Urteil gegen Claudia Pechstein:Ein wertvoller Umweg

Der Indizienbeweis ist anerkannt: Das Urteil gegen Eisschnellläuferin Claudia Pechstein bringt den Kampf gegen Doping voran. Auch andere Sportverbände begeben sich schon in Position.

Thomas Kistner

Jacques Rogge, Arzt und Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), hatte das Urteil im Fall Claudia Pechstein vorab zum "Lackmustest" dafür erklärt, "ob das Langzeitprofil von der internationalen wissenschaftlichen Gemeinde bestätigt wird". Nun hat der Weltsportgerichtshof Cas die vom Eislaufweltverband ISU verhängte Sperre anerkannt - und stieß damit ein neues Tor zur Betrugsfahndung auf: Der Indizienbeweis hat bestanden. "Das dürfte die Dopingbekämpfung stark verbessern", sagt Clemens Prokop, Jurist und Chef des Deutschen Leichtathletikverbands. "Sie wird in Zukunft nicht nur isoliert auf Tests abgestellt. Die Summe der Fakten kommt ins Gleichgewicht."

Urteil gegen Claudia Pechstein: Eisschnellläuferin Claudia Pechstein bleibt nach dem Urteil des Cas gesperrt.

Eisschnellläuferin Claudia Pechstein bleibt nach dem Urteil des Cas gesperrt.

(Foto: Foto: ddp)

Die Cas-Schiedsrichter hatten sich im Urteil "entscheidend", wie es heißt, auf einen Gutachter Pechsteins gestützt. Das war der Ulmer Hämatologe Hubert Schrezenmeier, der den Blutbildungsprozess der Athletin untersuchte, aber auch einen gründlichen Gesundheitscheck durchführte: "Interessanterweise als Einziger", wie die Richter festhielten. Demnach war die Athletin körperlich "exzellent" in Form, "alle Organe und Werte waren normal, und keine Hämolyse oder blutspezifische Krankheit konnte gefunden werden".

Auch Schrezenmeiers Anamnese bei Pechsteins Familie habe keine Probleme ergeben. Die Richter schlossen daraus: "Da die Möglichkeit einer Bluterkrankung sicher ausgeschlossen werden konnte, halten die verschiedenen von der Athletin vorgetragenen Erklärungen für diese hohen Retikulozyten-Werte (junge rote Blutzellen) der wissenschaftlichen Prüfung nicht stand."

Pechstein wird weiter vors Schweizer Bundesgericht ziehen, die Sache ist noch nicht ausgestanden. Anwalt Simon Bergmann ist überzeugt, "dass der Cas die Reichweite der auch im Sportrecht geltenden Unschuldsvermutung verkannt hat. Im vorliegenden Fall gab es mit den Retikulozytenwerten nur einen einzigen Parameter, der generelle Rückschlüsse auf angebliches Blutdoping zuließ." Dem hatte ISU-Chefmediziner Harm Kuipers stets entgegengehalten, dass man sich bei der Bewertung des Falles auf das gesamte Blutbildungsmuster gestützt habe.

Bahnbrechend könnte das Urteil für die wissenschaftliche Beweisführung im Sport sein. Der Kölner Dopinglabor-Chef Wilhelm Schänzer ist nun "sicher, dass der indirekte Nachweis von Doping-Missbrauch aufgewertet wird". Bisher hatte der Sport in der Betrugsbekämpfung nur direkte Beweise geführt, den positiven Dopingtest zum - nahezu unumstößlichen - Beweismittel erhoben. Denn im Sport gilt die sogenannte Beweislastumkehr: Ein positiv getesteter Athlet muss nachweisen, dass er nicht gedopt hat.

Was selbst im Fall eines Fremdverschuldens schwerfällt, weil die Substanz ja definitiv im Athletenkörper war. Andererseits ist es im Sportgeschäft eine Binse, dass jeder halbwegs informierte Doper die gängigen Tests umgehen kann: Zu klein ist in vielen Fällen das Zeitfenster, in dem die Mittel nachweisbar sind. Viele Substanzen sind im Labor gar nicht zu erkennen. Heute - an der Schwelle des von Rogge beschworenen Gendoping-Zeitalters - sähe sich die Dopingfahndung am Ende, könnte sie nicht neue Wege gehen. Oder eben: Umwege.

Weitere Sportverbände in der Startposition Kriminalistische Indizienprozesse wurden im Sport schon geführt, der spektakulärste zu den Winterspielen 2006 in Turin, wo im Lager der österreichischen Skiläufer eine komplette Dopingausrüstung von den Nadeln bis zu Blutverdünnungsmitteln gefunden worden war. Bis zuletzt bestritten die Athleten und ihre Betreuer den Betrug, verurteilt wurden sie trotzdem. Die Indizien reichten aus, obwohl keine positive Probe vorlag.

Der Fall Pechstein hat weitere Sportföderationen in Startposition gebracht. Etwa den Skiweltverband Fis, dessen Präsident Gianfranco Kasper schon erklärt hatte, im Fall einer Verurteilung Pechsteins habe die Fis "eine Liste von Leuten, die wir genau untersuchen müssen" - er vermutete, das werde in allen Sportarten so sein. Kasper, der im IOC und in der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada sitzt, kennt die Stimmungslage bei den Kollegen: Wäre die Sperre Pechsteins gefallen, hätte die ISU "mit dem ganzen System auf lange Frist" verloren. Nun meint er wie Dopingfahnder Schänzer, das Urteil werde "eine positive Stimmung bei den Verbänden erzeugen".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: