US-Fußball:Gier nach Toren

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Huckepack ins Finale: Seattles Verteidiger Roman Torres (oben) wird von Stürmer Herculez Gomez getragen. Während der Spiele ist das Verhältnis zumeist genau umgekehrt. (Foto: David Zalubowski/AP)

Das Finale der US-Fußballliga zwischen Seattle und Toronto verspricht Aufregung und Treffer - weil die Liga vor allem in Offensivspieler investiert und die Gehaltsregeln genau das erlauben.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Drei Minuten. So lange hat es gedauert, dann war das Finale der nordamerikanischen Fußballliga MLS am Samstag zwischen den Seattle Sounders und Toronto FC ausverkauft. Drei Minuten. In Zeiten, in denen die Qualität einer Veranstaltung auch an der Geschwindigkeit der Ticketverkäufe gemessen wird - die Sängerin Adele brauchte für ihre Konzerte in Australien 28 Minuten, die Rockgruppe Coldplay für ihr Neujahrskonzert in Abu Dhabi dagegen mehr als drei Stunden -, ist das ein beeindruckender Wert. Drei Minuten. Das Interesse an diesem Fußball-Endspiel und dieser Liga, es scheint gewaltig zu sein.

Es wird im amerikanischen Sport gerade heftig über das Interesse des Volkes an einzelnen Disziplinen debattiert, über Eintrittskarten und Einschaltquoten, die ja letztlich über die Einnahmen einer Liga und ihrer Vereine durch TV-Gelder, Werbung und Ticketverkäufe bestimmen. Die MLS möchte sich gerne als eine der großen Sportligen in diesem Land etablieren und gleichzeitig eine Alternative zu den Fußball-Konkurrenten aus Europa und Südamerika sein - vor allem Kinder sollen sich für diesen Sport und diese Liga begeistern.

Viele Profis sind hier gelandet, da sie auf das Pressing-Gedöns im Fußball keine Lust mehr hatten

Das scheint einstweilen zu gelingen: Insgesamt wurden in dieser Saison mehr als 7,8 Millionen Tickets verkauft, die Einnahmen über Fanartikel sind um mehr als 20 Prozent gestiegen. Die Liga hat bereits vor der vergangenen Saison Fernseh-Verträge ausgehandelt, die ihr in den kommenden sechs Jahren 90 Millionen Dollar pro Spielzeit einbringen werden. Das klingt nach gesundem Wachstum.

Die Liga vermarktet sich als aufregend und reich an Höhepunkten und Toren, in der Ausscheidungsrunde gab es einige Ergebnisse, die eher nach Eishockey klangen als nach Fußball. Toronto etwa verlor das Hinspiel im Halbfinale gegen Montréal mit 2:3 und gewann ein paar Tage später mit 5:2. "Die Leute wollen Tore sehen", sagt Garth Lagerwey, Manager von Finalgegner Seattle: "Wer talentierte Amerikaner für Defensive und Mittelfeld bekommt, ohne viel Geld auszugeben, der kann in teure Offensivkräfte aus dem Ausland investieren." Heißt übersetzt: In dieser Liga, da schießt Geld buchstäblich Tore.

Die MLS-Regeln erlauben es den Vereinen, insgesamt 3,66 Millionen Dollar pro Saison an Gehältern zu bezahlen - über die so genannte Designated Player Rule dürfen jedoch drei Akteure deutlich mehr verdienen. Wozu das führt, das ist bei den Finalisten zu sehen: Bei den Sounders verdienen Mittelfeldspieler Osvaldo Alonso und die beiden Angreifer Clint Dempsey und Nelson Valdez in dieser Spielzeit gemeinsam sechs Millionen Dollar, der Rest des Teams kommt auf 2,4 Millionen Dollar. In Toronto verdienen Spielmacher Michael Bradley und die Stürmer Sebastian Giovinco und Jozy Altidore gemeinsam gar 16,4 Millionen Dollar - knapp sieben Mal so viel wie die restlichen 17 Kaderspieler insgesamt. "Die Regeln erlauben uns, in Stars zu investieren, die die Leute sehen wollen - und die Stars im Fußball sind nun mal die Jungs, die Tore schießen können", sagt Lagerwey.

23 MLS-Akteure erhalten in dieser Saison mehr als eine Million Dollar, nur zwei davon (Torwart Tim Howard und Verteidiger Liam Ridgewell) sind keine Offensivspieler. Dafür gibt es insgesamt 56 Verteidiger, die weniger als 70 000 Dollar verdienen. "Für einen Stürmer ist diese Liga ideal, weil es zahlreiche Gelegenheiten zum Toreschießen gibt", sagt Giovinco, der in dieser Spielzeit bislang 17 Treffer für Toronto erzielt hat: "Das Schöne ist, dass es viel weniger taktische Vorgaben gibt." Das klingt ein bisschen so, als würde sich jemand an einem wilden Spiel auf dem Bolzplatz erfreuen, weil er auf das Ballbesitz- und Pressing-Gedöns im Profifußball irgendwie keine Lust mehr hat.

Natürlich verdienen die aufregenden Toreschießer und kreativen Mittelfeldspieler auch in den Profiligen in Europa und Südamerika mehr als die weniger spektakulären Toreverhinderer - allerdings ist die Gehalts-Schere auf keinen Fall derart ausgeprägt wie in der MLS: Der Brasilianer Kaká (Orlando City) ist mit einem Gehalt von 7,17 Millionen Dollar der bestverdienende Akteur, das ist 130 Mal so viel wie das Liga-Minimum von 62 500 Dollar.

Die Liga-Verantwortlichen sind sich dieser Problematik durchaus bewusst und haben im Frühjahr jedem Verein gestattet, in dieser und der kommenden Spielzeit jeweils 1,6 Millionen Dollar mehr an Gehalt auszugeben. Chicago hat Bastian Schweinsteiger gerade ein Angebot unterbreitet, demzufolge der Mittelfeldspieler in den kommenden drei Spielzeiten insgesamt 16,5 Millionen Dollar verdienen würde.

Nun aber muss erst die aktuelle Saison beendet werden. Das Finale zwischen Seattle und Toronto ist wunderbar terminiert, es gibt keine Footballspiele und auch keine bedeutsamen Partien in den Konkurrenzligen NBA (Basketball) und NHL (Eishockey). Es soll Werbung sein für diesen Sport und diese Liga - und es soll ja tatsächlich noch Menschen geben, die sich weniger für Ballbesitzstatistiken interessieren als für spektakuläre Spielzüge und schöne Tore. Das bietet die MLS ihren Zuschauern in dieser Saison. Kein Wunder, dass dieses Endspiel innerhalb von drei Minuten ausverkauft war.

© SZ vom 08.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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