Ullrich unter Verdacht:Mit Fragezeichen nach Frankreich

Während die Tour Jan Ullrichs Start genehmigt, kündigt der Radprofi eine Offensive gegen die Vorwürfe an.

Andreas Burkert

Heute reist Jan Ullrich nach Straßburg, wo Samstag die 93. Tour de France beginnt. Dass der deutsche Radstar dort den Prolog in Angriff nehmen darf, war allerdings gestern lange nicht endgültig gesichert. Die veranstaltende Amaury Sport Organisation (A.S.O.) hatte auf die neuesten Enthüllungsberichte über die spanische Dopingaffäre mit einer Sondersitzung in Paris reagiert, an der Tourchef Jean-Marie Leblanc, sein Nachfolger Christian Preudhomme und A.S.O.-Präsident Patrice Clerc teilnahmen.

Erst am Abend bestätigte A.S.O.-Sprecher Matthieu Desplats der SZ: "Es gibt derzeit nichts an Beweisen, was wir bestrafen könnten oder müssten - deshalb darf Jan am Samstag starten."

Derweil plant Jan Ullrich, 32, offenbar einen juristischen Gegenangriff gegen die spanische Zeitung El Pais, die mit ihren Berichten den Radprofi erheblich in Bedrängnis gebrachte hatte (SZ vom 26.6.). Das Blatt hatte die Meinung der Ermittlungsbehörden transportiert, dass es sich beim auf Dokumenten entdeckten Codenamen Hijo Rudicio ("Sohn des Rudicio") um das Gespann handeln müsste, das Jan Ullrich und sein Betreuer Rudy Pevenage seit Jahren bilden.

Die Polizei hatte außerdem drei Bluteinheiten aus dem Jahre 2004 sicher gestellt, die mit der Aufschrift JAN gekennzeichnet gewesen sein sollen. "Das belastet Jan schon sehr", sagte gestern Ullrichs Manager Wolfgang Strohband dieser Zeitung; er bezog seine Äußerung vor allem auf den moralischen Tiefschlag der Spekulationen. "Jan hat deshalb zu mir gesagt: ,Da müssen wir etwas tun'", berichtete der Hamburger Kaufmann weiter. "Und weil Jans Dementi ja ganz eindeutig ist, werden wir uns das nicht gefallen lassen. Wir werden offensiv gegen die Zeitung vorgehen, wobei ich das noch mit den Anwälten absprechen werde."

Franke fordert DNA-Test

Zu den weiteren Einzelheiten des Vorgehens mochte sich Strohband nicht äußern; den von den Behörden offerierten DNA-Test mit angeblich Ullrich zugeordneten Blutkonserven wollte er nicht grundsätzlich ausschließen.

"Aber mehr werden wir erst am Mittwoch sagen." Ullrich wäre jedenfalls mit wenig Aufwand in der Lage, die Anwesenheit seines Blutes in dem Labor der schwer belasteten spanischen Ärzte Fuentes und Merino als rufschädigende Fehlmeldung zu entlarven.

Der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke äußerte dazu gestern auf Anfrage: "In den roten Blutkörperchen sind ja keine Zellkerne enthalten, in den weißen aber schon. Mit einem einzigen originalen Jan-Ullrich-Haar könnte man also ganz flink einen DNA-Vergleich machen. Das dauert vielleicht zwei Tage - und ist noch einfacher als ein Vaterschaftstest." Falls sich Ullrich dem Prozedere verweigere, ergänzte der renommierte Professor, "dann muss er ein schlechtes Gewissen haben".

Ullrich und sein Mentor Rudy Pevenage hatten stets betont, für die medizinische Versorgung seien ausschließlich die Mannschaftsärzte in Freiburg zuständig. Strohband gestand ein, bei früheren Dopingvorwürfen bislang nicht reagiert zu haben.

"Wir haben dann immer gedacht, das verläuft im Sande. Aber jetzt müssen wir unbedingt etwas tun." Strohband glaubt, die Angelegenheit "könnte teuer für die spanische Zeitung werden".

Ob es sich bei Rudicio und JAN tatsächlich um das bewährte Tandem Ullrich/Pevenage handelt - oder aber etwa um den Tschechen Jan Hruska, der 2003 und 2004 für das nun verdächtigte Team Liberty (bzw. Once) fuhr und Olympia in Sydney wegen eines Positvtests auf Anabolika verpasste - , das will nun auch die Tour wissen.

Im-Zweifel-gegen-den-Kandidaten-Haltung

Sie hat in den vergangenen Jahren ihre laxe Politik radikal in eine Im-Zweifel-gegen-den-Kandidaten-Haltung geändert. Dies hat jetzt auch der Rennstall Astana-Würth zu spüren bekommen, der kürzlich noch Liberty Seguros hieß.

Dessen mächtiger Teammanager Manolo Saiz war auf frischer Tat beim Blutkauf erwischt worden und mit seiner Verhaftung Auslöser der spektakulären Razzia. Astana-Würth hat zu Wochenbeginn einen Brief von der ASO erhalten, worin das Team aufgefordert wird, von einem Start abzusehen.

"Der Verdacht ist einfach zu gravierend", sagte ASO-Sprecher Desplats, "sie schaden unserem Rennen und der Natur unseres Sports." Da die Tour ein ProTour-Wettbewerb des Weltverbandes UCI ist, muss die ASO die Teams aber eigentlich trotz Bedenken zulassen. Über den Tourstart des Liberty-Nachfolgers will nun in einem Schnellverfahren der angerufene Internationale Sportgerichtshof Cas in Lausanne bis Freitag entscheiden.

Zum Astana-Aufgebot zählt neben Ullrichs früherem Kollegen Alexander Winokurow auch der Ansbacher Jörg Jaksche. Der bisherige Liberty-Profi taucht in den Dokumenten der Polizei recht eindeutig auf: Codename Bella (Jorg).

Damit entsprächen seine bisherigen Einlassungen, er stehe nicht in Kontakt zum sehr schlecht beleumundeten Doktor Fuentes, nicht der Wahrheit. Bei 15 der bislang 58 verdächtigten Fahrer soll es sich um frühere Liberty-Angestellte handeln.

Auch T-Mobile ginge am Samstag mit einigen Fragezeichen ins Rennen. Denn neben Ullrich steht ja auch dessen spanischer Gehilfe Oscar Sevilla auf der Fahnderliste.

Nicht ausgeschlossen, dass deshalb beide am 13. Juli Bekanntschaft mit der spanischen Justiz machen werden: An diesem Tag endet die elfte Etappe auf iberischem Terrain - und das neue, sehr harte Anti-Doping-Gesetz Spaniens tritt bald in Kraft.

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