USA spielt auf Kuba:Als der Bolzplatz noch eine Provokation war

Lesezeit: 4 min

Lernte bei spanischen Jesuiten nicht nur das Vaterunser: Kubas Revolutionsführer Fidel Castro mit falschem Schuhwerk, aber passabler Schusstechnik. (Foto: Bettmann/Getty Images)

Das Freundschaftsspiel der USA auf Kuba steht für eine Zeitenwende: Es ist die erste Begegnung dieser Art seit 1947. Früher dominierte Baseball die Insel, nun erlebt der Fußball einen Aufschwung.

Von Javier Cáceres

Die lange Geschichte des Konflikts zwischen Kuba und den USA ist reich an Gewalt, Terror und Invasionen, aber auch reich an kuriosen Begebenheiten, von denen eine erstaunlich viel mit Fußball zu tun hat. Das erzählen jedenfalls ein früherer Stabschef des Weißen Hauses, Bob Haldemann, der wegen seiner Rolle im Watergate-Skandal in den Knast musste, und Henry Kissinger in ihren Memoiren.

Im September 1970 sei Kissinger, damals Sicherheitsberater von Präsident Richard Nixon, mit einem Schwung Spionage-Fotos in Haldemanns Büro gestürmt, die von einem Aufklärungsflugzeug über Cayo Alcatraz gemacht worden waren, einer Insel vor der Stadt Cienfuegos. Auf den Fotos war ein Fußballfeld markiert. Kissinger verlangte, sofort den Präsidenten zu sehen. Ob er am Abend zuvor zu viel getrunken habe, wollte Haldemann wissen. Aber Kissinger belehrte ihn: Dieses Fußballfeld "kann Krieg bedeuten, Bob". Denn: "Kubaner spielen Baseball. Russen spielen Fußball." Die Schlussfolgerung: Die Russen bauen auf der Insel, 90 Meilen von Florida entfernt, einen Stützpunkt - so wie sie es schon Anfang der 60er Jahre versucht hatten, als die Welt einem Atomkrieg nahe war wie wohl nie zuvor.

Früher nur Kurzmeldungen in den Zeitungen

Die Zeiten haben sich geändert, und das nicht nur, weil der Kalte Krieg alter Prägung Geschichte ist. Auf Kuba ist das Interesse am Fußball derart gewachsen, dass es heute undenkbar wäre, die Existenz eines Bolzplatzes als Vorstufe eines Nuklearkriegs zu deuten. Zudem haben sich die Beziehungen zwischen Washington und Havanna entspannt. Im Juli 2015 nahm Kuba nach mehr als 50 Jahren wieder diplomatische Beziehungen auf, im März 2016 stattete Barack Obama Havanna den ersten Besuch eines amtierenden US-Präsidenten nach mehr als 90 Jahren ab.

Am Freitag kommt es nun, unter Beteiligung von sechs Bundesligaprofis - darunter John Brooks von Hertha BSC, Christian Pulisic von Borussia Dortmund und Julian Green vom FC Bayern - zu einem weiteren Akt der Entspannung: Angesetzt ist ein Freundschaftsspiel in Havanna zwischen Kuba und der von Jürgen Klinsmann betreuten US-Mannschaft. Es ist die erste Begegnung dieser Art seit 1947.

Das heißt nicht, dass sich Kubaner und die "yanquis", wie sie auf der größten der Antillen-Insel genannt werden, auf Fußballplätzen nicht über den Weg gelaufen wären. Bei den letzten beiden "Golden Cups" des Regionalverbandes Concacaf fegten die USA 2013 und 2015 über die Kubaner hinweg, zuvor hatten sich die beiden Länder im Zuge der Qualifikation für die WM 2010 gesehen. Seinerzeit wurden die Kubaner vom früheren Bundesliga-coach Reinhold Fanz trainiert. Das Hinspiel verlor Kuba in Havanna 0:1.

Doch von nationaler Wallung, von "Yankee go home!"-Stimmung war nichts zu spüren, sagt Fanz, 67. In den Zeitungen habe es nur Kurzmeldungen gegeben, "kaum jemand bekam mit, dass wir spielten, im Stadion waren vielleicht 700, 800 Leute". Der Platz war in einem schlimmen Zustand: Der Gärtner des Estadio Pedro Marrero, am Freitag wieder Schauplatz des Duells mit den USA, hatte nur einen Handmäher, kehrte die Halme in einen Umzugskarton und legte sich dann "drei Stunden im Schatten schlafen", so Fanz. Das Resultat: "Der Rasen war knöchelhoch."

Das Rückspiel in Washington D. C. geriet zum Debakel. Fanz hatte schon beschlossen, den Dienst zu quittieren, unter anderem, weil die Kubaner ihm nur ein Visum für lediglich eine Einreise geben wollten, er aber öfter nach Deutschland wollte. Auch sonst waren die Bedingungen schwierig, Kuba ist ein armes Land: "Wenn das Team in zwei Gruppen essen ging, war für die zweite Gruppe oft nichts mehr da", erzählt Fanz. Die US-Visite fiel zudem in die Zeit der Zyklone. Die kubanische Meisterschaft war unterbrochen worden, "die Spieler waren nach vier Wochen ohne Training total außer Form", sagt Fanz. Zudem baten am Vorabend der Partie zwei Akteure um Asyl in den USA. Doch selbst das ging vergleichsweise unter, ebenso das beschämende Resultat. Es lautete: 1:6.

Denn Kuba ist zwar die erfolgreichste Sportnation Lateinamerikas und war 1938 die erste Karibik-Nation, die an einer WM teilnahm. Doch der Fußball hat, wie der Fußball-Freak Kissinger analysierte, auf Kuba nie eine Rolle gespielt und keine Helden hervorgebracht, wie das andere Sportarten stets glückte: den Boxer Teófilo Stevenson, die Leichtathleten Alberto Juantorena und Javier Sotomayor zum Beispiel. An Fidel Castro lag's übrigens nicht. Der Comandante, ein Freund von Diego Maradona, schätzt den Fußball, seit er Schüler spanischer Jesuiten war: "Er lehrte mich, Willen zu zeigen, die Kondition zu stärken, er gab mir Freude, Genugtuung, Kampf- und Wettbewerbsgeist", lobte Castro den Ballsport einst.

Mittlerweile wird der Fußball sogar in der Parteizeitung Granma als "die universalste aller Sportarten" bezeichnet. Der Fußball blüht wohl auch deshalb auf, weil die Baseball-Liga ausdörrt, seit die besten Spieler des Landes den Dollars folgen. Entscheidender aber ist wohl, dass die Kubaner sich illegal über US-Sportkanäle jeden Fußball anschauen, den die Antenne hergibt, infantile Freude für Cristiano Ronaldo, Messi oder den FC Bayern entwickeln. Vor der Visite Obamas reiste Cosmos New York nach Kuba und spielte vor 18 000 Zuschauern. Das Land hat den Fußball inzwischen ins Förderprogramm des Sportinstituts INDER aufgenommen, im Januar durften sogar erstmals zwei Spieler legal ins Ausland wechseln: Maikel Reyes und Abel Martínez spielen nun beim mexikanischen Topklub Cruz Azul.

"Ich hoffe, das trägt dazu bei, dass sich etwas entwickelt", sagt Fanz, es ist ja derzeit viel im Fluss in Kuba. Doch er fürchtet auch, dass Kuba nach der Öffnung wieder in das zurückfällt, was es vor der Castro-Revolution war: "Puff und Casino der USA". Denn das Schicksal Kubas bleibt, wie Nationalheld José Martí einst über Mexiko sagte, dass es "so nah an den USA und so fern von Gott" gelegen ist.

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: