1860 verliert nach Führung:In acht Minuten alles verspielt

Der TSV 1860 München hat im Spiel gegen den FC St. Pauli alles richtig gemacht - bis zur 56. Minute. In weniger als zehn Minuten dreht St Pauli wie eine ungezähmte Naturgewalt das Spiel. Denn trotz einer 2:0-Führung haben die Löwen dem Zwischenspurt des Gegners nichts mehr entgegenzusetzen und verlieren 2:4.

Es sollten an dieser Stelle die Worte von St. Paulis Trainer André Schubert vorausgeschickt werden, der nahezu prophetisch vor der Mannschaft des Zweitligisten TSV 1860 München gewarnt hatte. Oder trefflicher gesagt: vor Sechzigs Offensivkräften, die zuvor mit 16 Toren aus sechs Spielen Aufmerksamkeit in der zweiten Liga erregt hatten. Denn Schubert hatte gewarnt, oh ja, und wie er gewarnt hatte: "Sehr aggressiv" müsse man sein, hatte er gefordert, "früh attackieren und keine Räume preisgeben!" Ansonsten "nehmen die uns auseinander", hieß der Wortlaut des Trainers.

FC St. Pauli -TSV 1860 Muenchen

Drehte das Spiel mit seinen beiden Toren: Max Kruse (auf dem Bild rechts).

(Foto: dapd)

Nun wollte es die Geschichte dieser Begegnung, dass Schubert einerseits recht behalten sollte, andererseits aber auch wieder nicht (in welcher Weise, das konnte er nicht ahnen). Denn das 4:2 seiner Mannschaft gegen 1860 war nicht nur die Partie der grenzenlosen Räume schlechthin. Es war auch eines dieser seltenen Fußballspiele, die den Betrachter noch Stunden nach dem Schlusspfiff in feinster Ratlosigkeit zurücklassen - denn Chronologie und Genese dieser Partie lassen sich schwerlich greifen.

Man denke sich eine Zeitleiste, die nach 56 von 90 Minuten entzwei bricht, und sich anschließend nicht wieder logisch zusammenfügen lässt. Bis zum Bruch in Minute 56 hatte Sechzig nahezu alles richtig gemacht, hatte mutig, schnell und aggressiv nach vorne gespielt. Die Offensive um Kevin Volland, Benny Lauth, Stefan Aigner und Daniel Halfar hatte das Spiel über die Flügel dominiert - bis zur 2:0 Führung nach 47 Minuten. Doch danach brach St. Pauli innerhalb von acht Minuten über 1860 herein wie eine ungezähmte Naturgewalt.

Nach dem 2:1 haben wir den Faden verloren", analysierte Sechzigs Trainer Reiner Maurer nach dem Spiel "das 2:2 war dann der Knackpunkt." Am Freitag hatte Maurer noch angekündigt, er wolle die größte Schwäche des Gegners aus Hamburg ausnutzen, nämlich das "mangelhafte Umschalten von Offensive auf Defensive". Was er da angekündigt hatte, klang zunächst nach einer auf Konterfußball ausgelegten Strategie, deren Erfolg auf einer kontrollierten Defensive aufbaut. Doch dann stellte Maurer im zentralen Mittelfeld in Daniel Bierofka die offensivere Variante neben Kai Bülow; der defensiver ausgerichtete Dominik Stahl nahm Platz auf der Bank.

Die erste Chance hatten noch die Hamburger, die zu Beginn druckvoller spielten: Nach 70 Sekunden köpfelte ein im Strafraum vollkommen verwaister Sebastian Schachten die erste Chance über das Tor von Gabor Kiraly. Sechzig brauchte einige Minuten, um sich an das hohe Tempo St. Paulis anzupassen, doch dann erarbeiteten sie sich die Mehrzahl an Chancen in der ersten Halbzeit. In der 21. Minute lupfte Lauth gefühlvoll von halbrechts in die Mitte, Volland verlängerte mit dem Kopf auf die rechte Seite, wo Aigner aus spitzem Winkel das Tor seines ehemaligen Mannschaftskollegen Philipp Tschauner verpasste.

Blitzstart nach der Pause

Die größten Chancen erspielten sich dann Volland (25.), der knapp daneben köpfelte, und Lauth, der nach Steilpass von Volland auf Höhe des Sechzehners aufs lange Eck zielte, der Ball aber konnte von Tschauner noch an den Pfosten gelenkt werden. 1860 griff in dieser Phase so frühzeitig an, dass St. Paulis Verteidiger einige Male den Ball nach Abwurf ihres Torwarts aus der eigenen Hälfte klären musste - und dann brach die 44. Minute an: Volland, dynamisch wie immer, führte den Ball von links in den Strafraum und konnte von Markus Thorandt nur regelwidrig gestoppt werden. Den Strafstoß verwandelte Lauth zur 1:0-Halbzeitführung.

Dann, kurz nach Wiederanpfiff, war die Partie zugunsten der Löwen vorentschieden. Halfar startete einen Konter auf links, steckte den Ball zu Volland in den Strafraum durch, dessen Schuss aus zehn Meter prallte ab von Torwart Tschauner - und traf Kevin Schindler am Oberschenkel, ehe er im Tor versank: 2:0 (47.).

Was dann geschah, gehört in das Kabinett der kuriosen Fußballbegebenheiten: Erst traf Marius Ebbers mit einem feinen Drehschuss zum Anschlusstreffer (56.), dann glich Sebastian Schachten aus zum 2:2 (57.). Später führte Max Kruse die Entscheidung für Pauli herbei. Zuerst traf er zur Hamburger Führung (64.), dann gelang ihm ein seltenes Glanzstück: In der eigenen Hälfte setzte er zu einem Spurt an, er lief immer weiter, zog diagonal über den Platz, unbedrängt von der versammelten Defensive Sechzigs (fünf Spieler!), ehe er vom Sechzehner zum 4:2 einschoss (74.). Maurer brachte Collin Benjamin für Halfar, Manuel Schäffler vergab aus kurzer Distanz die Chance zum Anschlusstreffer (80.).

Pauli-Trainer Schubert sollte doch noch Recht behalten: Sechzig verlor gegen das aggressivste, das entfesseltste St. Pauli seit langer, langer Zeit.

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