Verletzungen in der Bundesliga:Verletzt, verheizt, verloren

Borussia Dortmund v FC Porto - UEFA Europa League Round of 32: First Leg

Oft verletzt: BVB-Spieler Marco Reus

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Die Zahl der Verletzungen in der Bundesliga steigt und die Spieler kommen immer schneller auf den Platz zurück.
  • Muskelverletzungen sind die häufigste Verletzungsart, dabei sind sie eigentlich am einfachsten zu verhindern.
  • Eine Datenanalyse über die vergangenen acht Jahre.

Von Marie Kilg (Daten) und Lisa Sonnabend

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Es lief die 67. Minute des 28. Bundesliga-Spieltages, als BVB-Torhüter Roman Bürki die Hand ausstreckte und Robert Lewandowski stolperte. Der Bayern-Stürmer fiel hin und landete auf seiner Schulter, es tat weh. Jene Partie im April gegen Dortmund gewannen die Münchner zwar deutlich, doch die Folgen waren schmerzhaft: Lewandowski verpasste das Hinspiel im Champions-League-Viertelfinale gegen Real Madrid, zum Rückspiel trat er an, allerdings noch immer gehandicapt. Bayern schied aus. Für den FC Bayern war es wohl die folgenschwerste Verletzung der vergangenen Saison - aber auch nur eine von vielen in der höchsten deutschen Liga.

Es verletzen sich immer mehr Bundesligaprofis und wenn sie sich verletzen, dann kommen sie schneller auf den Platz zurück. Manche Spieler fallen häufiger aus als andere (die Bender-Zwillinge zum Beispiel) und in der Rückschau beeinflussen einzelne Verletzungsserien Klub-Bilanzen und Trainerkarrieren.

Die Daten zu den Verletzungen

Der Journalist Fabian Siegel sammelt für seine Webseite fussballverletzungen.com Meldungen von Verletzungen in der Bundesliga. Seit 2009 stellt er aus Mitteilungen der Vereine und Informationen in den Medien seine Datenbank zusammen, die SZ.de zu Saisonbeginn 2017/2018 untersucht hat und die ein aufschlussreiches Bild vom Krankenstand der Profis gibt. Mehr als zehntausend Verletzungen sind dort gelistet - auch wenn die Daten natürlich nicht ganz genau sein können, weil manche Informationen über Krankheiten vertraulich behandelt werden.

  • Die Zahl der Verletzungen steigt

Mehr als 1500 Mal mussten Bundesliga-Profis in der Saison 2016/2017 gezwungenermaßen pausieren, wie aus den Daten von Fabian Siegel hervorgeht. Die hohe Anzahl zeigt, wie verletzungsanfällig Fußballer sind. "Fußball ist ein Kontaktsport", erklärt der Sportmediziner Lars Lienhard und da passieren oft Unfälle im Zweikampf. Hinzu kommen zahlreiche Verletzungen, die ohne Fremdeinwirkung geschehen. Das sind meist Muskelverletzungen - und die sind oft eine Folge von Überanstrengung. "Die Belastung insbesondere für die Spieler der Topklubs, die auch Nationalmannschaft und Champions League spielen, ist absolut grenzwertig", sagt Lienhard. Auch die Intensität während der Partien hat in den vergangenen Jahren zugenommen: Frühes Gegenpressing oder schnelles Umschaltspiel machen die Muskeln müde. Das belegen auch die Daten: Während es heute zu 31 758 Zweikämpfen kommt, gab es 2012/2013 laut des Statistikdienstes Opta ein Drittel weniger. Vor fünf Jahren wurden in der Bundesliga 82 261 Pässe pro Saison gespielt, nun sind es 90 269. Die Folge: Die Zahl der Verletzungen hat im Laufe der Jahre zugenommen. In der Saison 2009/2010 sind knapp 1200 Ausfälle aufgelistet, inzwischen sind es 20 Prozent mehr.

Die hohe Belastung ist auch der Grund, warum sich Spieler häufiger in der zweiten Halbzeit verletzen als zu Beginn einer Partie. Auch zum Saisonende im April und Mai, wenn die Fußballer bereits erschöpft sind, fallen Spieler häufiger aus als im Herbst und Winter, dies belegen die Daten von Siegel. Dezember und Januar sind die einzigen Monate, in denen Spieler häufiger wegen einer Erkältung oder einer Viruserkrankungen fehlen als wegen Muskelproblemen.

  • Spieler kehren immer schneller auf den Platz zurück

Desweiteren zeigt sich, dass die Ausfallzeiten in der Bundesliga im Laufe der Jahre immer kürzer werden. Nur durchschnittlich 13 Tage nach einer Blessur kehrt ein Fußballer heute in den Spielbetrieb zurück. In der Saison 2009/2010 brauchten die Sportler doppelt so lange, um sich auszukurieren. Zwar ist jede Verletzung individuell, doch die Daten bestätigen einen Trend: Die Spieler sollen möglichst schnell auf den Platz zurückkommen, die Trainer üben mitunter sogar Druck auf sie aus. Der ehemalige Bayern-Coach Pep Guardiola sagte 2015 über die Versehrten in seinem Team: "Wenn sie acht Wochen verletzt sind, sollen sie am liebsten schon nach sieben Wochen wieder bereit sein."

Sportmediziner warnen davor, Fußballer zu früh wieder spielen zu lassen. Auch wenn die Verletzung bereits verheilt ist und die Ausdauerwerte eines Spielers gut sind, sei die Gefahr, dass es zu Folgeverletzungen kommt, hoch, erklärt Lienhard. "Vor allem wenn nach langer Verletzung das Bewegungsprogramm im Gehirn noch defizitär ist." In der Reha-Phase müsste viel mehr Wert darauf gelegt werden, neben dem Schaden am Gewebe die fehlerhaften neuronalen Strukturen, die hinter dem Symptom liegen, aufzuarbeiten und zu korrigieren, fordert Lienhard. Doch das braucht Zeit, die die Bundesliga ihren Spielern oft nicht gibt.

  • Die häufigsten Verletzungen

Muskelverletzungen - so nimmt man an - lassen sich durch Prävention und Trainingssteuerung eigentlich am leichtesten vermeiden. Trotzdem sind sie die häufigste Verletzungsart in der Bundesliga. Mehr als 1000 Mal mussten Spieler deswegen pausieren - es ist der mit Abstand häufigste Ausfallgrund. Je rund 400 Mal setzten Fußballer wegen Knie- und Oberschenkelproblemen aus, 377 Mal wegen Rückenbeschwerden und 353 Mal, weil sie sich erkältet hatten.

Das Körperteil, das bei Fußballern am anfälligsten ist, ist der Fuß. Ein Viertel aller Verletzungen betraf diese Körperregion. Ein weiteres Viertel der Blessuren passierte an Oberschenkel, Wade oder Unterschenkel. Das Knie war in 20 Prozent aller Fälle betroffen. Der Rücken in 7,6 Prozent, der Kopf in 4,7 Prozent. Schulter und Arme in nur 2,6 Prozent - Lewandowski zog sich an jenem für Bayern fatalen Apriltag also eine eher ungewöhnliche Fußballerverletzung zu. In den Daten nicht enthalten sind Ausfälle wegen psychischer Beschwerden. Obwohl die Spielergewerkschaft VDV erst im Mai dieses Jahres eine Zunahme von psychischen Problemen im Profi-Fußball feststellte und den Klubs fehlende Sensibilität vorwarf, werden solche Beschwerden fast nie als offizieller Ausfallgrund angegeben.

  • Welche Verletzungen wie schnell heilen

Marco Reus vom BVB kann derzeit nicht Fußball spielen, er ist seit Mai mal wieder verletzt. Im Pokalfinale zog er sich einen Teilriss im hinteren Kreuzband zu - und das bedeutet: eine lange Pause. Durchschnittlich 243 Tagen dauert es, bis Bundesliga-Fußballer nach einer derartigen Verletzung wieder ihrem Beruf nachgehen können. Reus ist noch immer nicht auf den Platz zurückgekehrt. Der 28-jährige Offensivspieler hatte in seiner Karriere schon zahlreiche typische Fußballerverletzungen, die ihn lahmlegten - und so wird er die zu erwartenden Ausfallzeiten inzwischen kennen.

Bei einem Muskelbündelriss mussten beispielsweise Bundesligaspieler in den vergangenen Jahren durchschnittlich 65 Tage pausieren, bei einem Muskelfaserriss waren sie nach 25 Tagen wieder fit, bei Adduktorenbeschwerden nach elf Tagen und bei einer Gehirnerschütterung schon nach einer Woche.

  • Die ungewöhnlichsten Verletzungen in der Bundesliga

Manche Spieler fehlen jedoch nicht, weil sie sich am Oberschenkel verletzen oder einen Syndesmosebandriss haben - es gab in den vergangenen Jahren auch kuriose Ausfälle. So musste Jannik Vestergaard 2015 wegen eines eingewachsenen Zehennagels pausieren und Andrey Voronin fiel bei Fortuna Düsseldorf nicht nur mit der Stinkefinger-Affäre auf, sondern auch weil er wegen eines Hühnerauges ein paar Tage nicht trainieren konnte. Zdravko Kuzmanović wiederum kehrte 2011 von einer Reise mit dem serbischen Nationalteam nach Stuttgart zurück und "schlief auf dem Platz fast ein", wie Bruno Labbadia bekrittelte. Der Trainer schrieb den Übermüdeten für fünf Tage krank. Der Grund: Jetlag.

Auch die Diagnose H1N1 wurde in der Bundesliga bereits gestellt, das bedeutet: Schweinegrippe. 2011 wurden fünf Spieler der 1. FC Köln deswegen krankgeschrieben, auch Co-Trainer Thomas Häßler erwischte es. Das Trainerteam warnte davor, in Panik zu verfallen, und bot Grippeimpfungen für die ganze Mannschaft an. Drei Wochen später waren alle Spieler wieder fit.

Noch schlimmer erwischte es den ehemaligen Wolfsburger Torwart André Lenz. Er wurde bei der Saisonabschlussfeier 2010 vor einer Diskothek niedergestochen und musste notoperiert werden. Der Täter, ein ehemaliger Türsteher, wurde später wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Lenz kehrte - so ist es in den Daten von Siegel festgehalten - nach 61 Tagen auf den Platz zurück.

  • Sven Bender ist am häufigsten verletzt

Der größte Pechvogel in der Bundesliga ist Sven Bender. Der 28-Jährige, der diesen Sommer von Dortmund nach Leverkusen wechselte, war in den vergangenen Jahren 69 Mal verletzt - so oft wie kein anderer Spieler. Seine Krankenakte listet unter anderem folgende Diagnosen auf: Kieferbruch, Augapfelprellung, Nasenbeinbruch, Leistenbruch, Muskelfaserriss im Hüftbeuger, Stauchung des Kiefergelenks, Knochenmarködem und eine Schambeinentzündung, wegen der er 2014 die WM verpasste (eine detaillierte Ansicht gibt es hier). Der Defensivspieler hat aber nicht vor, etwas an seinem bedingungslosen Spielstil zu verändern: "Wir tun einfach alles dafür, jedes Drecksspiel zu gewinnen. Da denkst du nicht über deine Spielweise nach", sagte er vor Saisonbeginn in einem SZ-Interview über sich und seinen Zwillingsbruder Lars. Auch der ist mit insgesamt 51 Verletzungen in acht Jahren in den Top Ten der Rekord-Lädierten in der Bundesliga vertreten.

  • Dortmund leidet 2016/2017 am meisten

Allein sechs Mal war Sven Bender in der vergangenen Saison verletzt, insgesamt 151 Tage lang fiel er aus. Es verwundert also nicht, dass sein damaliger Verein Borussia Dortmund die Verletzungsrangliste 2016/2017 anführt: Durchschnittlich 44 Tage musste jeder Spieler im Kader von Ex-Trainer Thomas Tuchel pausieren, Athletiktrainer Rainer Schrey stand deswegen auch in der Kitik. Immerhin für den dritten Platz in der Bundesliga-Abschlusstabelle und den DFB-Pokal-Sieg reichte es trotz der vielen Verletzungen.

Ähnlich oft wie die Dortmunder erwischte es im vergangenen Jahr die Spieler vom FC Augsburg und des VfL Wolfsburg. Vor allem der FCA hatte - wohl auch wegen der vielen Ausfälle - gegen den Abstieg zu kämpfen. Augsburg rettete sich am letzten Spieltag.

  • Die Seuchenspielzeiten der Bundesliga

So richtig jammern durfte allerdings in der vergangenen Saison kein Bundesligist, denn manche Vereine hat es schon weit schlimmer erwischt. Der FC Schalke 04 kam in der Saison 2014/2015 auf 100 Ausfalltage - so viele wie kein anderer Verein in den vergangenen Jahren. Der damalige Schalker Julian Draxler kritisierte im Herbst 2014 deswegen sogar seine Mitspieler: "Wir fragen uns ein bisschen, woher die vielen Verletzten kommen. Da muss sich jeder selbst hinterfragen, ob er alles dafür tut, fit zu sein, ob die Ernährung stimmt, oder ob man genug Schlaf bekommt", sagte er. Kurz darauf erlitt Draxler selbst einen Sehnenanriss und fiel monatelang aus. Schalke spielte in jener Saison uninspiriert und erfolglos. Trainer Jens Keller musste daraufhin gehen. Es war nicht der offizielle Kündigungsgrund, doch mancher war der Meinung, Kellers lasches Training habe zu den vielen Schalker Verletzungen beigetragen.

Kann ein Trainer wirklich Schuld an Verletzungen haben? Diese Frage beschäftigte auch den FC Bayern in der Zeit unter Pep Guardiola. In der Saison 2014/15 zogen sich überdurchschnittlich viele Spieler Muskelverletzungen zu: 593 Ausfalltage kamen so zusammen - deutlich mehr als in den anderen Spielzeiten.

Daraufhin kam es zum Machtkampf zwischen Trainer und Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Der Mannschaftsarzt, seit 1977 beim FC Bayern, verließ den Verein. Immer wieder hatte es Diskussionen zwischen ihm und Guardiola gegeben, wie schnell lädierte Münchner wieder auf den Platz zurückkehren sollen. Müller-Wohlfahrt fand es befremdlich, dass Thiago, als er sich im März 2014 das Innenband riss, in Spanien mit Cortison behandelt worden sein soll, damit er bei der WM mitspielen konnte. In den folgenden Monaten riss sich Thiago zweimal erneut das Innenband. Inzwischen ist Guardiola in Manchester, Müller-Wohlfahrt dafür wieder beim FC Bayern.

  • Torhüter erkälten sich oft

Die Daten von Siegel zeigen auch, dass sich Fußballer je nach Spielposition unterschiedlich verletzen. So haben Verteidiger und Torhüter häufiger Rückenprobleme. Feldspieler haben vor allem mit Oberschenkelproblemen und anderen Muskelverletzungen zu kämpfen. Torwarte ziehen sich dagegen am leichtesten eine Magen-Darm-Grippe oder Erkältung zu - was am vielen Herumstehen liegen könnte.

Beim Thema Schnupfen ist der FC Bayern ein Sonderfall. Die Spieler vom Rekordmeister verzeichnen fast zweimal so viele Magen-Darm-Grippen und Erkältungen wie die Fußballer anderer Vereine. Ob das am Münchner Klima liegt? Oder ob der Verein manchmal einfach lieber einen Spieler offiziell als "erkältet" von einer Partie abmeldet statt als Grund zu nennen: "Den lassen wir bei diesem schwachen Gegner mal lieber zur Schonung daheim"? Das beantworten die Daten nicht.

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