Umstrittene Reifentests in der Formel 1:Eine Sportart mit sehr speziellen Tricks

Pirelli bringt vorerst keine neuen Reifen

Die Umstrittenen Tests mit Reifen von Pirelli sind der Grund der Gerichtsverhandlung.

(Foto: dpa)

Vor dem Sportgericht versucht das Formel-1-Team von Mercedes, seine Rolle beim geheim gehaltenen Reifentest herunterzuspielen - und attackiert die Konkurrenten von Ferrari scharf. Ein Urteil ist noch nicht gefallen, doch die Verhandlung brachte erhellende Einblicke in die Formel-1-Welt.

Von René Hofmann

Die Formel 1 ist eine große Verkaufs-Show. Das ist schon daran zu erkennen, dass sich die Protagonisten bei den Rennen stets in Uniformen ihrer Unternehmen zeigen. An diesem Donnerstag trafen sich nicht wenige Formel-1- Größen in Paris: Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton hatte für den Termin extra den Urlaub unterbrochen. Auch sein Vorgesetzter, Teamchef Ross Brawn, erschien artig. Aber als Werbung war der Auftritt nicht zu sehen.

Ausnahmsweise ging es einmal nicht ums Verkaufen. Es wurde verhandelt: Die Anhörung über den umstrittenen Test stand an, den das Mercedes-Werksteam im Mai unmittelbar nach dem Großen Preis von Spanien auf dem Circuit de Catalunya bei Barcelona zusammen mit Formel-1-Reifenlieferant Pirelli unternommen hatte.

Red Bull und Ferrari sehen in den Extra-Runden einen Verstoß gegen das Sportliche Reglement, in dem Testfahrten während der Saison mit aktuellen Autos aus Kostengründen generell verboten sind. Mercedes droht eine Strafe, die von einer Ermahnung bis zum WM-Ausschluss reichen kann. Über die Sanktionen wird erst am Freitag entschieden. Doch schon die Verhandlung brachte erhellende Einblicke in die sehr spezielle Formel-1-Welt.

Getagt wurde ab 9.30 Uhr im fünften Stock des Hauptquartiers des Automobilweltverbandes FIA am Place de la Concorde in Paris. Der Fall war der erste große, mit dem sich das International Tribunal auseinandersetzen musste, das der Franzose Jean Todt nach seiner Übernahme des Präsidentenamtes als unabhängige juristische Instanz der FIA etabliert hat. Den Vorsitz führte der Brite Edwin Glasgow. Ihm zur Seite saßen vier weitere Richter: der Brite Anthony Scott-Andrews, der Schweizer Patrick Raedersdorf, der Monegasse Laurent Anselmi und Chris Harris aus den USA.

Mercedes wurde von Formel-1-Teamchef Ross Brawn repräsentiert, Pirelli von Sportchef Paul Hembery. Ferrari und McLaren hatten Beobachter entsandt, Red Bull sogar den Chef seines Formel-1- Teams Christian Horner. Er und sein Ferrari-Pendant Stefano Domenicali hatten den Fall mit einer Anzeige beim Großen Preis von Monaco, den Mercedes-Fahrer Nico Rosberg gewann, ins Rollen gebracht.

Die Standpunkte der FIA trug der Anwalt Mark Howard vor im Duktus einer Anklage vor: Mercedes und Pirelli hätten gegen Paragraf 151c des Sporting Codes verstoßen, der "jedes betrügerische Verhalten oder jede Handlung zum Nachteil der Interessen eines Wettbewerbs oder den Interessen des Motorsports im Allgemeinen" unter Strafe stellt. Es sei schwer zu glauben, "dass Mercedes aus diesem Test keinen Vorteil gezogen habe", so Howard. Die Proberunden seien keineswegs von der FIA abgesegnet gewesen. Zwar habe es am 2. Mai eine E-Mail-Anfrage des Mercedes-Sportdirektors Ron Meadows an FIA-Renndirektor Charlie Whiting und später am gleichen Tag auch einen Anruf von Teamchef Ross Brawn gegeben, ob ein Test mit einem aktuellen Auto erlaubt sein könnte.

Whitings Antwort, dies sei generell nicht ausgeschlossen, sei aber keineswegs als rechtlich verbindlich zu werten. Das eventuelle Ja sei auch an Auflagen geknüpft gewesen, die Mercedes und Pirelli allesamt nicht eingehalten hätten: Dass die anderen Formel-1-Teams über das Vorhaben informiert werden und ebenfalls zu einem solchen Test eingeladen werden müssten.

Auf dem Spiel steht die Zukunft

Mercedes erwiderte dem: Whiting gelte in allen Formel-1-Fragen als Instanz. Man habe den Test nicht selbst initiiert, sondern Pirelli lediglich helfen wollen, ein sicherheitsrelevantes Reifenproblem zu lösen: dass sich unter gewissen Umständen die Lauffläche von den Formel-1-Reifen löst. Auch Jenson Button (McLaren), Sebastian Vettel (Red Bull) und Pedro de la Rosa (Testfahrer Ferrari) hätten dieses Problem öffentlich beklagt. Aus diesem Grund hätte man sich Pirelli als Dienstleister zur Verfügung gestellt. "Pirelli kontrollierte und stoppte die Autos", führte Mercedes-Anwalt Paul Harris aus, die Firma mit dem Stern habe "wie ein zeitweiliger Pirelli-Angestellter" agiert, "wie die Streckenposten und die Catering-Helfer auch".

Außerdem - und an dieser Stelle brachte der Prozess durchaus spannende Neuigkeiten - gebe es eine eklatante Ungleichbehandlung in der Formel 1. Schließlich habe Ferrari zwei ähnliche Testfahrten absolviert. Eine im April 2013, bei der Testfahrer Pedro de la Rosa ein 2011er-Auto steuerte, und eine als Vorbereitung auf den Großen Preis von Spanien 2012, bei der Rennfahrer Felipe Massa in einem 2010er-Auto mehr als 1000 Kilometer absolviert hatte. Als Beleg, dass sich auch mit zwei Jahre alten Autos, durchaus brauchbare Daten gewinnen lassen, wurden Rundenzeiten verlesen - und eine vertrauliche E-Mail zwischen Ferrari- und Pirelli-Ingenieuren. Die Konklusion des Mercedes-Anwaltes: "Wenn wir die Regeln gebrochen haben, dann hat sie Ferrari auch gebrochen!"

Hier gewährte der Fall einen vielsagenden Blick auf die Macht-Tektonik des Sports. Auch gegen Ferrari hatte es Ermittlungen gegeben. Jean Todt, vor seiner Wahl zum FIA-Chef mehr als zehn Jahre lang Ferrari-Teamchef, hatte jedoch entschieden, den Fall einzustellen und nicht ans International Tribunal zu verweisen. Mit welchen Tricks gespielt wird, wer mit wem kann und wer mit wem Allianzen schmiedet - auch das wird an solchen Tagen am Place de la Concorde deutlich.

Pirelli hatte vor der Anhörung angedeutet, ein harsches Verdikt nicht akzeptieren zu wollen und zivilrechtliche Schritte gegen die FIA zu erwägen. In der Anhörung trat die Firma zurückhaltender auf. Sie verwies hauptsächlich darauf, dass sie gar kein direkter Teilnehmer an dem Wettbewerb sei und deshalb von der FIA wohl auch nur schwer sportrechtlich bestraft werden könne.

Im Fall einer empfindlichen Strafe gilt es als unwahrscheinlich, dass der Reifenlieferant Lust hat, seinen auslaufenden Kontrakt als Formel-1-Ausrüster zu erneuern. Bei Mercedes steht angeblich die Zukunft von Teamchef Ross Brawn auf dem Spiel. Und womöglich sogar die des ganzen Formel-1-Projektes.

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