Umstrittener Radprofi holt Olympia-Gold:Ausgerechnet Winokurow!

Blutdoping, vermutlich gekaufte Siege: In der Vita des Radfahrers Alexander Winokurow findet sich so ziemlich alles, was sich dort nicht finden sollte. In London sollte der Kasache deshalb eigentlich gar nicht am Start sein - nun gewinnt er Gold. Und verbittet sich unangenehme Fragen.

René Hofmann, London

Die Bühne war bereitet und ein vermeintliches Siegerbündnis geschmiedet. Mehr als eine Millionen Zuschauer säumten am Samstag die Strecke, die auf Londons Prachtstraße "The Mall" begann und endete und sich dazwischen in zahlreichen Kurven über neun Runden durch das grüne, hügelige Land um die britische Hauptstadt schlängelte. Straßen-Radrennen der Männer: Das sollte die erste Goldmedaille für die Gastgeber bringen.

London 2012 - Radsport Straße

Überraschendes Gold auf den Straßen von London: Alexander Winokurow.

(Foto: dpa)

Mark Cavendish hieß der große Hoffnungsträger in dem Sport, der durch den Sieg von Bradley Wiggins bei der Tour de France auf der Insel einen gewaltigen Aufschwung erfahren hat. Cavendishs Stärke ist der Sprint. Beim Deutschen Andre Greipel ist das genauso. Bis zu fünf Fahrer dürfen die Nationen bei Olympia an den Start bringen. Die Deutschen und die Briten, das war schnell klar: Sie würden lange zusammenarbeiten, damit Cavendish, 27, und Greipel, 30, am Ende um den Sieg würden sprinten können. Cavendish und Greipel - beide hätten Olympia zum Auftakt ein Lächeln geschenkt.

Es war ein schöner Plan. Er ging nur nicht auf. Am Ende standen die Briten traurig da, die Deutschen auch - und der ganze Radsport wieder einmal beschädigt.

Das olympische Straßenrennen über 249,5 Kilometer gewann nach 5:45:57 Stunden der Kasache Alexander Winokurow. Acht Kilometer vor dem Ziel waren er und Rigoberto Uran einer Gruppe enteilt, die vor dem Peloton herjagte, in dem die Briten und die Deutschen sich vergeblich mühten, den Anschluss wieder herzustellen. Auf den entscheidenden Metern hängte Winokurow den Kolumbier dann locker ab, bevor er mir weit ausgebreiteten Armen unter der Uhr hindurch rollte - im Hintergrund der Buckingham Palace.

Es hätte ein schönes Bild sein können. Doch es war eines, das eher nachdenklich stimmte. Uran wurde Zweiter, Alexander Kristoff aus Norwegen gewann den Sprint der Verfolger um Platz drei acht Sekunden später. Greipel kam als Erster des Hauptfeldes an, was mit 40 Sekunden Rückstand Platz 27 bedeutete. Cavendish wurde zeitgleich Neunundzwanzigster. Als er gefragt wurde, was er zum Sieg von Winokurow sage, fiel Andre Greipel wenig ein: "Ja gut, das war der letzte Sieg seiner Karriere."

Alexander Winokurow ist 38 und in seiner sportlichen Vita findet sich so ziemlich alles, was sich dort nicht finden sollte: Im Jahr 2007 wurde er bei zwei Etappen der Tour de France des Blutdopings überführt. A- und B-Probe ließen wenig Zweifel. Er wurde von seinem Team entlassen und von den Sportautoritäten für ein Jahr gesperrt. 2009 kehrte er zurück. Verschwunden sind die düsteren Nachrichten um ihn seit dem nicht. Zuletzt wurde bekannt, dass er sich auch Siege gekauft haben soll.

"Der Sieger ist noch beim Doping"

In London darf Winokurow überhaupt nur mitmischen, weil der internationale Sportgerichtshof die sogenannte Osaka-Regel aufhob, die Athleten, die eine mehr als sechs Monate lange Dopingsperre hatten, automatisch von den nächsten Olympischen Spielen ausschloss. "Ihr werdet nicht dadurch geehrt, dass ihr gewinnt, sondern dadurch, wie ihr euch im Wettbewerb gebärdet": Das hat Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, am Freitag bei der Eröffnungsfeier den Athleten zugerufen. Wenn es einen gibt, für den das nicht gilt, dann ist das Winokurow.

Selbst Pat McQuaid, der Präsident des Radsport-Weltverbandes, der bisher selten durch Berührungsängste mit umstrittenen Figuren auffiel, war offensichtlich nicht ganz wohl dabei, als er Winokurow bei der Siegerehrung zu dem Überrasschungs-Coup gratulieren musste. Und im Pressesaal war kurz darauf die Erheiterung groß, als eine Helferin erklärte, der Auftritt der besten Drei verzögere sich: "Der Sieger ist noch beim Doping."

Nach der Doping-Probe verkündete Winokurow ungerührt, Fragen zu seiner Vergangenheit als überführter Betrüger werde er nicht beantworten: "Das Kapitel 2007 ist für mich beendet. Ich habe beweisen dass ich zurückkehren und wieder gut auf dem Fahrrad sein kann." Er danke seiner Familie, die immer zu ihm gehalten habe.

Bei der Tour der France hat er in diesem Jahr keine Etappe gewonnen. Jetzt steht er mit Olympia-Gold da. Am Zeitfahren am Mittwoch will er noch teilnehmen. Aber danach werde Schluss sein mit der Karriere, dabei bleibe es.

Im Zeitfahren starten will auch Tony Martin, der am Samstag nach 181 Kilometern wegen Schmerzen im Handgelenk aufgab. Der 27-Jährige hatte sich bei einem Sturz auf der ersten Etappe der Tour de France vor vier Wochen das Kahnbein der linken Hand gebrochen. Mit dem Lenker, der im Zeitfahren zum Einsatz kommt, wird das Körperteil weniger stark belastet. Außerdem ist die Straße, auf der dann gefahren wird, breiter und ebener.

Ungewiss ist, ob Fabian Cancellara dann antreten wird. Der Schweizer Olympiasieger von 2008 stürzte am Samstag 15 Kilometer vor dem Ziel, als er die Spitzengruppe anführte. Dabei landete er auf der Schulter, in der er sich Anfang April bei der Flandern-Rundfahrt das Schlüsselbein an drei Stellen gebrochen hatte. Er beendete das Rennen als 106. und den Tag anschließend im Krankenhaus.

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