US Open:Ein Clown im Kragenechsenkleid

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Wie ein Clown in Jurassic Park: Andrea Petkovic, mittlerweile ausgeschieden (Foto: Darron Cummings/AP)

Bei den US Open gibt es viel mehr zu sehen als nur Tennis: seltsame Kleider, Helden auf und neben dem Platz - und natürlich einen Flegel. Beobachtungen aus einer Woche am New Yorker Tennis-Laufsteg.

Von Jürgen Schmieder, New York

Es gab in der vergangenen Woche bei den US Open in Flushing Meadows viel mehr zu sehen als nur Tennis. Ob das Ganze einen Sinn ergibt? Fest steht nur: Es hat alles mit diesem einen Ball zu tun.

Sonntag, Arthur Ashe Stadium: Philipp Kohlschreiber trainiert mit Roger Federer. Zuvor hat er schon mit Novak Djokovic geübt. Boris Becker ist auch dabei gewesen. Weil Kohlschreiber derzeit ohne hauptamtlichen Trainer unterwegs ist, schüttelt Becker ein paar Hinweise aus dem Ärmel und führt einige Schläge vor. Ein paar Tage später ist Beckers Ellenbogen filzballförmig geschwollen.

Montagvormittag, ein Trainingsplatz: Sabine Lisicki trainiert. Ohne Boris Becker, dafür mit ihrem Freund, dem Fernseh-Witzbold Oliver Pocher. Der musste bei vergangenen Turnieren auf der Tribüne sitzen, nun sammelt er Filzkugeln auf. Vom Claqueur zum Apporteur: ein Aufstieg.

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:"Der Typ da oben redet andauernd mit ihr"

Sabine Lisicki verliert bei den US Open gegen Maria Scharapowa. Doch nicht, weil die Gegnerin besser gewesen wäre. Die deutsche Tennisspielerin verschenkt zahlreiche Chancen - und diskutiert hitzig mit dem Schiedsrichter.

Von Jürgen Schmieder

Montagnachmittag, vor Court 11: Wie lässt sich der Marktwert eines US-Open-Teilnehmers schätzen? Preisgeld? Anzahl der geschriebenen Autogramme? Spielort? Alles zu unpräzise! Die einzig akkurate Analyseform sind die Preise gebrauchter Bälle. Eine Kugel aus der Partie zwischen Ana Ivanovic und Alison Riske wird für 39,99 Dollar feilgeboten, der aus dem Spiel zwischen Maria Scharapowa und Maria Kirilenko kostet 59,99 Dollar. Interessant wird es beim direkten Vergleich der Vorjahrespartien von Rafael Nadal: Der Gasquet-Ball kostet 149,99 Dollar, die Dodig-Kugel 119,99 Dollar, das Robredo-Spielgerät 109,99 Dollar. Und legt da noch ein Ball herum, der beim Achtelfinale gegen Philipp Kohlschreiber eingesetzt worden ist. Preis: 79,99 Dollar. Irgendwas stimmt nicht mit diesem Ball.

Montagnachmittag, Platz 4: Kohlschreiber gewinnt seine Partie gegen Facundo Bagnis locker. Der Preis des Balles aus der Partie gegen Nadal bleibt stabil. Doch warum trägt Kohlschreiber bei der Hitze schwarze Kleidung? Antwort: "Weil mir der Ausrüster nur schwarze Shirts gegeben hat." Der Ausrüster war offensichtlich noch nie im August in New York.

Montagabend, im Bus nach Manhattan: Der Fahrer erzählt während der Fahrt seine Lebensgeschichte, die er damit beendet, dass er kürzlich zum "Vater des Jahres", "Busfahrer des Jahres" und "Jugendtrainer des Jahres" gewählt wurde. Kurze Überlegung, diesem wunderbaren Menschen bald einen Kohlschreiber-Ball mitzubringen.

Dienstagnachmittag, Platz 6: ESPN-Mitarbeiter Mike hetzt über die Anlage, im Arm trägt er eine TV-Kamera, gegen Ende der Strecke wankt er bedenklich - sein Fitnesslevel liegt in etwa zwischen dem von Boris Becker und Oliver Pocher. Sein Arbeitgeber hat nicht damit gerechnet, über das Spiel der 15 Jahre alten "CiCi" Bellis berichten zu müssen. Nun hat dieses Mädchen tatsächlich den ersten Satz gegen Dominika Cibulkova gewonnen. Mitte des zweiten Satzes beginnt die Übertragung, Mike sitzt schwitzend und keuchend auf einer Treppe. Jemand sollte ihm einen Nadal-Ball überreichen. Er hätte ihn verdient.

Dienstagabend, Arthur Ashe Stadium: Roger Federer spielt gegen Marinko Matosevic. Im Publikum sitzt Michael Jordan, der Basketballer, der einst die Gesetze der Schwerkraft neu definiert hat. Mittlerweile sieht er allerdings so aus, als hätte ihn die Schwerkraft ganz gut im Griff. Federer trägt Michael-Jordan-Tennis-Sneakers, er möchte gerne ein bisschen sein wie His Airness. "Be like Mike" wird das in den USA genannt. Federer schwebt in der Luft, ist dann aber nicht einmal Roger: Er knallt die Kugel dorthin, wo selbst in New York keine Sonne scheint. "Jetzt schäme ich mich ein bisschen", sagt er später. Muss er nicht. Matosevic übrigens sagt gegen Ende der Partie: "Ich will einfach nur wie Mike sein." Vielleicht sollte er künftig versuchen, ein bisschen mehr wie Federer zu sein.

Mittwochmittag, Pressekonferenz-Raum: Andrea Petkovic berichtet, sich mit Caroline Wozniacki über die Outfits für den Freitag beraten zu haben. Petkovic will weiterhin mit einem ärmellosen Shirt antreten: "Sonst sehe ich aus wie ein Clown - obwohl, das tue ich jetzt auch schon." Dabei sieht Petkovic gar nicht wie ein Clown aus, sondern wie der Dino, der in "Jurassic Park" den dicken Dieb frisst. Vogue-Chefin Anna Wintour, immer wieder auf der Anlage, will sich zur Kreation von Stella McCartney nicht äußern. Muss sie auch nicht.

Mittwochmittag, Grandstand: Caroline Wozniacki trägt auch so ein Kragenechsenkleid. Ihr Schläger verfängt sich jedoch nicht in den Rüschen, sondern in der Haarpracht. "Ich habe mir fast den Kopf abgerissen", sagt sie. Kurze Überlegung, Wozniacki und Becker gemeinsam zum Arzt zu schicken. Die wird verworfen, als der Preis für einen Ball einer Stephens-Partie ausgerufen wird: 30 Dollar. Ein Schnäppchen.

Mittwochabend, PK-Raum: Es gibt einen Reporter, der jede Spielerin fragt, welche Regel im Tennis sie ändern würde. Ana Ivanovic fordert kürzere Pausen zwischen den Ballwechseln, Maria Scharapowa will 2500 Dollar für jede medizinische Auszeit verlangen: "Dann würde man sehen, wer wirklich verletzt ist." Venus Williams sagt: "Ich würde bestimmen, dass es verboten ist, gegen jemanden mit dem Nachnamen Williams zu gewinnen." Ihren Wunsch für den Zusatzparagrafen bei einer Partie Williams gegen Williams verrät sie nicht.

Mittwochabend: Australian-Open-Sieger Stanislaw Wawrinka schnauzt einen wild gewordenen Zuschauer an: "Halt's Maul, Mann! Ernsthaft, halt's Maul." Fast wie einst John McEnroe. Sich bei den US Open über laute Fans aufzuregen ist ungefähr so klug wie eine Beschwerde auf dem Times Square, dass die New Yorker Pizza schrecklich schmeckt. Ein Ball von einer Wawrinka-Partie kostet im Shop zehn Dollar.

Donnerstagmittag, Arthur Ashe Stadium: Novak Djokovic gewinnt souverän, er hat bei diesem Turnier erst elf Spiele abgegeben. Danach preist er die Zusammenarbeit mit Becker. "Be like Boris" sagt er nicht.

Donnerstagnachmittag, Court 5: Die Menschen brüllen und jubeln. Allerdings nicht in den großen Stadien, sondern auf diesem Nebenplatz. Victor Estrella, 34, aus der Dominikanischen Republik hat gewonnen. Schon wieder. Wohl zum ersten Mal in der Geschichte von Court 5 absolviert ein Spieler eine Ehrenrunde. Estrella weint, er hüpft über das Netz, er schüttelt jede einzelne Hand. Die Menschen erzählen sich Geschichten wie jene, dass Estrella einst seine Saiten zur Verlängerung der Haltbarkeit weicher machte, weil er sich keine neuen leisten konnte. Estrella ist nun ein Held, so ähnlich wie Mike von ESPN und Mike, der ehemalige Basketballspieler.

Freitag: Die Balljungen tragen ein Shirt, über das Herzfrequenz und Atmung gemessen werden können. Dass die Hemden bei Partien von Santa Mirza, Julia Görges und Daniela Hantuchova ganz erstaunliche Werte registrieren, ist allerdings nur ein Gerücht. Aus gegebenem Anlass dennoch die subjektive Rangliste der aufregenden Bekleidungsstücke bei diesem Turnier:

3.) Die Schuhe von Roger Federer, die von der kommenden Woche an wohl Millionen von Menschen tragen werden. 2) Das schwarze Kleidchen von Ana Ivanovic, das sonst nur Audrey Hepburn so gut gestanden hätte. 1) Das pinke Leopardenkostüm von Serena Williams, das außer ihr kein Mensch anziehen darf.

Freitagmittag, vor Court 11: Der Nadal-Kohlschreiber-Ball ist weg. Angeblich für 80 Dollar verkauft. Nun gilt es, unbedingt die nächsten Trainingseinheiten von Petkovic, Lisicki und Djokovic zu beobachten. Sicher ist: Die Kugel ist entweder am Oberteil von Andrea Petkovic, im Rucksack von Oliver Pocher oder im Ellenbogen von Boris Becker.

© SZ vom 30.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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