United-Coach Ferguson will Kagawa:Getarnt mit Kaugummi

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich Manchester United für Dortmunds Dribbler Shinji Kagawa interessiert. Seine starke Leistung im DFB-Pokalfinale ist schlecht für das Unternehmen BVB: Sie war wohl der vielleicht entscheidende Kagawa-Schritt in Richtung Manchester. Zumindest im Team gilt sein Abschied als sicher.

Boris Herrmann

Alex Ferguson hat durchaus versucht, so verdeckt zu ermitteln, wie man das von einem britischen Spion erwarten darf. Er saß auf der Haupttribüne, bewegte sich nur, wenn es unbedingt nötig war und kaute handgestoppte 90 Minuten lang auf einem Kaugummi herum. Ganz unauffällig.

Ein Problem seiner Tarnung bestand allerdings darin, dass neben dem Trainer von Manchester United auch noch sein Assistent Mike Phelan Platz genommen hatte. Damit war schon einmal die Vermutung hinfällig, es könnte sich hierbei um einen Privatausflug in die derzeit schwer erreichbare deutsche Hauptstadt gehandelt haben.

Und es hat dann auch nur noch ein paar Minuten gedauert, bis die beiden englischen Späher in den Fokus der Fernsehkameras gerieten. Als der Dortmunder Shinji Kagawa unten auf dem Rasen den Torreigen eröffnete, war Sir Alex oben auf den Rängen bereits der Kreativ-Spionage überführt.

Mister Ferguson war wegen Kagawa gekommen, darüber konnte kein Kaugummi dieser Welt hinwegtäuschen. Es ist ja auch längst kein Geheimnis mehr, dass er sich für den quirligen Offensivgeist interessiert. Ferguson und Phelan hatten den Trip aber sogar am Abend vor dem entscheidenden Spiel um die Meisterschaft in der englischen Premier League für lohnenswert erachtet.

Und das sagt doch einiges darüber aus, wie groß das Interesse inzwischen sein muss. Manchester United sucht nach Wegen und Möglichkeiten, den aufmüpfigen Stadtrivalen Manchester City im kommenden Jahr wieder in die Schranken zu verweisen. Ein Weg und eine gute Möglichkeit könnte Shinji Kagawa sein.

Fest steht, dass der 23-jährige Japaner sein Ansehen bei Ferguson mit diesem Pokalfinale nicht verschlechtert haben kann. Er war im wörtlichen Sinne der Drehpunkt des Dortmunder Spiels. Und dass sich die Münchner Defensive an diesem Abend so seltsam desorientiert präsentierte, hatte wohl viel mit Kagawas schwindelerregenden Laufwegen zu tun. Sein Abstauber zum 1:0 nach drei Minuten gehörte noch zu seinen leichtesten Übungen.

Schon wesentlich kunstvoller war der Steilpass, mit dem der Japaner kurz vor der Pause das 3:1 durch Lewandowski einleitete. Oder die gewitzte Spieleröffnung vor die Füße des Sprintkönigs Großkreutz, die zum 4:1 (natürlich durch Lewandowski) führte. Im Grunde war jede dieser Aktionen gut und schlecht für das Unternehmen BVB. Sie taten den Bayern schrecklich weh. Sie waren allerdings auch die nächsten, und vielleicht entscheidenden, Kagawa-Schritte in Richtung Manchester.

Die Dortmunder Lach- und Schießgesellschaft ließ sich von etwaigen Abschiedsgefühlen selbstredend nicht die Nacht respektive den Morgen verderben. Aber das Gefühl, dass hier einer der spektakulärsten Fußballer der vergangenen zwei Jahre seine Abschiedsgala auf deutschem Boden gibt, das hing schon in der Luft.

Dortmund plant zweigleisig

Kagawa kann zwar inzwischen weitgehend akzentfrei das schöne Lied "Wir sind alle Dortmunder Jungs" mitgrölen, seine tief verwurzelte Liebe für den englischen Fußball ist aber ebenso verbürgt. In Dortmund liegt ihm seit geraumer Zeit eine unterschriftsreife Vertragsverlängerung vor. Er hatte stets betont, er werde sich erst nach dem Pokalfinale entscheiden. Auf dem Weg zur Pokalparty im Berliner E-Werk ließ er nun ausrichten: "Ich weiß es noch nicht."

Seine Mitspieler wissen da offenbar schon mehr. Jedenfalls ahnen sie etwas. Kapitän Sebastian Kehl sagte: "Ich hoffe, dass er bleibt, wobei ich befürchte, dass er gehen wird." Und bei Mats Hummels' Statement waren bereits Züge eines Nachrufs herauszuhören. "Ich wünsche ihm nur das Beste!"

Kagawas gegenwärtiger Vertrag läuft im Sommer 2013 aus. Um ihn nicht kostenlos zu verlieren, muss die Borussia den Asiaten jetzt verkaufen. Das sportliche Führungstrio um Jürgen Klopp, Michael Zorc und Hans-Joachim Watzke hat in den zurückliegenden Jahren gewiss nicht viele strategische Fehler gemacht.

Wenn sich die drei Männer überhaupt etwas vorhalten lassen müssen, dann vielleicht das Versäumnis, mit Kagawa nicht langfristig verlängert zu haben, als die Gelegenheit dafür günstig war - während seiner langen Verletzung im vergangenen Jahr. Das wiederum lässt sich im Nachhinein leichter behaupten, als es im Voraus zu erkennen war.

Dortmund plant in dieser Personalie seit Wochen zweigleisig. Und bei aller Zuneigung zu diesem kleinen Zauberer - auch das zweite Gleis wäre für den Verein allemal befahrbar. Zum einen ist Kagawa vor zwei Jahren für eine Ausbildungsentschädigung von 350.000 Euro von Cerezo Osaka gekommen.

Und wenn er jetzt für einen mutmaßlich zweistelligen Millionenbetrag wieder geht, dann hat er dem BVB (neben drei Titeln) auch zu einer Rendite verholfen, auf die alle Börsenmanager dieser Welt stolz wären. Im Übrigen wissen sie in Dortmund natürlich: Im nächsten Jahr spielen wir hinter der Spitze mit Götze und Reus - und die waren bei der Pokalsause im Olympiastadion noch nicht einmal dabei.

Vielleicht war das auch besser so. Denn wer weiß, auf welche Gedanken der Spitzel aus Manchester sonst noch gekommen wäre? Er hatte auch so reichlich Anlass, sich interessante Namen für die nähere oder fernere Zukunftsplanung zu notieren. Den souveränen Ilkay Gündogan etwa oder den dynamischen Lukasz Piszczek. Beide haben im Gegensatz zu Kagawa langfristige Verträge. Sir Alex aber wird bestimmt gerne wiederkommen.

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