US Open:"Stan, sorry, ich konnte nicht mehr stehen"

2016 US Open - Day 14

Novak Djokovic hat Schmerzen im Finale der US Open.

(Foto: AFP)

In einem körperlich und mental hochklassigen Finale gewinnt Stan Wawrinka die US Open. Sein Gegner Novak Djokovic scheitert an einer banalen und gleichzeitig fiesen Sportverletzung.

Von Martin Schneider

Das Ende kam mit einem roten Fleck auf einer weißen Tennis-Socke. Novak Djokovic saß auf seinem Stuhl, er zog den Schuh aus und ein Arzt versuchte zu flicken, was nicht mehr zu flicken war. Die Kamera zoomte auf seinen zitternden Fuß und weil Tennis-Spiele ja auch immer Psycho-Spiele sind, kann man diesen roten Fleck und diesen zitternden Fuß als Beweisstücke A und B hernehmen.

Die Behandlungspause im vierten Satz des Finales der US-Open war kein Trick. Novak Djokovic, die Nummer eins der Welt, der zwölffache Grand-Slam-Sieger, konnte wegen einer der banalsten und gleichzeitig fiesesten Sportverletzungen kaum noch laufen: Er hatte Blasen an den Füßen.

"Stan, sorry, ich konnte nicht mehr stehen", sagte Djokovic während der Pause zu seinem Gegner. Stan Wawrinka hatte sich beschwert, er vermutete eine Psycho-Falle. Djokovic nahm die Behandlungspause vor dem Aufschlag des Gegners, eigentlich ist das nur in medizinischen Notfällen erlaubt und weil Wawrinka gerade gebreakt hatte und kurz davor war, das Spiel und das Turnier zu gewinnen, passte Djokovic die Auszeit auch ganz gut in den Kram.

Wawrinka ist überwältigt

Allein, es war keine List. Das Blut war echt, die Schmerzen waren echt. Und ein paar Minuten später war auch die Niederlage echt. Djokovic verlor 7:6 (1), 4:6, 5:7 und 3:6, Stan Wawrinka gewann die US Open.

"Ich weiß gerade gar nicht, was passiert", sagte Wawrinka überwältigt und um Fassung bemüht nach seinem Sieg. "Das ist unglaublich, ich bin hier ohne Erwartungen angereist. Ich habe so viel Tennis in diesen zwei Wochen gespielt, ich bin komplett leer." Bis zum Finale hatte Wawrinka in der schwül-heißen Hitze von New York 18 Stunden auf dem Tennis-Platz gestanden, Djokovic wegen diverser Aufgaben seiner Gegner nur knapp halb so lange.

Stan Wawrinka hat seinen dritten Grand-Slam-Titel nach den Australian Open 2014 und den French Open 2015 nicht gewonnen, weil er der über jeden Zweifel erhabene Tennis-Spieler war, sondern weil er jeden Widerstand irgendwie aus dem Weg geräumt hat. In der dritten Runde hatte er gegen den Briten Daniel Evans (die Nummer 92 der Welt) einen Matchball gegen sich. Er ging ans Netz, spielte einen Vorhand-Volley, blieb im Turnier. "Ein Matchball ist immer stressig", sagte er später dazu. "Ich wusste: Wenn es einen fünften Satz gibt, habe ich physisch und mental Vorteile."

Die Vorteile im Kopf hatte er auch im Finale. Nachdem er den Beginn verdaddelt hatte und seinen ersten Aufschlag nicht ins Feld brachte, war der Schweizer ab Satz zwei voll da. Sein Parade-Schlag, die Rückhand Longline, sauste ins Feld wie ein Falke im Sturzflug und wie eine Ohrfeige für den Gegner. Djokovic ist vielleicht der beste Defensiv-Spieler der Tour, manche nennen ihn den Gummi-Menschen, weil er sich irgendwie bis zu jedem Ball strecken kann. Die Rückhand-Peitschen von Wawrinka erreichte er nicht.

Wawrinka gewinnt die wichtigen Matches

Nach wichtigen Punkten setzte Wawrinka stets den Zeigefinger an seine Stirn und zeigte. Ich bin fit im Kopf. Und: Ich bin im Kopf des Gegners. Novak Djokovic gewann in den ersten drei Sätzen mehr Punkte, er kam im dritten Satz nach einem 0:3 wieder zurück und stand dann doch mit einem 1:2 Satzrückstand da. Zu diesem Zeitpunkt war das Spiel hochklassig, man merkte nichts davon, dass sich Djokovic gegen Gael Monfils im Halbfinale noch an der Schulter hatte behandeln lassen. Aber Djokovic haderte. Immer wieder schaute er zu seiner Box und zu seinem Trainer Boris Becker, er sprach viel, auch mit sich selbst. Wenn es nicht läuft, lässt der Serbe den Kopf in den Nacken fallen. Er fiel in dieser Phase oft in den Nacken, obwohl es objektiv gar nicht so schlecht für ihn stand.

Wawrinka und Djokovic kennen sich mit epischen Matches gegeneinander ja durchaus aus. 2013 gewann Novak Djokovic bei den Australian Open im Viertelfinale 12:10 im fünften Satz, 2014 war Wawrinka dran und gewann in Melbourne 9:7 im Fünften. 2015 siegte Wawrinka im Finale von Paris gegen Djokovic und jetzt im Finale von New York. Treffen die beiden auf der Tour aufeinander, gewinnt eigentlich fast immer Djokovic. Treffen die beiden bei einem Grand-Slam-Turnier aufeinander, gewinnt in den vergangenen Jahren fast immer Wawrinka.

"In den entscheidenden Momenten habe ich meine Nerven verloren. Er ist cool geblieben. Das hat das Match entschieden", sagte Djokovic später. "Dieses Grand-Slam-Turnier war physisch und mental das schmerzhafteste, das ich je gespielt habe", sagte Wawrinka: "Ich fühlte mich schon vor dem Match müde. Aber es war vorher mit meinem Trainer abgesprochen, dass ich davon nichts zeigen werde."

Auch Wawrinka hatte Krämpfe

Später gab er zu, dass er während Djokovics Behandlungspausen selbst Krämpfe hatte. Aber er sprang irgendwann von seinem Stuhl auf, tänzelte in seine Hälfte des Feldes, machte Dehnübungen und spielte dem Gegner Stärke vor, wo eigentlich keine war.

Diese Härte gegen sich selbst hat ihm nun den dritten Grand-Slam-Sieg im dritten Turnier gebracht und vielleicht sollte die Tennis-Welt überlegen, aus den "Großen Vier" (Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic, Andy Murray) nun die "Großen Fünf" zu machen.

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