Vermarktung:Blauer Dunst ist keine Hürde

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Der chinesische Hürdenläufer Liu hat sich nach seinem Sieg in Athen zu einem Medienstar entwickelt. Jetzt wirbt der Spitzensportler für eine Zigarettenmarke.

Von Michael Gernandt

Franziska van Almsick, Jan Ullrich oder Martina Ertl sind Stars des Sports in Deutschland, Vorbilder für die Jugend und Werbepartner der Wirtschaft. Getreu der Devise "guter Name gegen gutes Geld" posieren sie für Automobile, Kommunikations-Equipment oder Brotaufstrich.

Sieht so ein Raucher aus? Der Athener Hürden-Olympiasieger Liu Xiang wirbt jetzt für Zigaretten. (Foto: Foto: Reuters)

Bei Promotion für Alkohol- oder Tabakprodukte heißt es indes: Finger weg. Derlei wäre hierzulande ein Tabubruch sondergleichen und groß das öffentliche Gezeter. Bis jetzt hatte der Ehrenkodex der Sportlervermarktung auch international Gültigkeit.

Dass er nun ausgerechnet in China, Jahrzehnte lang der Akzeptanz kapitalistischer Errungenschaften unverdächtig, verletzt wurde, ist so aberwitzig wie aufschlussreich. Die Baisha Group, Marktführer der chinesischen Zigarettenindustrie, hat den 21-jährigen Athener Hürden-Olympiasieger, Liu Xiang, als Botschafter des Tabakkonsums verpflichtet.

Dazu muss man wissen: Im fernöstlichen Riesenreich gibt es zur Zeit kaum einen populäreren Menschen als den Hürdensprinter aus Shanghai. Die Asien-Ausgabe des US-Magazins Time nahm den Sportler jüngst in ihre Liste der 20 bekanntesten Asiaten dieses Jahres auf.

Im Pekinger Chang'an-Theater steht ein Stück auf dem Programm mit der Figur des Liu Xiang im Mittelpunkt. Der bei den Spielen mit Weltrekord (12,91 Sek.) über 110 m Hürden auftrumpfende und für chinesische Verhältnisse im Ausland ungewöhnlich locker auftretende Sensationssieger avancierte im Nu zur Kultfigur der Jugendlichen Chinas.

Vor allem sie wird die Firma Baisha im Auge gehabt haben, als Liu unter Vertrag genommen wurde: Zwei Drittel aller männlichen Chinesen unter 25 rauchen.

Wie hoch die Werbeeinnahmen des jungen Studenten sind, ist nicht bekannt. Chinas Zeitungen vermuten, dass sie ein Vielfaches ausmachen von dem, was Liu an offiziellen Siegprämien und Zuwendungen von Staats- und Regionsregierung erhielt, umgerechnet rund 400000 US-Dollar.

Die Einkünfte des geschmeidigen Hürdenflitzers wären noch höher, hätte die kurze Hürdenstrecke in diesem Jahr auf der Grandprix-Agenda gestanden. Liu ließ sich deshalb nur bei einem Meeting (Rom) der Super-League-Serie blicken.

Die Kommerzialisierung des Sports, seiner Veranstaltungen (Formel 1 in Shanghai) und Sportstätten (13 Millionen Dollar vom Hongkong-Milliardär Li Ka-shing für die olympische Schwimm-Arena), die Umarmung mit Sponsoren nach Art des Westens, scheint denn auch eine entscheidende Maßnahme zu sein für das große Ziel: Weltniveau auf allen Gebieten bei den Spielen 2008 in Peking.

"Früher", sagt Professor Sun Baoli von der Sport-Universität in Peking, "war der Sport nur eine Funktion der Staatsmacht. Erst die Kommerzialisierung hat ihn näher an die Menschen heran gebracht und an den internationalen Standard."

Vor vier Jahren in Sydney, ein Jahr bevor das IOC ihnen die Spiele 2008 übertrug, traten vorwiegend auf Sportarten wie Tischtennis, Turnen, Wasserspringen und Gewichtheben konzentrierte Chinesen nur in der Hälfte der Wettbewerbe an, in Athen tauchten sie bereits in 26 von 28 auf.

In Peking 2008 wird es wohl keinen Wettkampf ohne Starter aus dem Gastgeberland geben. 1984 in Los Angeles, als China nach 26-jähriger Abwesenheit erstmals wieder bei Olympia mitmischte, wurde 15 Mal Gold in sechs Wettbewerben gewonnen, 2004 war es 32 mal Gold in 14 Wettbewerben.

Mit 63 Medaillen rangierte China, das deutsche Sportfunktionäre hinter sich zu lassen planten, im Athener Medaillenspiegel auf Platz zwei hinter den USA. Amerikanische Prognosen gehen davon aus, dass das US-Olympiateam 2004 letztmals Nummer eins war.

Die New York Times wähnt das "chinesische Jahrhundert" angebrochen. Das Land habe sich verändert, nun verändere es die Welt.

Auch die Welt jener Sportart, die bei Olympischen Spielen mit den meisten Medaillen lockt und auch in Peking wieder im Mittelpunkt stehen wird? Die Leichtathletik ist vom heraufziehenden Sturm aus Fernost erstaunlicherweise nur peripher berührt worden, vorwiegend von Ausdauerläuferinnen und Gehsportlern.

Von 1995 bis 2004 gewannen Chinesen bei Olympia und Weltmeisterschaften gerade mal acht Leichtathletik-Medaillen, zuletzt siegte neben Hürden-Ass Liu Xiang noch Xing Huina, 20, ebenfalls überraschend, über 10000 Meter der Frauen. Immerhin steigerte Chinas Leichtathletik in Athen die Zahl ihrer Finalisten gegenüber der WM 2003 von drei auf acht. Und auch der Nachwuchs rückte bei der Junioren-WM 2004 vor.

Der einzige Olympiasieg bis 2004 gelang Wang Junxia über 5000 m 1996 in Atlanta. Wang war Anführerin einer Gruppe von Langstrecklerinnen, die als Ma's Armee bekannt wurde, benannt nach dem umstrittenen Trainer Ma Junren (verabreichte frisches Schildkrötenblut und andere Merkwürdigkeiten), und 1993 durch die Weltrekordliste fegte wie einst der Dschingis Khan durch Asiens Steppen.

Der Spuk währte nur ein Jahr, aber drei erstaunliche Weltrekorde (1500 m, 3000 m, 10000 m) existieren heute noch. Die Ära Ma schadete dem Ansehen von Chinas Leichtathletik und mag ein Grund für den verzögerten internationalen Aufstieg sein.

Sind bis 2008 die Nachteile beseitigt, ist ein chinesischer 100-m-Olympiasieger nicht mehr undenkbar. Baishas Zigarettenbürscherl Liu hat schließlich nachweisen können, dass China fixe Jungs besitzt. Und die Werbeetats der Suchtmittelindustrie sind garantiert gut gepolstert.

© SZ vom 10.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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