Ultimate Fighting:Urfaust

Ultimate Fighting ist inzwischen erfolgreicher als Boxen, weil Männer dabei so hemmungslos zuschlagen können wie in der Kindheit.

Andrian Kreye

Wer verstehen will, warum Ultimate Fighting die erfolgreichste neue Sportart der Welt ist, auch wenn wir in Europa noch nie davon gehört haben, der sollte sich an seine Kindheit erinnern. Ein Faustschlag ins Gesicht ist für erwachsene Menschen eine ungewöhnliche Erfahrung. Macht man sie doch einmal, werden Urinstinkte wach. Unerwartet trifft einen der Schlag mit einer Wucht, die erst einmal zu vollkommener Desorientierung führt. Erst wenn die Schocksekunden vorüber sind, setzt der Schmerz ein. Doch egal, ob Nase, Mund oder ein Auge getroffen wurden, schlimmer als der Schmerz ist das Gefühl, dass einem gerade Gewalt angetan wurde. Nun bleiben dem menschlichen Körper in einer solch existentiellen Situation nur zwei Möglichkeiten - Flucht oder Angriff. In beiden Fällen wird das Adrenalin dem Schmerz ein schnelles Ende bereiten. Der Mensch will schließlich überleben.

Ultimate Fighting: Kein schönes Bild - wenn "echte" Männer aufeinander einprügeln.

Kein schönes Bild - wenn "echte" Männer aufeinander einprügeln.

(Foto: Foto: AP)

Im Kampfsport ist so ein Schlag ins Gesicht keineswegs existentiell. Im Gegenteil: Ein sauberer Treffer auf der eigenen Nase schärft die Sinne und Reflexe. Der Schmerz signalisiert: Fehler! Lücke in der Deckung! Vorsicht! Das Gefühl, ganz wach zu sein, das sich mit etwas Training daraufhin einstellt, kann regelrecht berauschen. Da läuft einem vielleicht das Blut schon in dicken Tropfen aus der angebrochenen Nase, aber nichts und niemand kann einen davon abbringen, die Runde zu Ende zu bringen. Erst wenn der Gong ertönt, schleicht sich der Schmerz heran.

Warum das Publikum eine solche Lust am Kampfsport hat, obwohl es doch weitaus interessantere Wettkämpfe gibt? Hier kommen die Spiegelneuronen ins Spiel. Spiegelneuronen sind eine grandiose Erfindung der Evolution. Es handelt sich um Gehirnzellen, die beim bloßen Betrachten eines Vorgangs im eigenen Körper den Eindruck erzeugen können, man würde diesen Vorgang nicht nur betrachten, sondern selbst erleben. Die Wissenschaft geht davon aus, dass diese Spiegelneuronen entscheidend an der Vererbung menschlicher Sprache und an der Entstehung von Kultur beteiligt sind. Man kann mit diesen Zellen aber auch ziemlichen Schindluder treiben. Wenn man beispielsweise zwei Männern dabei zusieht, wie sie sich gegenseitig mit Fäusten ins Gesicht schlagen, dann sorgen die Spiegelneuronen für entsprechenden Nervenkitzel, weil der eigene Körper bei jedem Treffer unwillkürlich zusammenzuckt und Adrenalin ausschüttet.

Wilde Kindheitserinnerung

Diese Lust an der indirekt erlebten Gewalt ist auch das Erfolgsgeheimnis des Actionfilmgenres. Sie hat einen sehr nostalgischen Kern, denn letztlich ist der Faust- oder auch Ringkampf für die meisten erwachsenen Menschen nur eine Erinnerung an die wilden Tage der Kindheit. Da transportieren einen die Spiegelneuronen am Rande des Rings zurück in eine Zeit, als das Kräftemessen bei einer Rauferei noch ein Abenteuer war. Im Sport ist man sich im Allgemeinen zu fein, um die Lust des Publikums an einer gehörigen Schlägerei deutlich zu thematisieren. Athletische Künste und antike Traditionen werden da ins Feld geführt, um Boxen, Kung-Fu oder Ringkampf zu vermarkten. Nur das Wrestling macht da keinen Hehl aus seiner Lust an der Gewalt und gilt deswegen auch nicht als Sport, sondern als Spektakel.

In Amerika haben sich nun aber findige Geschäftsleute daran gemacht, die Marktlücke zu füllen, die der Niedergang des amerikanischen Boxens hinterlassen hat. Ultimate Fighting heißt die Sportart, die in knapp 15 Jahren vom Fight-Club-Phänomen in Hinterhöfen, auf Baubrachen und Dorfwiesen zur erfolgreichsten neuen Sportart der jüngeren Geschichte aufgestiegen ist. Die ihre Meisterschaften in den Arenen der teuersten Hotels von Las Vegas ausrichtet und eine Liga der Superstars geschaffen hat, die in Amerika längst zum Pantheon der Promis gehören. Sie heißen Brock Lesnar und Andrei "The Pitbull" Arlovski, Wanderlei "The Ax Murderer" Silva und Chuck "The Iceman" Lidell.

Das Prinzip von Ultimate Fighting ist ganz einfach. Erlaubt ist jede nur erdenkliche Kampfsportart - Boxen, Kung-Fu, Karate, Ringen, Kickboxen, exotische Formen wie Sambo, Muay Thais und das brasilianische Jiu Jitsu. Der Reiz, die Genres zu mischen, ist nachvollziehbar, denn nicht nur die Kämpfer, sondern auch ihre Methode und Strategie müssen sich im Ring beweisen.

Ohne Regeln bis zum Tod

In seiner Urform ist Ultimate Fighting keine neue Erfindung. Schon im alten Griechenland gab es das Pankration als olympische Disziplin - eine Mischung aus Boxen und Ringen, die weitgehend ohne Regeln auskam und den Sieg alleine durch das K.o. oder den Tod des Gegners definierte. Später gab es den sogenannten gemischten Kampfsport vor allem in Japan und Brasilien. 1976 wurde ein erster Versuch unternommen, die Mixed Martial Arts auf internationalem Niveau zu vermarkten. Da stieg Muhammad Ali im Budokan von Tokio gegen den Ringer Antonio Inoki für fünfzehn Runden in den Ring. Der Kampf war eine Enttäuschung. Zwei Brüder aus Las Vegas machten erst Jahre später aus der Melange der Kampfstile unter dem griffigen Label Ultimate Fighting einen professionellen Sport und ein Multimillionen-Dollar-Geschäft.

Urfaust

Lorenzo und Frank Fertitta stammen aus einer alteingesessenen Familie in der Stadt, die ihr Vermögen mit den sogenannten Station Casinos machte, einer Kette, die ihre Kasinos und Hotels etwas abseits vom legendären Vegas-Strip in die Wüste bauten. 1992 meldete sich bei Lorenzo Fertitta sein Schulfreund Dana White mit dem Angebot, die Lizenz und Organisation der Ultimate Fighting Championship zu kaufen. Die Fertittabrüder griffen zu. Ein Jahr später veranstalteten sie die erste Ultimate-Fighting-Meisterschaft, die auch im Fernsehen übertragen wurde.

Redet man mit Lorenzo Fertitta, legt er großen Wert auf die geschäftliche Seite des Sports. Er spricht von Einschaltquoten (phänomenal), Eintrittspreisen (bis zu tausend Dollar) und dem neuen Publikum (junge Hollywood- und Popstars). Noch viel wichtiger ist es ihm aber, deutlich zu machen, dass er keinen Fight-Club-Zirkus veranstaltet. "Ursprünglich gab es keine Regeln" sagt er. Aber er wusste, dass im Amerika der sündhaft teuren Haftpflichtprozesse nur ein Sport mit strengen Regeln zum Erfolg werden kann. "Vier Jahre lang saß ich in der Sportkommission des Staates Nevada", sagt er. "Ich habe Mike Tyson seine Boxlizenz entzogen, als er Evander Holyfield ein Stück aus dem Ohr gebissen hat."Also etablierte er Gewichtsklassen, Limits für Länge und Anzahl der Runden, Regeln für Fouls und Vorschriften für die Gesundheitsprüfung. Und er machte den "Octagon" zur Pflicht, jenen achteckigen Käfig, der dem Ultimate Fighting seine apokalyptische Note gibt. Doch der Käfig hat seinen Zweck: Weil nicht nur geboxt und gekickt wird, sondern auch gerungen und gefällt, fielen die Kämpfer früher öfter mal durch die Ringseile ins Publikum, erzählt Fertitta. Der achteckige Käfig aber erlaubt den Kämpfer, jede nur erdenkliche Kampftechnik einzusetzen, ohne sich und die Zuschauer zu gefährden. Erst mit dem strengen Regelwerk konnte er in Verhandlungen mit den Kabelfernsehsendern treten, die ihm das Geld bringen sollten. Viel Geld. Die jüngsten Meisterschaften brachten Fertitta sechs Millionen Pay-per-view-Buchungen zu jeweils rund 45 Dollar ein. Eine Viertelmilliarde Dollar Umsatz erwartet der Dachverband der UFC dieses Jahr. Jetzt wird weltweit expandiert. Im nächsten Frühjahr kommen die Ultimate-Fighting-Kämpfer nach Europa - Mitte Juni gibt es Shows in Köln und somit erstmals auch in Deutschland.

Für einen Abend Helden

So viel Geld zieht immer mehr Kämpfer in den Bannkreis der bisher einzigen Organisation. Wer sich bislang vergeblich in den schäbigen Boxringen der Provinz durchschlug, wittert in der neuen Sportart Geld, Erfolg und eine zweite Chance. Einmal im MGM in den Käfig steigen, das ist inzwischen mindestens so erstrebenswert wie in den Ring am selben Platz. Doch noch ist es ein weiter Weg aus der Provinz bis nach Las Vegas. Die zwei Herren von imposanter Statur und mittlerem Alter, die - neulich abends - in der Bronx in einen Käfig stiegen, sie werden den Weg vermutlich nie schaffen. Aber hier in der Sporthalle, nicht weit vom Stadion der Baseballmannschaft Yankees, sind sie für einen Abend Helden in einem ungleichen Kampf.

Der eine war Preisboxer. Irgendwo auf den dreistelligen Plätzen der Weltrangliste blieb seine Karriere stecken, bis er von den Matchmakern nur noch als Ringfutter für den Nachwuchs engagiert wurde. Da musste er sich dann ein paar Mal von zehn, fünfzehn Jahre jüngeren Großmäulern so lange auf die Leber schlagen lassen, bis der Ringrichter oder Sportarzt ein Einsehen hatte und den Kampf abbrach. Der andere Herr hat sich erst beim Boxen, dann beim Wrestling versucht, beides nicht sonderlich erfolgreich.

Nun aber steigen sie breitbeinig in den achteckigen Käfig. Sie umkreisen sich, landen ein paar Schläge, und schon umklammern sie sich mit ihren muskulösen Armen, bis der ehemalige Preisboxer auf dem Rücken liegt, das Knie seines Gegners auf der Brust, der ihm nun einen Schlag nach dem anderen versetzt.

Da ist er wieder, dieser Kitzel, der daran erinnert, welche Macht- und Ohnmachtgefühle man in der Kindheit hatte, wenn man jemanden im Schwitzkasten hatte oder von einem Stärkeren im Hebelgriff gehalten wurde. Man kann den Blick nicht wenden, wenn die Schläge im Gesicht des Unterlegenen landen. Erst als der sich aus dem Griff windet und seinem Peiniger einen Tritt in die Kniekehle versetzt, sodass der einknickt, lässt einem das Adrenalin einen Moment lang Pause. Mit dem nächsten Schlag melden sich dann wieder die Spiegelneuronen.

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