US-Amerikaner im Tennis:Von der Welt überholt

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Verletzt raus in Wimbledon: Madison Keys. (Foto: AFP)

Zum ersten Mal seit 1911 steht kein US-Amerikaner im Achtelfinale von Wimbledon. Das Land der Tennisakademien und Vermarkter hat Schwierigkeiten, sein eigenes Potenzial zu nutzen - sogar die Kanadier sind besser.

Von Michael Neudecker, London

Madison Keys war gar nicht so schlecht gelaunt, wie man das erwarten hätte können, sie hat dann sogar Scherze gemacht, es ging um süßen Tee. Der Anlass ihres Auftritts aber war ja ein unerfreulicher, Madison Keys musste sich am Montag in Wimbledon verletzt abmelden, ungefähr eine Stunde, bevor ihr am Samstag wegen Dunkelheit abgebrochenes Drittrundenmatch gegen Jaroslawa Schwedowa fortgesetzt worden wäre. Sie habe eine Adduktorenzerrung, sagte sie, und, sicher, auf diese Weise habe sie Wimbledon nicht beenden wollen, aber das größte Problem sei: Sie dürfe ein paar Tage nicht Tennisspielen, das sei ihre wichtigste Beschäftigung, "ich weiß gar nicht, was ich jetzt tun soll", sagte lachend Madison Keys. Sie ist 19, sie ist jung, sie hat ihr Leben als Tennisspielerin noch vor sich, und wenn sie dem glaubt, was ihr alle sagen, war das nicht ihr letzter Auftritt in Wimbledon.

Der Interviewraum 2 war so voll, dass manche stehen mussten, Madison Keys ist eine von denen, deren Weg vor allem die amerikanische Presse aufmerksam verfolgt. Hinten im Eck saß Max Eisenbud, Tennis-Vizepräsident der weltweit größten Sportmarketing-Agentur IMG, er ist vor allem zuständig für die Großen, Scharapowa und Li Na, aber ein guter Vermarkter hat immer die Zukunft im Blick.

Madison Keys aus Rock Island, Illinois, ist eine der vielen Spielerinnen, die in der Agentur unter Vertrag stehen, kurz vor Wimbledon hat sie im Finale von Eastbourne die Deutsche Angelique Kerber besiegt. Sie ist eine von mehreren jungen Amerikanerinnen, die gerade die mittelgroßen Interviewräume bei Grand-Slam-Turnieren füllen, in Wimbledon bekam auch die 18-jährige Victoria Duval eine gewisse Aufmerksamkeit. Bei den Männern ist das derzeit etwas anders, der interessante junge Tennisspieler, den sie in den USA haben, wird, wenn alles wie erwartet weiterläuft, erst in ein paar Jahren auf der größeren Bühne zu sehen sein: Der 15-jährige Francis Tiafoe hat 2013 das weltweit wichtigste Nachwuchsturnier, den Orange Bowl in Florida, gewonnen, als jüngster Spieler jemals.

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Die Französin Alizé Cornet wirft überraschend Serena Williams raus. Die Weltranglistenerste macht an diesem vom Regen zerschnittenen Tag viel zu viele Fehler. Bei den deutschen Spielerinnen erreicht nur Angelique Kerber das Achtelfinale - Vorjahresfinalistin Sabine Lisicki muss sich gedulden.

Von Michael Neudecker

Die Zukunft ist womöglich nicht das Problem des ältesten Tennisverbandes der Welt. Das Problem ist die Gegenwart.

In Wimbledon begannen 13 Frauen und zehn Männer aus den USA im Hauptfeld. Am Samstag verlor Serena Williams in der dritten Runde, bei den Männern war am Montag nur noch John Isner übrig, er verlor sein Drittrundenmatch gegen den Spanier Feliciano Lopez in vier Sätzen. Das war fünf Stunden nach Keys' Rückzug, danach stand fest, dass das Achtelfinale in Wimbledon ohne die USA stattfindet: erstmals seit 1911. "Wir Amerikaner wurden überholt vom Rest der Welt", sagte kürzlich Pete Sampras dem Tennismagazin. Kann sein, dass Amerika mit Keys und den anderen irgendwann den Anschluss wieder findet, aber genau weiß man das nicht, sportlicher Erfolg ist nicht kalkulierbar.

Die amerikanische Tennisszene ist berühmt für alte Helden wie Sampras und Agassi und McEnroe, sie ist außerdem berühmt für ihre Akademien und ihre Trainer, zum Beispiel den kauzigen Nick Bollettieri. In Wimbledon fällt Bollettieri vor allem als Kolumnist des Independent auf, er schreibt da jeden Tag auf einer Seite über aktuelle Entwicklungen und beachtenswerte Spieler, nahezu ausnahmslos schreibt er über Spieler, die entweder in seiner berühmten Akademie ausgebildet wurden, dort gerade noch ausgebildet werden, oder Spieler, die er gerne ausgebildet hätte. Es geht um Kei Nishikori, Jo-Wilfried Tsonga, auch Grigor Dimitrov, so gut wie nie geht es um amerikanische Spieler.

Amerika ist das Land der größten Tennisakademien und mächtigsten Vermarkter, aber es sieht so aus, als hätten die Amerikaner Schwierigkeiten, ihr eigenes Ausbildungspotenzial zu nützen. "Es gibt viele talentierte Spieler, die nicht das beste herausholen", befand neulich Jim Courier, früher Nummer eins der Weltrangliste, heute Teamchef des Davis-Cup-Teams. Das Davis-Cup-Team der USA spielt das nächste Mal im September, gegen die Slowakei, in der Relegation: gegen den Abstieg.

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:Rasanter Zwilling mit eigener Armee

Bei den Australien und den French Open schaffte sie es bis ins Halbfinale. Nun überzeugt die 20-jährige Kanadierin Eugenie Bouchard auch bei ihrem zweiten Auftritt in Wimbledon und steht im Halbfinale. Ihr schneller Weg an die Weltspitze in Bildern.

Im vergangenen Jahr waren die Amerikaner schon eine große Geschichte in Wimbledon, damals erreichte erstmals seit 101 Jahren kein männlicher US-Tennisspieler die dritte Runde hier. Die amerikanischen Reporter fragten damals die Agassis und McEnroes, wie das denn passieren konnte, vor allem John McEnroe war gerne bereit, den erschütternden Status Quo des amerikanischen Tennis wortreich zu beschreiben. Am Status Quo hat sich nicht viel geändert, diesmal aber ist die größte Geschichte für die Amerikaner trotzdem eine andere: Die Suche nach Positivem führt sie zu Eugenie Bouchard und Milos Raonic. Bouchard ist 20 Jahre alt, Raonic 23, beide gelten als künftige Grand-Slam-Sieger, beide wurden in Amerika zu Tennisspielern geformt, Bouchard bei dem früheren Profi Nick Saviano, Raonic bei Bollettieri.

Bouchard besiegte am Montag im Achtelfinale die Französin Alizé Cornet, die Serena Williams rausgeworfen hatte, Raonic tritt am Dienstag zu seinem Achtelfinale gegen den Japaner Kei Nishikori an. Eugenie Bouchard hat bei ihren ersten beiden Grand-Slam-Turnieren in diesem Jahr gleich beide Male das Halbfinale erreicht, sie hat einen Fanclub, der ihr nachreist, der Fanclub nennt sich "Genie Army". In der Weltrangliste ist sie schon bis auf Rang 13 vorgerückt, Milos Raonic ist gar in den Top Ten, er ist zurzeit Neunter.

Eugenie Bouchard und Milos Raonic mischen die Tennisszene gerade ziemlich auf, es ist nur so: Sie sind Kanadier.

© SZ vom 01.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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