Verletzungstrend im Fußball:Gefahrenzone Gesicht

Sie sind die gefährlichste Nebenwirkung der progressiven Fußballentwicklung. Je mehr das Spiel beschleunigt, desto intensiver und unkontrollierbarer wird es. Verletzungen im Gesicht nehmen zu, auch in dieser Woche traf es prominente Bundesliga-Profis. Erste Feldspieler schützen ihren Kopf bereits mit einem Helm.

Philipp Selldorf

Oliver Kahn trägt jetzt Mantel und Krawatte und erscheint zu seinem Dienst als Experte mit einem bedeutungsvollen Aktenkoffer. Selbstverständlich enthält der Koffer auch das Große Handbuch für Fernsehexperten, in dem sämtliche Standardweisheiten für Fußballgelehrte geschrieben stehen. So fiel es Kahn nicht schwer, die Niederlage der Nationalelf gegen Frankreich zu erklären. Schuld waren, natürlich, die fehlenden "paar Prozente" Konzentration und Einsatzwille der in Meisterschaft und Europapokal beanspruchten deutschen Spitzenspieler.

Diese klassische Experten-Meinung hat durchaus ihre Berechtigung. Andererseits fiel auf, dass während der eher nachrangigen Partie die Teamärzte im Dauereinsatz über den Platz rasten und so viel Eisspray zur Schmerzlinderung versprühten, dass es im Stadion frostig wurde. André Schürrle nützte auch kein Spray mehr. Der Flügelstürmer hatte in einem Allerweltszweikampf einen Schlag abbekommen und sofort Böses geahnt: Er hatte "so ein Knirschen" gehört. Der DFB-Medizinmann Müller-Wohlfahrt klärte ihn auf: Abscherung des Nasenknorpels vom Nasenknochen.

Darüber steht noch nichts in Kahns Handbuch für Fußballgelehrte. Aber zum Thema Gesichtsverletzungen muss ohnehin ein Kapitel hinzugefügt werden. Sie sind die gefährlichste Nebenwirkung der progressiven Fußballentwicklung. Je mehr das Spiel beschleunigt, desto intensiver und unkontrollierbarer wird es, sowohl am Boden wie in der Luft. Die Medizintechnik weiß bereits Antwort. So hat man sich schon an den Anblick der Maskenträger auf deutschen Fußballplätzen gewöhnt.

Seit vier Wochen maskiert

Auch Schürrle wird am Samstag gegen die Bayern dank einer Schutzmaske spielen können. Gebrauchsanweisungen kann er beim Kollegen Michael Ballack einholen, der sich im Herbst wegen eines Nasenbeinbruchs ebenfalls hatte maskieren müssen. Der Schalker Klaas-Jan Huntelaar, der sich beim Länderspiel in London am Kopf verletzte, kann gleich wieder das für ihn gefertigte Modell hervorholen, das er während der Vorrunde trug (Nasenbeinbruch). Teamkollege Benedikt Höwedes ist seit mehr als vier Wochen vermummt - Kollision mit dem eigenen Mitspieler. In Dortmund kuriert derweil Sven Bender den nächsten Kopfschmerz nach seiner im Herbst erlittenen schweren Kieferverletzung aus, und Leverkusens Torwart Fabian Giefer hat nach dem Kontakt mit einem Mainzer Knie immer noch eine Gedächtnislücke. Die Liste der Fallbeispiele ist lang.

Es war richtig, die Schiedsrichter anzuweisen, gegen den unfairen Einsatz von Ellbogen, Armen und Händen in den Zweikämpfen hart durchzugreifen. Aber gegen Unfälle sind sie machtlos, und die Unfälle häufen sich. Inter Mailands Verteidiger Christian Chivu geht seit einer im Spiel erlittenen Schädelfraktur nur noch im Helm zum Dienst. Womöglich wird er zum Trendsetter.

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