Unterhaching vs. TSV 1860:Geist gegen Geist

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Vor dem Derby versuchen sowohl Haching als auch 1860 das Mannschaftsgefühl zu stärken - die Methoden sind sehr verschieden.

Christian Zaschke und Volker Kreisl

Beim letzten Mal hat Salzburg gewirkt. Vor dem Spiel gegen den Karlsruher SC war der TSV 1860 München nach Österreich ins Trainingslager gefahren und hatte anschließend 2:0 gewonnen und wichtige Punkte im Abstiegskampf gesammelt. Ob Salzburg zweimal wirkt?

Vor der Partie bei der SpVgg Unterhaching am heutigen Dienstag (17.30 Uhr) ist der TSV 1860 erneut nach Österreich gefahren, geleitet von der Frage: Was müssen wir tun, um den Erfolg aus der Partie gegen Karlsruhe zu wiederholen? Hilfe bei der Beantwortung dieser Frage lieferte erneut Michael Reinprecht, der Sportwissenschaftler, der bereits beim ersten Ausflug nach Salzburg fürs mentale Training gesorgt hatte.

Am Sonntagabend arbeiteten Trainerteam und Spieler in Gruppen an der Frage, wie denn der Erfolg zu wiederholen wäre. Jede Gruppe bestimmte einen Sprecher, der die Ergebnisse der jeweiligen Überlegungen an einem Flip-Chart vortrug. "Das waren alles gute Ergebnisse", erzählte Trainer Walter Schachner, "wenn wir am Dienstag im Spiel alles so machen, wie wir es hier besprochen haben, dann werden wir Erfolg haben, sprich: eine gute Leistung zeigen." Besprochen wurde unter anderem, dass Konzentration wichtig sei, ferner zu schauen, was man selber beeinflussen kann und genau daran arbeiten.

Also trainierte die Mannschaft am Montag Standardsituationen. Das taktische Training ist seit einer Woche auf Unterhaching ausgerichtet, nun arbeitet Schachner am letzten Schliff. Er zeigte den Spielern noch einmal die Aufzeichnung der Partie gegen Karlsruhe. "Das wollte ich schon am Donnerstag tun, da hat der DVD-Player nicht funktioniert", sagte Schachner, "aber jetzt hat es ohnehin besser gepasst." Er wies die Profis auf ihre eigene Körpersprache hin.

Die vielen Risse kitten

"Die war in sehr vielen Situationen top", sagte der Trainer, "das war anders als zuvor." Im Kern all dieser Übungen steht der Wille des Trainers, den Teamgeist aufzubauen, den er lange in der Mannschaft vermisst hat. "Es soll einer für den anderen da sein, sie sollen sich aufeinander verlassen können", sagte er, "es soll sein, wie bei den Musketieren: ,Einer für alle, alle für einen."

Die Stimmung, berichtet er, sei jedenfalls prächtig. "Wir haben schönes Wetter, gutes Essen und gute Trainingsmöglichkeiten." Der Fußballplatz liegt eine kurze Busfahrt vom Hotel entfernt, er ist von einer Laufbahn umsäumt, auf der viele junge Menschen trainieren. Das Panorama bilden die Berge. Idyllisch sieht das alles aus, und es fällt schwer zu glauben, dass dort eine Mannschaft trainiert, die im Abstiegskampf steckt und sich vorbereitet auf das Duell mit einer Mannschaft, die ebenfalls noch absteigen kann.

Ob es Schachner gelingt, mit zwei Trainingslagern die vielen Risse zu kitten, die er zuletzt im Gefüge ausgemacht hatte? Mit einem Sieg gegen Unterhaching wären die Sechziger wohl gerettet und könnten sich der Planung für die kommende Saison zuwenden. In der Vorbereitung will Schachner weiter auf das setzen, was er "Teambuilding" nennt - der Mannschaft einen Geist einpflanzen, der die vielen Einzelinteressen überlagert.

Sollte das Trainingslager tatsächlich ein zweites Mal wirken, so ist jetzt schon klar, wovon später in einer gut abgehangenen Floskel des Fußballs gesprochen wird: vom Geist von Salzburg.

Es gibt diese Momente, da denken die treuesten Menschen ans Hinschmeißen. Nicht ernsthaft natürlich, das Davonlaufen ist nur eine Vorstellung, ein Ventil, um etwas vom Druck abzulassen, der sich aus einer intensiven Beziehung ergibt. Ein Priester zweifelt schon mal an seinem Glauben, oder ein Vater an seinen Kindern, oder ein Manager wie Norbert Hartmann, der seit elf Jahren die Geschicke der SpVgg Unterhaching lenkt, sagt: "Wissen Sie, es kotzt mich an."

Seine Hachinger sind wieder mal selbst verschuldet in große Nöte geraten. Sie haben eine beeindruckende Serie vorgelegt. Sie haben jetzt sieben Spiele hintereinander nicht gewonnen. Kurz davor hatten sie fünf Spiele hintereinander gesiegt, und Harry Deutinger galt fast als Wundertrainer. Denn davor wiederum hatten die Hachinger acht Spiele hintereinander nicht gewonnen, weshalb sie im Herbst eine der ersten Abstiegskandidaten waren.

Die radikalen Richtungswechsel gab es aber auch schon in den Spielzeiten davor, unter den Trainern Brehme und Frank. Mal spielen die Hachinger wochenlang wie Aufsteiger, mal monatelang wie Absteiger, aber nie so, wie es sich ihre Erschaffer wünschen: Siege und Niederlagen sollen sich abwechseln, konstant soll die SpVgg voran kommen, in der Art eben, wie Haching wirtschaftet. Risikofrei, seriös, berechenbar.

So sieht auch die Krisenarbeit aus. Anders als 1860 wählt Haching als Refugium vor dem Derby jene Gemeinde, in die der Klub seit fünf Jahren fährt. Sie holen sich keinen Mentaltrainer, experimentieren nicht mit Motivationsübungen, imitieren keine Gefahrengemeinschaft im Hochseilgarten oder im Wildwasser.

Spezielle Ursachen

Haching war am Wochenende wieder in Grassau am Chiemsee, in jenem Hotel, dessen Personal die Wünsche der Zweitligaspieler längst kennt, dessen Speisekarte, Saunaräume und Matratzenhärte den Fußballern vertraut sind. Haching wirkt wie eine Familie, die ihren Urlaub schon immer in Lido di Jesolo an der Adria verbringt. Zur Besinnung setzt der Klub weniger auf Wachrütteln als auf Ruhe. "Wir fühlen uns wohl in Grassau", sagt Hartmann.

Jede Fußballkrise hat spezielle Ursachen. Haching leidet nicht an Fehlschaltungen in der Mannschaft, an Streit oder Arbeitsverweigerung. Wenn Haching aufs falsche Gleis gerät, dann deshalb, weil es der Mannschaft irgendwann zu gut geht, weil sie dann nur noch 80 Prozent gibt, Niederlagen kassiert und danach an sich zweifelt. Deutinger setzt deshalb auf konservative Behandlung. Niemand wird gefeuert, stattdessen wird eine Umgebung geschaffen, in der alles stimmt, die an frühere Erfolge erinnert, in der es keine fremden Einflüsse gibt. Darin, glaubt Hartmann, kann der Hachinger Mannschaftsgeist gedeihen.

Die Hachinger Verunsicherung hatte ihren Auslöser in der Routine des letzten Aufwärtstrendes, und sie wird verschwinden durch die Gewissheit, dass der nächste Aufwärtstrend kommt. Letztlich ist es das, was im Trainingslager vermittelt wird, was die Hachinger seit Jahren zusammenhält und einen Manager wie Hartmann an seinen Verein glauben lässt, auch wenn er manchmal verzweifelt. Die nächste Serie kommt gewiss, der nächste Marsch nach oben, der nächste Sturz, der nächste Ausflug nach Grassau.

© SZ vom 2. Mai 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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