Ukrainer Griwko bei der Tour de France:Politische Botschaften im Peloton

Lesezeit: 3 min

Belastet von den Geschehnissen in der Heimat: Andrej Griwko (Foto: imago sportfotodienst)

Während der Italiener Nibali die Tour de France dominiert, kritisiert sein Wasserträger Andrej Griwko die Annexion der Krim. Das bringt dem Ukrainer nicht nur Freunde - vor allem in seiner Mannschaft, dem kremlnahen Staatsprojekt "Astana".

Von Johannes Aumüller, Pau

Der schwerste Tag der diesjährigen Tour de France beginnt für Andrej Griwko ausgesprochen nett. Während sich der Ukrainer im Mannschaftsbus seiner Astana-Equipe auf den Abschnitt mit den beiden Ehrenkategorie-Anstiegen zum Tourmalet und nach Hautacam vorbereitet, wartet draußen eine kleine Touristengruppe aus der Heimat.

Von Radsport haben sie zwar keine Ahnung, sie lassen sich erst einmal von einer Tour-Mitarbeiterin erklären, was ein Wasserträger ist, aber dafür rufen sie umso lauter "Andrej" und "Griwko", und als Andrej Griwko endlich herauskommt, da bekommt er fast so viel Applaus wie wenig später sein Kapitän, der Tour-Gesamtführende Vincenzo Nibali. Das freut Griwko besonders, denn entlang der Strecken der Tour de France stehen beziehungsweise hängen ja stets Zuschauer und Flaggen aus aller Herren Länder und Regionen, doch ukrainische sind eher selten dabei. "Aber immerhin sind es schon ein paar mehr geworden als in den vergangenen Jahren", erzählt Griwko.

Vincenzo Nibali bei der Tour de France
:Probleme nur beim Wangenbusserl

Als Kind radelte Vincenzo Nibali seinen Hausberg Ätna hinauf, nun gilt er als großer Tourfavorit. Nahezu unangreifbar fährt der Italiener vorneweg. Seine bisherigen Teams haben allerdings einen zweifelhaften Ruf.

Von Johannes Aumüller

Andrej Askoldowitsch Griwko, 30, ist kein schlechter Fahrer, er ist mehrmaliger nationaler Meister und er hat schon bei kleineren Rennen reüssiert; aber meistens, und so auch bei dieser Frankreich-Rundfahrt, ist er einer der vielen anonymen Hilfskräfte im Feld, Startnummer 43, ein Wasserträger, wobei die Dame von der Tour-Organisation es netterweise unterlässt, der ukrainischen Fangruppe ausgerechnet ihren gefeierten Landsmann als Beispiel fürs schnöde Wasserträgertum zu nennen.

Griwko soll seinen Kapitän Nibali zum Toursieg geleiten, das ist seine Aufgabe, wie die vieler anderer Helfer. Aber Andrej Griwko hat sich für diese Tage nicht nur eine sportliche Herausforderung gesetzt, sondern auch eine, die weit in den politischen Bereich hineinschwappt - ungewöhnlich weit für einen Sportler.

Weit weg: Während Andrej Griwko (hier zwischen zwei seiner Astana-Kollegen) durch Frankreich rollt, hat die Familie daheim große Sorgen. (Foto: Christophe Ena/AP)

Griwko stammt gebürtig von der Halbinsel Krim, er kam in Simferopol zur Welt, später war er viel im Gebirge im Süden der Insel unterwegs, das zum Meer hin so steil abfällt. Er selbst lebt inzwischen zwar mit seiner Frau, die er vor zwei Jahren bei der Tour de France in Paris kennenlernte, in Monaco, doch seine Familie ist noch immer auf der Krim zu Hause. Und entsprechend genau verfolgt Griwko alles, was dort vor sich geht, seitdem sich Russland in einem von Beobachtern als völkerrechtswidrig bezeichneten Verfahren die Halbinsel einverleibt hat - und entsprechend kritisch.

Wie so vieles auf der Krim muss sich nun auch der Sport neu ordnen, und das Ganze ist natürlich eine höchst politische Angelegenheit. Russland will die Eingliederung seiner Föderationssubjekte Nummer 84 und 85, der Republik Krim und der Stadt Sewastopol, auf alle Bereiche des Lebens ausdehnen, auch auf den Sport.

Die beiden Fußball-Erstligaklubs Tawrija Simferopol und FK Sewastopol nehmen schon nicht mehr an der ukrainischen Liga teil, die an diesem Samstag statt mit den üblichen 16 nur mit 14 Mannschaften startet. Offiziell ist der Übertritt des Duos in den russischen Ligabetrieb noch nicht, aber er wird in den nächsten Wochen einfach erfolgen, da sind sich alle Beobachter sicher. Mancher Profisportler, der von der Krim stammt, hat zudem die ukrainische Staatsbürgerschaft gegen die russische eingetauscht, weil er sich dort - wohl nicht zu Unrecht - bessere Strukturen und Möglichkeiten erhofft.

Bei Andrej Griwko ist das anders. Er ist nicht jubelnd ins nächste Konsulat gerannt, um sich den russischen Pass abzuholen. Stattdessen hat ihn das Geschehen der vergangenen Monate arg belastet. Und stattdessen äußert er während der Frankreich-Rundfahrt in Gesprächen mit Journalisten, dass nach seiner Meinung auf der Krim "unsere Freiheit und unsere Sicherheit in Gefahr sind". Er spricht davon, dass in seiner Heimat Russland seine "Diktatur" etabliere, während er auf Frankreichs Straßen unterwegs sei. Und er sagt, dass der mutmaßlich durch prorussische Separatisten erfolgte Abschuss des Malaysia-Airline-Fluges MH17 ein "terroristischer Akt" gewesen sei.

Solche Aussagen fallen auf in einem Peloton, das bei aller zelebrierten Aufgeblasenheit während der Tour letztlich doch ein überschaubarer Kreis ist. Und Griwko ist sich bewusst, dass er die Folgen solcher Sätze noch spüren könnte. Sein aktueller Arbeitgeber, die Astana-Mannschaft, ist ein kasachisches Staatsprojekt, finanziert von großen Firmen, angeschoben vom Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Und die Drähte zwischen dem Ak-Orda-Palast in Kasachstans Hauptstadt Astana, wo Nasarbajew seinen Amtssitz hat, und dem Moskauer Kreml sind traditionell sehr eng - auch in sportpolitischen Fragen.

Alexander Winokurow bei der Tour de France
:Im feinen Hemd der Unschuld

Telekom-Fahrer, Olympiasieger, Doping-Trickser: Alexander Winokurow ist seit langem eine prägende Figur des Radsports. Jetzt leitet er die Astana-Combo - dort tummeln sich neben dem Tour-Führenden Vincenzo Nibali mehrere dubiose Personen.

Von Johannes Aumüller

Daneben sind auch zwei russische Mannschaften im Peloton unterwegs: Hinter der Katjuscha-Equipe, bei der Oligarch Igor Makarow die Fäden zieht, stecken mehrere staatlich kontrollierte Firmen wie der Erdgasförderer Gazprom oder der Ölriese Rosneft. Auch der Brauerei- und Restaurantmilliardär Oleg Tinkow, der das Saxo-Team sponsert, hat beste Kontakte in einflussreiche Zirkel des Landes. Bei diesen Mannschaften, das weiß Andrej Griwko, braucht er eher nicht mehr vorstellig zu werden, wenn ihn die Astana-Truppe eines Tages nicht mehr behalten möchte.

Es ist nicht leicht, sagt Andrej Griwko, sich auf das Geschehen bei der Tour zu konzentrieren, wenn sich in Simferopol die Schwester dagegen wehren müsse, dass ihr die russischen Behörden einen neuen Pass aufdrängen wollen. Aber er sei Profi, er versuche es, so gut es geht. Jetzt sind es ja auch nur noch ein paar Tage - und wenn ihn die ukrainischen Landsleute so begrüßen wie diesmal in Pau, dann vergehen die auch leichter, sagt er.

© SZ vom 25.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: