US-Fußball:Noch ein alter Mann

Los Angeles Galaxy Training & Press Conference

Der nächste alternde Star aus europäischen Ligen: Steven Gerrard.

(Foto: Kevork Djansezian/AFP)

Steven Gerrard spielt nun bei Los Angeles Galaxy. Der Wechsel des 35-Jährigen, der beim FC Liverpool zur Legende wurde, sagt viel aus über den Zustand der nordamerikanischen Profiliga.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Ein Plakat. Möglichst groß. Möglichst mit Hollywood-Zeichen im Hintergrund. So wird in Los Angeles die Ankunft eines Films, einer Serie oder auch eines Sportlers verkündet. Der Schauspieler Dwayne Johnson etwa prahlte kürzlich: "Ich fahre den Sunset Boulevard hinunter und sehe eine riesige Reklametafel für meinen Film San Andreas. Ich denke mir: 'Wow, das läuft.' Dann drehe ich meinen Kopf und sehe ein noch größeres Plakat für meine Serie Ballers. Das ist unglaublich, oder?" Nun, böse Menschen behaupten bisweilen, dass die Größe der Schilder und die Qualität des Produkts in reziproker Relation zueinander stehen - aber natürlich nicht im Fall von Johnson.

Es wurde noch etwas verkündet in den vergangenen Wochen. Das Plakat neben dem La Cienega Boulevard war nicht besonders groß für LA-Verhältnisse - etwa 20 Meter lang und fünf Meter hoch -, doch die Botschaft war unmissverständlich: "Greatness" stand da neben einem Bild von Steven Gerrard im Trikot des Fußballvereins Los Angeles Galaxy. Der alte Mann aus England - er feierte Ende Mai seinen 35. Geburtstag und hat seitdem auch keine Partie mehr absolviert - soll nichts weniger als fußballerische Größe nach Los Angeles und in die nordamerikanische Profiliga MLS bringen.

Wenn er im Stau steht, sieht er sich selbst auf einer Werbetafel

Nun ist Gerrard da, er wohnt wie einst David Beckham in Beverly Hills und fährt deshalb jeden Tag auf dem Weg ins Training oder zu Spielen vorbei an diesem Plakat, das ihm unmissverständlich mitteilt, was die Amerikaner da von ihm erwarten - und weil der Verkehr auf dieser Strecke schrecklich sein kann, sieht er sich da oftmals sehr lange an: "Ich glaube, dass ich hier erfolgreich sein kann - aber natürlich wird es einige Hürden geben. Aber ich kann noch immer laufen, ich kann noch immer kicken."

Am Samstagabend lief er bei einem Einladungsturnier in Carson zum ersten Mal für seinen neuen Verein auf, beim 2:1 (1:1) gegen Club America aus Mexiko wirkte er eine Halbzeit lang mit. "Ich habe genug geredet in dieser Woche - ich glaube, dass ich jede freie Minute bei einer Fernsehstation verbracht habe", sagte Gerrard am Freitag, der zum ersten Mal in seiner Profikarriere ein anderes Trikot als das des FC Liverpool oder der englischen Nationalelf trug: "Natürlich bin ich nervös, aber ich kann es auch nicht erwarten, mit meinen neuen Kollegen zu spielen."

Erstmals trägt er ein anderes Vereinstrikot als jenes des FC Liverpool

Da ist er also, der nächste alte Mann in der MLS - jener Liga, die unbedingt vom Fußballboom in den Vereinigten Staaten profitieren möchte und sich irgendwann mit den großen europäischen Ligen messen will. Die eine Fußballkultur etablieren möchte in diesem Land mit der Ausbildung heimischer Talente und Aufmerksamkeit generieren will durch den Zukauf internationaler Stars. Das ist Gerrard, gewiss, er ist noch immer ein formidabler Fußballer, der über sich selbst sagt: "Ich kann noch immer die gleichen Dinge tun wie vor zehn Jahren."

Nun, in Liverpool haben sie genau das angezweifelt. 17 Jahre hat Gerard dort gespielt, zwölf davon als Kapitän, er hat in 710 Partien 186 Tore geschossen - doch sein Platz in der Startelf sollte nicht mehr garantiert sein. "Ich wollte kein Kaderspieler oder Bankdrückdrücker sein", sagt er nun: "Ich wollte eine neue Herausforderung." Natürlich wechselt Gerrard nicht nach Los Angeles wegen des Wetters ("Es ist herrlich"), des Verkehrs ("Nicht so schlimm, wie ich dachte") oder des ruhigen Lebens ("Ich kann mit meinen Töchtern zum Santa Monica Pier gehen, ohne erkannt zu werden"). Er ist hier der Star, der er in Europa wohl nicht mehr wäre, er wird in den USA auch noch wie einer entlohnt (neun Millionen Dollar für 18 Monate).

Auf den Spuren von Kaká, Lampard und Matthäus

Der Wechsel sagt deshalb weniger über Gerrard aus als über den Zustand der MLS. Gewiss, die Liga hat enorme Fortschritte gemacht in den vergangenen Jahren, der Zuschauerschnitt ist in den vergangenen fünf Jahren um 28 Prozent auf mittlerweile 20.500 Zuschauer pro Partie gestiegen, die Seattle Sounders locken gar mehr als 40.000 Menschen pro Spiel an. Die Liga will expandieren und hat vor einem Jahr einen langfristigen Vertrag mit dem TV-Sender ESPN geschlossen. Doch noch immer verpflichtet die MLS alternde Stars aus europäischen Ligen. Zunächst waren das David Beckham, Thierry Henry und - oh, ja - Lothar Matthäus. Nun sind es Kaká,33, David Villa, 33, Frank Lampard, 37, Andrea Pirlo, 36, und eben Steven Gerrard. Es ist wie mit den Filmplakaten: Der Name ist klangvoller als die zu erwartende fußballerische Qualität.

Dem nächsten alten Mann in der Liga kann das freilich egal sein. "Ich will hier das Leben abseits des Spielfeldes genießen und Zeit mit meinen Töchtern verbringen", sagte er, fügte aber rasch hinzu: "Aber ich will natürlich auch Spiele gewinnen." Und endlich die nationale Meisterschaft - das hat er mit dem FC Liverpool nicht geschafft. Beim Team von LA Galaxy, für das Gerrard am 17. Juli erstmals in einem Liga-Spiel antreten soll, stehen die Chancen gar nicht schlecht: Der Verein hat in den vergangenen vier Jahren drei Mal den Titel gewonnen.

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