Vergabe der Fußball-WM 2006:Welches Märchen stimmt?

  • DFB-Präsident Niersbach will mit "allen denkbaren rechtlichen Schritten" gegen die Behauptungen des Spiegels vorgehen.
  • Laut DFB habe es eine schwarze Kasse mit 6,7 Millionen Euro nie gegeben.
  • Beim Spiegel ist man sich sicher, dass die Geschichte wasserdicht ist.

Von Johannes Aumüller, Hans Leyendecker und Klaus Ott

Im Werk "Das Märchen-Lexikon" heißt es einführend: Märchen seien "Erzählungen, deren Formgesetz bis zu einem gewissen Grade durch die unbewusste Erwartung des Zuhörers oder Lesers und das ebenso unbewusste Verständnis des Erzählers bestimmt" seien. Es gehe um "psychodramatische Spielmaterialien".

So ist das ein bisschen auch mit der Geschichte des Spiegels über das angeblich "zerstörte Sommermärchen" der Deutschen. Jeder liest im Moment das heraus, was er lesen will. Es geht auch ums Spiel und eine ganze Menge Psycho.

DFB prüft rechtliche Schritte

Klar ist: Der DFB und das Magazin haben härtere Auseinandersetzungen vor sich. Presserechtlich und auch sonst. "Gegen die Kernbehauptung der Geschichte", die WM 2006 sei "mit Mitteln aus einer schwarzen Kasse des DFB oder beim Organisationskomitee" gekauft worden, will DFB-Präsident Wolfgang Niersbach mit "allen denkbaren rechtlichen Schritten" vorgehen. Das soll von der Unterlassungserklärung bis zum Widerruf reichen. So stellen sich die beim DFB das jedenfalls vor. Auch wird möglicherweise ein Strafrechtler eingeschaltet, der prüfen soll, ob eine Strafanzeige Sinn ergäbe oder nicht.

Die Macher des Magazins wiederum sind sicher, dass ihre Geschichte wasserdicht ist. Aus einem Verdacht sei "Gewissheit" geworden. So steht das in der "Hausmitteilung". Für Außenstehende des Falles ist es nicht einfach, sich auf die Wucherungen einer solchen Affäre einzulassen. Behauptung steht gegen Behauptung. Das meiste erscheint, derzeit noch, rätselhaft. Und im Mittelpunkt dieses Rätsels steht eine Summe in Höhe von 6,7 Millionen Euro.

6,7 Millionen Euro auf ein Fifa-Konto in Genf

Angeblich, so die Version des Spiegel, hat der Unternehmer Robert Louis-Dreyfus im Jahr 2000 umgerechnet 6,7 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, damit die Deutschen Stimmen für die WM kaufen konnten. Die Millionen soll er Jahre später zurückverlangt haben. Da eine solche Zahlung verständlicherweise nicht auf ordentlichem Weg möglich gewesen wäre, hätten Verantwortliche des DFB im Jahr 2005 exakt 6,7 Millionen Euro mit der Begründung "Beitrag Kultur-Programm Fifa" auf ein Fifa-Konto in Genf überwiesen. Von dort sei das Geld auf ein Konto von Dreyfus in Zürich überwiesen worden.

DFB: Schwarze Kasse hat es nie gegeben

DFB-Verantwortliche erklären öffentlich und in Hintergrundgesprächen, das sei alles ganz anders. Eine schwarze Kasse habe es nie gegeben. Es seien keine Stimmen gekauft worden und mit den 6,7 Millionen Euro sei das so: Im Sommer dieses Jahres habe der DFB einen Tipp, wohl einen Anruf, bekommen, man solle sich mal um eine Zahlung im Jahr 2005 kümmern. In den Büchern sei dann nachzuvollziehen gewesen, dass vor zehn Jahren exakt diese Millionensumme an die Fifa überwiesen wurde. Das Geld sei möglicherweise nicht für den angegebenen Zweck verwendet worden.

DFB bestreitet den Kern der Spiegel-Geschichte

Von Dreyfus-Geldern, Dreyfus-Forderungen an den DFB oder von einer Weiterleitung der 6,7 Millionen via Fifa an Dreyfus habe man keine Ahnung. Davon stehe nichts in den Büchern. Auch habe keiner der heute Verantwortlichen mit einem solchen Vorgang je zu tun gehabt. Die beim DFB das Sagen haben, bestreiten also den Kern der Spiegel-Geschichte.

Im Hintergrund gibt es beim DFB Geraune, dass da irgendetwas mit Dreyfus gewesen sein könnte. Nicht im Jahr 2000, sondern Jahre später. Nicht für den Stimmenkauf, sondern für etwas anderes. Ein Gerücht. Auch damit habe, wenn das so sei, keiner der heute Verantwortlichen etwas zu tun. Man wisse aber nichts Genaues. Im Märchen wird "Irreales mit Realem verbunden", und niemand dürfe sich über "Sprünge und scheinbar Ungereimtes" wundern. Das weiß das Lexikon.

Wenn man der Darstellung des Spiegel folgt, hat der DFB im Jahr 2005 offiziell das Geld für eine Fifa-Gala gezahlt, die im Juni 2006 stattfinden sollte. Eine Veranstaltung mit André Heller und Popstars wie Peter Gabriel. Die Veranstaltung sollte 22 Millionen Euro kosten. Da seien die 6,7 Millionen, die der DFB angeblich Dreyfus zahlen wollte, leicht zu verstecken gewesen.

Fifa-Generalsekretär schrieb an Wolfgang Schäuble

Das Problem nur: Die Veranstaltung fand nicht statt. Der Weltverband sagte sie Anfang 2006 ab. Es ist unwahrscheinlich, dass jemand 2005 wissen konnte, dass die Veranstaltung 2006 nicht stattfinden würde. Der SZ liegen zu dem Vorgang Regierungsunterlagen vor. Der damalige Fifa-Generalsekretär Urs Linsi schrieb am 13. Januar 2006 an den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble: Die Fifa habe die Gala "schweren Herzens" abgesagt. "Neben einigen anderen Schwierigkeiten" habe die "ungelöste Rasenproblematik" den Ausschlag gegeben.

Der damalige Innen-Staatssekretär Hans Bernhard Beus schrieb zurück, man "bedaure sehr", dass der Weltfußballverband "angesichts der Bedeutung der Veranstaltung" nicht "im Vorfeld das offene und vertrauensvolle Gespräch gesucht", sondern allein diese"überraschende Entscheidung getroffen" habe.

Aussage gegen Aussage

Die Zahlungsanweisung über die 6,7 Millionen Euro wurden vom damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger und dem ehemaligen Vizepräsidenten Horst R. Schmidt unterzeichnet. Warum ist das Geld, das offenkundig für ein Kulturereignis deklariert war, das nicht stattfand, später vom DFB nicht zurückgefordert worden? Warum bleibt ein solcher Vorgang in den Büchern all die Jahre verborgen?

Bei alledem, so der Spiegel, soll ein Schuldschein eine Rolle spielen, in dem anerkannt worden sei, dass Louis-Dreyfus angeblich die Millionen zustünden. Davon wollen die DFB-Verantwortlichen keine Ahnung haben. Aber angeblich tauchen Notizen von Niersbach im Zusammenhang damit auf. Der DFB-Präsident erklärt dazu, er könne sich an einen solchen Vorgang "absolut nicht erinnern". Überdies sei er "nur sehr bedingt in wirtschaftliche Transaktionen eingebunden" gewesen. Er bat um Überlassung des Dokuments.

Schlüsselstelle der Spiegel-Geschichte am Frankfurter Flughafen

Aussage gegen Aussage. Das ist der rote Faden in diesem wirren Stück. Eine Schlüsselstelle in der Spiegel-Geschichte ist ein Treffen am Frankfurter Flughafen im Jahr 2013. Teilnehmer: Theo Zwanziger, Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt, Franz Beckenbauer und dessen Helfer Fedor Radmann. Zwanziger soll, so das Magazin, bei diesem Treffen angeblich gesagt haben, dass die Geschichte mit den 6,7 Millionen Euro dem DFB gefährlich werden könne: "Klärt das auf, sonst sind wir die Gejagten."

Insider des DFB bestreiten, dass darüber gesprochen worden sei. Es sei überhaupt nicht um die 6,7 Millionen gegangen. Bei dem Treffen sei über die Folgen der Pleite des Rechtevermarkters ISL gesprochen worden, der lange im Reich der Fifa eine wichtige Rolle spielte. Entweder, so ein DFB-Insider, irre sich Zwanziger oder er sage nicht die Wahrheit. Notfalls würden Teilnehmer des Treffens an Eides statt erklären, dass es weder um 6,7 Millionen Euro, noch um schwarze Kassen, noch um Dreyfus gegangen sei. Zwanziger war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Vertreter der Deutschen Fußball Liga wollen wohl externe Fachkräfte einbinden

Das alles ist ein unappetitliches Knäuel, und es ist unklar, wie es sich auflösen wird. Spezialisten der Wirtschaftskanzlei Freshfields-Bruckhaus-Deringer schauen seit voriger Woche in die Bücher des DFB. Der Berliner Medienanwalt Christian Schertz rüstet sich für größere Attacken, und beim DFB träumt mancher davon, Zwanziger nachzusteigen, weil der die 6,7 Millionen Euro nicht zurückgefordert habe.

Am Freitagvormittag wurde das Präsidium des Fußballverbandes über den Fall in einer Telefonkonferenz informiert. Es stellte sich heraus, dass etliche der Mitglieder des Gremiums von dem Vorgang, der Niersbach nach dessen eigener Darstellung seit Sommer beschäftigt, nichts wussten. Vertreter der Deutschen Fußball Liga (DFL) sollen darauf gedrängt haben, dass auch externe Fachkräfte einzubinden seien. Mit dem Fall vertraute Personen gehen davon aus, dass sich jetzt der Kontrollausschuss mit den Millionen und dem Verhalten von Niersbach beschäftigen wird, der im Sommer von der unklaren 6,7-Millionen-Euro-Überweisung erfahren haben will, den Führungszirkel aber nicht oder nicht ausreichend informierte.

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