisierung.

Warum ist das von so großer Bedeutung?

Weil da die Kohle steckt. Der deutsche Markt ist gesättigt. Man erhofft sich zwar immer mehr Fernseheinnahmen, aber hier in Deutschland haben wir eben das "Problem", dass es nur einen Pay-TV-Sender gibt. Also muss man, um noch mehr Geld zu generieren, andere Märkte erschließen.

Denkt der FC Bayern beim Wechsel des Chilenen Arturo Vidal dann schon an den südamerikanischen Markt?

Wenn Bayern Vidal verpflichtet, dann haben sie auch den südamerikanischen Markt im Blick. Aber ich bin der festen Überzeugung, obwohl ich ein Marketing-Mensch bin, dass der sportliche Wert an erster Stelle steht. Wenn man beides mitnehmen kann, ist es ganz nett. Wir haben ja auch viele Beispiele von asiatischen Spielern, die jetzt in der Bundesliga sind. Bei diesen Wechseln ging es natürlich auch darum, mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. Als Grundlage für die Vermarktung braucht es sportlichen Erfolg. Aber man braucht auch Namen.

Das klingt alles wie eine große Inszenierung. Ist es das letztendlich?

Fußball, so wie wir ihn heute kennen, ist ein Teil der Unterhaltungsindustrie. Wenn ich mir ein Fußballspiel, besonders in der Champions League, anschaue, dann sehe ich da elf Ich-AGs gegen elf Ich-AGs spielen. Da ist eine ganze Industrie dahinter: Berater, PR-Manager, Social-Media-Leute. Das klingt sehr desillusionierend, aber so ist die Realität.

Wie hat sich das in den vergangenen Jahren gewandelt?

Sportler waren ja schon immer sehr exponiert in der Öffentlichkeit, aber das hat inzwischen ein Ausmaß angenommen, das meinem Erachten nach nicht mehr gesund ist. Stellen Sie sich vor, Sie spielen Fußball und 80000 Menschen pfeifen sie aus, weil Sie einen Fehler gemacht haben. Das ist schon hart.

Aber diese 80000 Menschen können mir auch zujubeln, wenn ich ein Tor geschossen habe.

Klar. Aber das ist ein ganz schmaler Grat zwischen erfolgreicher Star und Depp der Nation und eine absolute Überhöhung. Ich schaue mir das alles seit über zehn Jahren sehr intensiv an. Teilweise bin ich desillusioniert, aber auf der anderen Seite freue ich mich wie ein kleines Kind, wenn ich zum Beispiel im Maracanã-Stadion sitze und Deutschland Weltmeister wird. Das ist der Zauber des Sports und des Fußballs: Richtige Emotionen in einer Scheinwelt.

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