Verfolger in der Bundesliga:Will denn keiner in die Champions League?

Eintracht Frankfurt v FC Schalke 04 - Bundesliga

Schalkes Keeper Ralf Fährmann im Dialog mit den Fans - in Gelsenkirchen sind viele unglücklich.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Verletzte, ein gesperrter Trainer und ein furchtbares 0:0: Wolfsburg, Leverkusen, Gladbach und Schalke verzagen in der Liga. Dabei sind noch mindestens zwei Champions-League-Plätze offen.
  • Profitieren könnten die listigen Berliner.

Von Philipp Selldorf

Der Trainer reagierte auf die bedrohlichen Erfahrungen aus der vorigen Woche mit einem Trick, der einerseits typisch ist für Klubs in Abstiegsgefahr und andererseits eine originelle Note enthielt. Typisch war, dass der Trainer umfassend die Defensive stärkte, während er umfassend die Offensive abrüstete. Originell war, dass der Trainer zur Sicherung der Deckung nicht sämtliche Innenverteidiger seines Kaders aufgeboten hatte, sondern sämtliche Außenverteidiger.

Der Trick des Trainers zeigte Wirkung und brachte seiner Elf im Auswärtsspiel ein 0:0 ein. "Für uns war wichtig, dass wir Stabilität gewonnen haben", stellte der Trainer zufrieden fest. "Der Gegner war defensiver als sonst, wir haben nicht viele Räume bekommen", klagte der andere Trainer.

Originell an dieser herkömmlichen Bundesliga-Geschichte mit den herkömmlichen Trainerzitaten ist außerdem, dass nicht Armin Veh der Trainer der Maurermannschaft war, sondern André Breitenreiter. Und dass nicht die am Rande der Abstiegszone ansässige und zuletzt schwer aufgewühlte Frankfurter Eintracht mit Gewalt den Punkt zu sichern suchte, sondern Schalke 04, das seine Heimat im vorderen Drittel sieht und - wie Manager Horst Heldt eine Woche zuvor verraten hatte - die direkte Champions-League-Qualifikation für ein angemessenes Saisonziel hält.

Breitenreiters Außenverteidigeraufmarsch - Riether und Caicara auf der rechten, Kolasinac und Aogo auf der linken Seite - nahm gekonnt das Tempo aus dem eigenen Angriffsspiel. Er trug dazu bei, aus einem Spiel, das es in der Bundesligageschichte noch nie gegeben hatte - Anstoß sonntags um halb acht -, ein Spiel zu machen, das es besser nie gegeben hätte. Lothar Matthäus, Mitglied des Expertenrates beim Fernsehsender Sky, erklärte im Namen seines Gremiums: "Wir waren wirklich nah dran einzuschlafen."

Gegen verunsicherte Frankfurter hätte Schalke mit seinen offensiven Stärken auf Sieg spielen müssen, kritisierte Matthäus. In Schalkes Anhängerschaft hat ihm dieser Satz wohl Zustimmungswerte beschert, wie er sie in seiner 100-jährigen Karriere als Fußballer, Trainer, Loddar, Lolita und TV-Experte noch nie erreicht hatte. Andererseits hat Breitenreiter im Sinne der Realpolitik möglicherweise das Richtige getan, als er den Auswärtspunkt zum Ziel erhob, denn seine Elf hatte drei Tage zuvor beim demütigenden 0:3 gegen Donezk eine Niederlage erlitten, die die Gemüter aller Beteiligten belastete, das Publikum inbegriffen.

Auf die Gemüter aber wird es in den bis zum Saisonschluss ausstehenden elf Bundesligaspielen mindestens so sehr ankommen wie auf die Anzahl der Außen- und Innenverteidiger, denn es wird ein nervenzehrender Kampf um die Europacup-Zulassungen werden. Platz eins und zwei ist zwar an die Oligarchen in München und Dortmund vergeben, aber die Besetzung des Rennens um die Ränge drei bis sechs entspricht nur auf den ersten Blick den Erwartungen: Der Vorjahreszweite Wolfsburg ist dabei, der Vorjahresdritte Mönchengladbach, der Vorjahresvierte Leverkusen, der Vorjahressechste Schalke.

Trotzdem handelte es sich nach 23 Spieltagen nicht um ein Beweisstück für die These von der "zementierten Tabelle", die Frankfurts Vorstandschef Heribert Bruchhagen schon seit Jahren vorbringt. Diese Tabelle ist im Moment nicht stabil, sondern unberechenbar und voller Bruchstellen, auf die üblichen Favoriten ist kein Verlass. Am Ende zieht womöglich der 15. der Vorsaison, Hertha BSC, in die Champions League ein, während es der Vorjahres-Elfte, Mainz 05, in die Playoffs zur Superliga schafft, womöglich vor dem Zwölften des Vorjahres (Köln) und dem Vierzehnten (Stuttgart).

Prägende Figuren fehlen den Klubs

Argumente für das Bruchhagen-Theorem sind von den hin und her schwankenden Schalkern ebenso wenig zu erwarten wie von den hin und her schwankenden Leverkusenern. Und während sich die Wolfsburger das Toreschießen abgewöhnt haben - 21 Treffer weniger als zum vergleichbaren Stand der Vorsaison - haben die Gladbacher das Torverhindern verlernt: Es sind aktuell 22 Gegentreffer mehr als am 23. Spieltag des Vorjahres.

Wesentliche Verantwortung für diese Zahlen tragen zwei Menschen respektive deren Abwesenheiten: In Wolfsburg ist es der in die Premier League abgewanderte unersetzliche Kevin De Bruyne, in Gladbach Lucien Favre, der sich entnervt in den Fußball-Urlaub eingewiesen hat. Beide hatten in ihren Klubs prägende Bedeutung als Spielgestalter, der eine auf, der andere neben dem Platz.

Schön wäre es, wenn nun einer, von dem es kein Matthäus erwartet, sagen würde: "So, jetzt drehen wir durch! Jetzt träumen wir von der Champions League und erzählen es überall herum." Pal Dardai, Herthas Trainer, ist ein Mensch, dem so etwas zuzutrauen wäre. Das verschmitzte Lächeln gehört zu seinen typischen Gesichtsausdrücken, oft sieht er aus, als würde er sich belustigen über den unsinnigen Ernst, der den Profifußball beherrscht.

Dardai arbeitet mit List und Tücke, und seine Mannschaft hat er sehr effektiv aufs passende Ergebnis programmiert. Er wäre also der geeignete Mann, um die Liga jetzt mit einer Kampfansage zu verwirren und in Herthas Namen das Planziel Champions League auszurufen. Aber Dardai sagt: "Wir drehen jetzt nicht durch. Wir träumen nicht, und ich glaube, genau das ist unsere Stärke."

Überall fehlen Schlüsselspieler

Tatsächlich verdanken die Berliner ihren Spitzenplatz unter anderem der Schwäche der anderen. Aber es gibt gute Gründe zu glauben, dass diese Schwäche nicht aufhören wird. In Leverkusen wird das Schlüsselpersonal ebenso knapp wie in Wolfsburg und Schalke.

Während bei Bayer noch zweimal der gesperrte Cheftrainer Roger Schmidt und wochenlang Abwehrchef Ömer Toprak sowie Kevin Kampl fehlen werden, müssen die Wolfsburger bis Saisonende auf Abwehrchef Naldo verzichten, der am Sonntag eine Schultereckgelenksprengung erlitt. Schalke meldet für den Mittelfeldmotor Goretzka die gleiche Verletzung, Abwehrchef Höwedes wird ohnehin seit Wochen vermisst. Bei der Gladbacher Borussia hingegen hat man sich an die Absenz des Abwehrchefs Stranzl (derzeit Faserriss in der Wade) längst gewöhnt.

Lediglich den Gladbachern gelingen im Quartett der unsoliden Spitzenklubs standesgemäß viele Tore. Bei Schalke (31 Trefferchen) wurde am Sonntag zumindest ein Konzept zur Besserung vorgestellt. Nicht von Trainer Breitenreiter, sondern von Abwehrspieler Neustädter. Öfter drauf schießen, empfiehlt er, "vielleicht wird ja auch mal ein Ball abgefälscht".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: