Unentschieden gegen Irland:Der Weltmeister hat Angst

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Überrumpelt vom späten Ausgleich: Lukas Podolski (links), Erik Durm (Mitte) und Thomas Müller

(Foto: AFP)

Die DFB-Elf verschläft gegen Irland die spielentscheidenden Momente und kassiert in der Nachspielzeit den Ausgleich. Löws Team gerät nun in der EM-Qualifikation gehörig unter Druck. Dabei schien ein Scheitern doch gar nicht möglich zu sein.

Von Ulrich Hartmann, Gelsenkirchen

Es ist Dienstagnacht im Keller der Gelsenkirchener Fußballarena auch um das Thema Angst gegangen. Angst, ausgerechnet, beim Weltmeister. Aber vielleicht auch gerade deswegen. Vielleicht, weil jetzt die ganze Welt weltmeisterliche Leistungen erwartet von einer Mannschaft, die einige ihrer solidesten Spieler derzeit nicht dabei hat und offenbar unter einer Art posttriumphaler Melancholie leidet. "Man hat am Ende die Angst gespürt, noch ein Gegentor zu bekommen", sagte der Innenverteidiger Mats Hummels, "und wenn sich diese Angst breitmacht, dann passiert es eben meistens auch so, dass man sich noch eins fängt".

Angst beim Weltmeister. Ausgerechnet nach einer Führung gegen die Iren in einem Heimspiel, vor dem der Bundestrainer im Vorfeld gesagt hatte: "Wenn wir in Führung gehen, dann werden wir das Spiel auch gewinnen." Und dann so was: Die deutsche Mannschaft mit der allseits bekannten Gewinnermentalität hat sich beim 1:1-Unentschieden gegen Irland mit einem Gegentor in der vierten Minute der Nachspielzeit einen dringend benötigten Sieg in der Europameisterschafts-Qualifikation noch aus den Händen reißen lassen.

Löws Theorie vom Vertrauen spendenden Führungstor (Toni Kroos in der 71. Minute) verkehrte sich ins Gegenteil. Die Führung machte die Deutschen erst recht nervös. "Nach dem Führungstor haben wir ängstlich gespielt und mutlos", klagte Torwart Manuel Neuer, "wir haben den Ball nur noch zurückgespielt, uns dabei aber nicht mehr angeboten, sondern versteckt."

Aus Neuers Tonfall klang dabei genauso viel Unverständnis über die späte Verunsicherung wie aus den Worten des Innenverteidigers Jérôme Boateng, der in seinem typisch phlegmatischen Duktus monierte: "Es kann einfach nicht sein, dass wir in den letzten Minuten den Ball hundert Mal verlieren, die Iren zu langen Bällen und Freistößen einladen und dann beim Gegentor im Strafraum auch noch in Unterzahl sind."

Ja, gestand auch Lukas Podolski im Ton eines Angeklagten, "man kann uns vorwerfen, dass wir am Ende zu viele lange Bälle geschlagen haben, statt mit unseren technisch guten Spielern einfach den Ball zu halten". Dies könne man der Mannschaft vorwerfen, wiederholte Podolski, "aber nicht, dass wir ein schlechtes Spiel gemacht haben".

70 Minuten lang hatte der Weltmeister versucht, ein kompaktes irisches 5-4-1 auszuhebeln und mit wahnsinnig viel Ballbesitz durch das Dickicht irischer Abwehrspieler zu gelangen - was aber deshalb nicht klappte, weil die Gastgeber bescheiden flankten, schwach köpften, zu selten präzise fernschossen und vor allem mangels effektiven Kurzpassspiels aussichtsreich in den gegnerischen Strafraum einzudringen versäumten. Sie war bemüht - hätte im Zeugnis dieser deutschen Mannschaft gestanden, und das wäre für alle okay gewesen, wenn der 20-Meter-Innenpfosten-Schuss von Toni Kroos in der 71. Minute zum 1:0 das einzige Tor des Tages geblieben wäre. Doch das blieb es nicht.

In der vierten Minute der Nachspielzeit spitzelte der aufgerückte Innenverteidiger John O'Shea den Ball ins deutsche Tor. Eine von zwei Chancen hatten die grünen Männer zum schmeichelhaften Ausgleich genutzt. "Es herrschte Ratlosigkeit in der Kabine", erzählte Mittelfeldmann Matthias Ginter hinterher: "Es war sehr still." Wohl auch deshalb, weil die deutsche Mannschaft, der Weltmeister, nun ordentlich Druck bekommt in einer EM-Qualifikation, an der zu scheitern eigentlich gar nicht richtig möglich ist.

"Wir müssen jetzt aufwachen"

2016 in Frankreich spielen erstmals 24 Teams mit, also qualifizieren sich sicher die ersten beiden Teams jeder der neun Qualifikationsgruppen, der beste Dritte ebenfalls noch direkt, und die acht restlichen Gruppendritten spielen in Playoffs noch einmal vier EM-Teilnehmer aus. In solch einem großzügigen Modus kann eine Mannschaft wie die deutsche eigentlich gar nicht scheitern, aber nach einem mauen 2:1-Sieg gegen Schottland, einer 0:2-Niederlage in Polen und diesem 1:1 gegen Irland steht das Team vom Bundestrainer Joachim Löw nun auf dem vierten Tabellenplatz.

"Die Qualifikation könnte jetzt eine Zitterpartie werden", sagt Mats Hummels, "aber Drucksituationen hatten wir bei der WM auch, als wir ein Mal nur unentschieden gespielt und zwei Mal erst in der Verlängerung gewonnen haben." Jeder müsse jetzt wissen, in welcher Lage man sich befinde, sagt Boateng. "Wir müssen jetzt aufwachen und jedes Spiel gewinnen."

Aufwachen. Der Weltmeister schläft also noch. Er spielt seine Spiele durchaus dominant, aber er verschläft bislang die spielentscheidenden Momente. Und im Vertrauen auf seine Stärken und auf die Rückkehr solch bedeutsamer Spieler wie Bastian Schweinsteiger, Mesut Özil, Sami Khedira oder Marco Reus machen sich die Spieler auch nicht wirklich allzu große Sorgen darum, die Einladung zur EM 2016 in Frankreich auszuschlagen.

"Wenn wir so weiterspielen und uns in jedem Spiel ein bisschen steigern, dann werden wir die Ergebnisse abrufen können", prophezeit Hummels. "Ich bin mir 100-prozentig sicher, dass wir die Qualifikation schaffen", sagt Lukas Podolski.

Joachim Löw, dem im deutschen Spiel "Breite und Tiefe" gefehlt hatten und den in der Endphase des Spiels "Nervosität und Kontrollverlust" irritierten, vertröstet das deutsche Publikum aufs kommende Jahr.

Am 14. November geht es in Nürnberg noch gegen den Fußballzwerg Gibraltar und im März nach Georgien, aber die entscheidenden Spiele sind dann erst im Herbst 2015 gegen Polen, in Schottland und in Irland. "Gegen Gibraltar werden wir gewinnen, dann werden wir uns sammeln, Kräfte bündeln, einige Spieler zurückbekommen - und im nächsten Jahr schlagen wir wieder zurück!" Von Angst will im deutschen Team dann niemand mehr etwas wissen.

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