USA vor dem Finale:Mission 5. Juli

USA vor dem Finale: Der WM-Sieg und die Rückkehr an die Weltspitze: Mit weniger mag sich das US-Team um Carli Lloyd (r.) nicht zufrieden geben.

Der WM-Sieg und die Rückkehr an die Weltspitze: Mit weniger mag sich das US-Team um Carli Lloyd (r.) nicht zufrieden geben.

(Foto: Ryan Remiorz/AP)

Die Feiern zum Independance-Day sollen verlängert werden. "Die ganze Nation träumt davon", sagt die amerikanische Spielführerin Carli Lloyd.

Von Kathrin Steinbichler, Vancouver

Die Vereinigten Staaten von Amerika haben ein feines Gespür für historische Anlässe. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, um an die Gefühle und den Zusammenhalt der Nation zu appellieren; keine Möglichkeit wird verschenkt, um sich durch Worte und Gesten der eigenen Identität zu versichern. Und so ist dieser Sonntag im Juli 2015 auch ein besonderer. Schon am Samstag, den 4. Juli, feiert das ganze Land mit Feuerwerken und Festen seinen Unabhängigkeitstag, doch diesmal, so haben die meisten es sich vorgenommen, sollen die Feierlichkeiten um einen Tag verlängert werden. Denn am Sonntag, den 5. Juli, will die Frauenfußball-Nationalelf der USA im Finale gegen Japan (Nacht auf Montag, 1 Uhr MESZ/ZDF und Eurosport) ein Versprechen einlösen. "Wir sind in diese Weltmeisterschaft gestartet, um eine Mission zu erfüllen", sagt Spielführerin Carli Lloyd, ohne dabei auch nur einmal zu blinzeln. "Und wir werden alles dafür tun, um wahr werden zu lassen, wovon die ganze Nation träumt."

Der Traum einer ganzen Nation - mit weniger als einem nationalen Auftrag geben sich die Amerikanerinnen bei dieser siebten Frauenfußball-WM in Kanada nicht zufrieden. "One nation. One team. One goal." So prägnant wie pathetisch hat der US-Verband seine Kampagne rund um diese Weltmeisterschaft genannt, der Spruch findet sich auf Bannern, T-Shirts, Kappen und Spruchbändern, die die Fans mit in die Stadien und auf die Straßen Kanadas tragen. Im nördlich gelegenen Nachbarland soll endlich gelingen, was die USA zuletzt 1999 geschafft haben: ein WM-Sieg und damit die Rückkehr an die Weltspitze.

Eine derart gewaltige, von der Allgemeinheit verinnerlichte Anspruchshaltung kann einer Mannschaft und einzelnen Sportlerinnen schon mal so zusetzen, dass im Wettkampf rein gar nichts mehr gelingt. Doch wer bei der Presserunde in einem großen Hotel in der Innenstadt von Vancouver vor diesem Finale mit Carli Lloyd spricht, der Kapitänin und Mittelfeld-Antreiberin der US-Fußballerinnen, der weiß, dass die Spielerinnen sich diesmal - anders als noch 2011 - von diesen Gefühlen tragen lassen wollen.

Carli Lloyd nennt sich selbst "eine geborene Anführerin"

"Beim letzten WM-Sieg 1999 war ich noch ein kleines Mädchen", erzählt die 32-Jährige, "ich habe immer davon geträumt, in so eine Situation zu kommen. Die WM zu gewinnen, würde heißen, dass mein Traum wahr wird." Bei all dem Reden über Träume und Gefühle ist aber nicht zu übersehen, dass der Finaleinzug der USA einem sehr nüchternen, präzise ausgearbeitetem und exakt ausgeführten Plan entspringt: Trainerin Jill Ellis hat in monatelanger Arbeit mit den Spielerinnen eine Vorstellung davon entwickelt, wer auf welcher Position am besten funktioniert. Julie Johnston, die davor nur Ersatzspielerin war, kam so etwa zu ihrem Stammplatz in der Innenverteidigung, wo sie Partie für Partie so gut und so eindrucksvoll spielt, dass sie als eine von drei US-Fußballerinnen zu den Nominierten zählt für die beste Spielerin des Turniers. Die zweite, die den Preis in Aussicht hat, ist die stets verlässlich kreative Mittelfeldspielerin Megan Rapinoe. Die dritte, die sich vielleicht noch mehr als die beiden anderen in den Fokus gespielt hat, ist Carli Lloyd. Sie nennt sich selbst "eine geborene Anführerin". Und sie sagt jetzt, vor der Neuauflage des WM-Finales von 2011: "Auf diese Gelegenheit, auf diese neue Chance haben wir vier Jahre gewartet. Die Niederlage vor vier Jahren hat weh getan, das wollen wir nicht noch einmal erleben."

2011 im Endspiel von Frankfurt waren die USA in einem bis zum Schlusspfiff spannenden, hochklassigen Spiel zweimal in Führung gegangen, doch Aya Miyama und Homare Sawa hatten dafür gesorgt, die Tore von Alex Morgan und Abby Wambach jeweils auszugleichen. Beim Elfmeterschießen schließlich versagten Shannon Boxx und Tobin Heath die Nerven, Carli Lloyd setzte ihren Schuss an die Latte - Japan holte erstmals den Titel. Seitdem hat Lloyd wie eine Getriebene trainiert, sie hat sogar einen Mentaltrainer engagiert, um auch an ihrer geistigen Ausdauer zu trainieren. Im Achtelfinale war es jetzt Lloyd, die mit einem Elfmeter zum 2:0 gegen Kolumbien den Einzug in die nächste Runde sicherte. Im Viertelfinale gegen China schoss Lloyd das Siegtor zum 1:0. Im Halbfinale gegen Deutschland war es erneut Lloyd, die beim Stand von 0:0 antrat und ihre Mannschaft per Foulelfmeter auf die Siegerstraße brachte. Jetzt, vor dem Finale gegen Japan in Vancouver, sagt sie: "Ich bin bereit für das Spiel und dafür, noch einmal Verantwortung zu übernehmen."

Alle, die bei der Elfmeter-Niederlage von 2011 beteiligt waren, stehen auch jetzt, bei der Neuauflage 2015, wieder im Kader. "Damals nach dem Elfmeterschießen bin ich zu Homare Sawa und habe ihr von Herzen gratuliert", erzählt Abby Wambach, die vor ihrem letzten WM-Spiel steht. "Japan, das damals mit den Folgen des Tsunamis zu kämpfen hatte, hat seinem Land damals einen ganz wundervollen Moment geschenkt, da kann man nicht anders, als es zu respektieren und sich zu freuen. Aber diesmal", schließt Wambach, "hoffe ich, dass es anders herum ausgeht." An diesem 5. Juli wollen die US-Fußballerinnen ihrem Land einen Moment schenken, der in die Geschichte eingeht. So sehen sie das. Und vielleicht sollte man dieses Pathos einfach mal so stehen lassen.

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