US-Star Michael Phelps:Im Rhythmus des Rappers

US-Boy Michael Phelps hat die Szene das Fürchten gelehrt - selbst Ian Crocker, seinen Landsmann und rundlichen Bezwinger

Von Josef Kelnberger

Man musste Ian Crocker einfach lieb haben. Wie er da vorne auf dem Podium saß mit seinem rundlichen Gesicht, das ihn überhaupt nicht wie einen Leistungssportler aussehen lässt, schon gar nicht neben dem lang gezogenen, von einem gewaltigen Kinn dominierten Gesicht des Michael Phelps. Wie er, an seine Wasserflasche geklammert, nach pathetischen Worten rang und doch keine fand, und wie er sich am Ende mit wackliger Stimme in Komik rettete: "Zwei Jahre lang habe ich versucht, eine 51er Zeit zu schwimmen, und jetzt habe ich es immer noch nicht geschafft, glaube ich." Der Gedanke daran gab ihm den Rest. Mit einer Bestzeit von 52,21 war Ian Crocker in das WM-Finale über 100 m Schmetterling gegangen, und er gewann dieses Finale in einer Zeit von 50,98 Sekunden. Weltrekord. Und immer noch keine 51er Zeit. Ian Crocker stützte das Kinn auf die Öffnung seiner Wasserflasche. Dann liefen Tränen über seine Backen.

Ein komischer Held wie der 20-jährige Ian Crocker aus Portland/Maine hat dieser Schwimm-Weltmeisterschaft gefehlt neben Alexander Popow, Ian Thorpe und Michael Phelps. Im Alter von sechs Jahren versuchte er sich erstmals in einem Verein, aber der Trainer komplimentierte ihn zunächst einmal wieder hinaus: Der kleine, stille Ian ging ständig unter. Doch er biss sich durch, stieg auf zum talentiertesten Schmetterling-Schwimmer der USA - und dann stürmte der zwei Jahre jüngere Michael Phelps aus Baltimore an ihm vorbei. Gewann erste internationale Medaillen und nahm Crocker den US-Rekord ab. Am Samstag, so schien es, würde Phelps den kleinen Konkurrenten in Grund und Boden schwimmen und ihm eine Niederlage verpassen, die er niemals vergessen würde. Crocker hatte sich auf das Schlimmste gefasst gemacht: "Ich könnte jetzt sagen: Ich hatte viel Selbstvertrauen. Aber tief drinnen sagt man sich doch: Oh Gott, es geht gegen Michael Phelps!"

Phelps stand vor dem Rennen immer noch unter Strom nach seinem historischen Auftritt vom Tag vorher. Als erster Schwimmer hatte der Amerikaner an einem Abend Weltrekorde in zwei verschiedenen Disziplinen aufgestellt, es war ein denkwürdiger Abend: Phelps gewann die 200 m Lagen, indem er seinen Weltrekord (1:57,52) auf 1:56,04 verbesserte, und wenig später verbesserte er im Halbfinale über 100 m Schmetterling den Weltrekord auf 51,47 Sekunden - der Ukrainer Andril Serdinow hatte erst Minuten zuvor die Bestmarke mit 51,76 Sekunden im ersten Halbfinale dem Australier Michael Klim (51,81) abgenommen. Von 51,81 auf 51,76 auf 51,47 Sekunden in weniger als einer Stunde. Das ist eine atemberaubende Steigerung auf einer klassischen Schwimmstrecke an einem Abend, aber offenbar nichts Ungewöhnliches für Experten. Der US-Männertrainer Greg Marsh gab Phelps am Samstag mit auf den Weg, er wolle eine "0" auf der Anzeigetafel sehen, also eine 50er-Zeit. Die sah er auch, aber vom falschen Schwimmer. Phelps schlug nach 51,10 Sekunden an, auch das noch unter dem alten Weltrekord.

Der 18-Jährige hatte sich, wie üblich mit Rap in Fahrt gebracht, er hörte die "Eminem Show", aber das reichte nicht an diesem Abend gegen Ian Crocker, den Liebhaber sanfterer Töne. Er ist ein fanatischer Anhänger von Bob Dylan. So wurde Eminem noch einmal von Bob Dylan gebremst, vorläufig jedenfalls. Seine Mission, die Nummer eins im Schwimmsport zu werden, hatte Phelps nicht aus den Augen verloren. Er hatte am Sonntagabend noch die Chance, über die 400m Lagen seinen dritten Titel nach den Rennen über 200 m Delfin und 200 Lagen zu gewinnen, und damit Ian Thorpe zu überholen. Der Australier kam diesmal nicht über zwei Einzeltitel (200 und 400 m Freistil) und einen Sieg in der 4x200-m-Staffel hinaus und musste sich die Show auch vom 31-jährigen Alexander Popow stehlen lassen. Der Russe gewann nach den 100 auch die 50 m Freistil, wie kein anderer gefeiert von den spanischen Zuschauern.

Michael Phelps wird als Sieger eher bestaunt als geliebt, seine erste größere Niederlage überstand er bemerkenswert gelassen. Kollege Crocker habe ein grandioses Rennen geschwommen, sagte er, und die Hauptsache sei doch, dass Amerikaner die Plätze eins und zwei belegten. So etwas hört das Publikum zu Hause gerne. Aber nächstes Jahr in Athen, fügte er hinzu, seien die 100 m Schmetterling eine äußerst wichtige Strecke. Michael Phelps' kehlige Stimme füllte den Raum. Und Ian Crocker neben ihm zuckte zusammen.

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