Ultras im deutschen Fußball:Kruder, schwarzer Block

Karlsruher SC v RB Leipzig  - 2. Bundesliga

Bullenseuche? Die Fans des Karlsruher SC protestieren.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Droht die Stimmung in deutschen Stadien endgültig zu kippen? Hinter dem Begriff "Ultras" tarnt sich derzeit vieles. Polizei und Vereine sind solo überfordert. Sie müssen gemeinsam eine Null-Toleranz-Strategie definieren.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Zunächst einmal sei vor Hysterisierung gewarnt. Wer das Zweitliga-Spiel des Karlsruher SC gegen RB Leipzig einer Einzelfall-Betrachtung unterzieht, kommt womöglich zu folgendem Urteil: War da was? Offiziell 17 829 Zuschauer hatten sich zum Montagsspiel eingefunden, und gemessen an der Gefahrenlage, die vorher skizziert wurde, ist dort wenig passiert. Es gab kleinere Vorfälle, die in jener Zeit, in der die Aufregungskultur noch nicht solche Hitzewallungen warf wie heute, kaum der Erwähnung wert gewesen wären. Zum Glück: Der Polizeibericht verzeichnet einige Drohkulissen, aber keine Verletzten, keine körperliche Gewalt.

Nur wäre es ein kapitaler Fehler, nach der notwendigen Einzelfall-Analyse nun das zu ignorieren, was sich da gerade generell in und um die deutschen Stadien zusammenbraut. Die Stimmung droht endgültig zu kippen. Dabei war es seit der WM 2006, seit dem sogenannten Sommermärchen, ein Markenzeichen der Bundesliga, den Fußball als Fest für die ganze Familie zu präsentieren. Als Ereignis, zu dem auch Kinder angstfrei gehen können.

Zur Erinnerung: Das war in den Siebziger- und Achtzigerjahren anders, als Schlägertrupps so manche Bundesliga-Tribüne regierten. An Orten, an denen heute 50 000 zum Event-Fußball kommen, trauten sich damals maximal 20 000 ins Stadion. Dieser Event-Fußball - besonders das von Red Bull gesponsorte Modell in Leipzig - ist vielen Ultra-Gruppen ein Dorn im Auge. Daraus leiten nicht wenige die Legitimation ab, sich zu vermummen, als seien sie nicht beim Fußball, sondern würden gerade eine Bank überfallen. Auf so mancher Tribüne regiert heute, keine zehn Jahre nach der bunten WM 2006, ein einschüchternder schwarzer Block.

Einschüchternd sind die Blöcke auch nach innen. Ultras erklären öffentlich nahezu nix, das gehört zum kruden Kodex, dabei gibt es dort durchaus Rädelsführer mit rhetorischem Potenzial. Es übernimmt auch niemand Verantwortung, es erklärt auch nahezu niemand, wo ein Unterschied gelegen haben könnte zwischen den Vorfällen vom Freitagabend am Cannstatter Bahnhof und jenen vom Montagabend am Karlsruher Wildpark. In Karlsruhe wurde der Leipziger Bus an der Abreise gehindert; in Stuttgart sahen sich Polizisten beim Fronteinsatz genötigt, Warnschüsse abzugeben, zwölf von ihnen wurden verletzt.

Hinter dem Begriff "Ultras" tarnt sich derzeit vieles. Aber irgendwann gerät auch die Differenzierungs-Fähigkeit einer Gesellschaft an ihre Grenzen, zumal es den Eindruck hat, als würde das Brodeln der Gewalt vielerorts zunehmen - mit Trittbrettfahrer-Effekten wie jenem, dass der Reporter Marcel Reif von Dortmunder Fans darin behindert wird, seiner Arbeit nachzugehen. Polizei und Vereine sind solo überfordert. Sie müssen sofort an einen Tisch, um gemeinsam eine Null-Toleranz-Strategie zu definieren. Schon in Stuttgart wurde die Lage als lebensgefährlich beschrieben.

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