U21-EM in Tschechien:Über Prag zu Löw

Czech Republic v Germany - UEFA European Under 21 Championship - Czech Republic 2015 - Group A

Emre Can könnte sein erstes Spiel unter Bundestrainer Joachim Löw bestreiten.

(Foto: Lee Smith/Reuters)

Mittelfeld-Chef Emre Can will mit der deutschen U21-Auswahl ins Finale. Der Bundestrainer lässt den Liverpooler dabei intensiv beobachten.

Von Ulrich Hartmann, Prag

Als Mittelfeldspieler von internationalem Format ist der Fußballer Emre Can wie geschaffen für eine Tour durch die enge Altstadt von Prag. Can könnte einen Ball im Hochtempo über die Karlsbrücke dribbeln und würde sich von den Touristenmassen nicht aufhalten lassen; wenn's richtig eng wird, läuft Can zu Hochform auf. Prag hat er trotzdem lieber auf dem "Segway" erkundet, einem einachsigen Zweirad, auf dem man steht. In seinem Windschatten: Nico Schulz von Hertha BSC, Yunus Malli aus Mainz und Leonardo Bittencourt von Hannover 96.

Emre Can, 21, in Frankfurt geborener Türke mit deutschem Pass, ist in Prag nicht nur Anführer dieser kleinen motorisierten Gang, er ist vor allem das Rückgrat der deutschen U21-Fußballer bei der EM. Seit er mit seinem chronisch coolen Cowboy-Blick 2013 vom FC Bayern zu Bayer Leverkusen und 2014 weiter zum FC Liverpool gewechselt ist, entwickelt er sich rasant zu einem der verheißungsvollsten Defensivfußballer Europas.

Während Can in Liverpool in der Abwehrkette Dienst schiebt und dort von seiner kompromisslosen Attitüde profitiert, organisiert er in der U21 bei Trainer Horst Hrubesch das Umschaltspiel vor der Abwehr. Unterbrochen von einem starken 3:0 gegen Dänemark, litt das deutsche Spiel in der Gruppenphase bei den 1:1-Unentschieden gegen Serbien und Tschechien allerdings zeitweise an Orientierungslosigkeit und Stabilitätsverlust. Jetzt geht es für die deutschen Jungspunde ums Ganze: Mit einem Sieg im Halbfinale gegen Portugal (Samstag, 18 Uhr, ARD) wollen sie ins Endspiel am kommenden Dienstag in Prag einziehen.

Can wurde 2011 vom DFB als bester U17-Spieler ausgezeichnet und feierte im selben Jahr mit der deutschen U17 den zweiten Platz bei der EM und den dritten bei der WM. Er bestritt bisher 33 Bundesliga- und 27 Premier-League-Spiele. DFB-Sportdirektor Hansi Flick ist begeistert von Can: "Seine Ausstrahlung ist super, er zeigt auf dem Platz die erforderliche Präsenz, solche Spieler brauchst du" - Can sei "bodenständig", wisse dabei aber "genau, was er will". Flick hat Can in Liverpool ein paar Mal im Stadion beobachtet: "Er spielt dort meistens als rechter Verteidiger, ist stets anspielbar und macht fast immer das Richtige." Ob Can in Zukunft besser in der Abwehr aufgehoben sei oder doch im Mittelfeld, wie in der U21? "Ich bin gespannt", sagt Flick.

Vor zwei Jahren spielte Can bereits bei der U21-EM in Israel mit, als Deutschland unter Trainer Rainer Adrion die Gruppe nicht überstand. In zwei Jahren dürfte der dann 23-Jährige als 94er-Jahrgang sogar in Polen ein drittes Mal bei der U21-EM mitspielen. Allerdings ist Can dann vermutlich kein U21-Nationalspieler mehr, sondern einer für die A-Elf.

In Prag wurde Can von Sportdirektor Flick eröffnet, dass Bundestrainer Löw ihn intensiv beobachte. Can könnte neben Torwart Marc-André ter Stegen (Barcelona) und Stürmer Kevin Volland (Hoffenheim) nach der U21-EM der aussichtsreichste Kandidat für eine unverzügliche Beförderung zur A-Nationalmannschaft sein. Er träumt davon, schon 2016 mit Löws Team die EM zu spielen - und anschließend im August mit Hrubeschs Mannschaft auch an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Dann würde er Liverpool allerdings drei Monate fehlen .

Doch von solchen Problemen lässt sich der taktisch vielseitige und physisch starke Can nicht einschüchtern. Obwohl er bei der U21-EM unter Wadenproblemen leidet, beißt er sich durch und spielt eine durchgängige Führungsrolle im Team. Vor dem Halbfinale gegen Portugal, dem neben Deutschland technisch stärksten Team dieser EM, fordert er eine Leistungssteigerung: "Talent allein reicht nicht - wir müssen Gas geben." Nach den ersten drei Spielen findet Can: "Wir haben noch sehr, sehr viel Luft nach oben."

Beim FC Liverpool sehen viele Beobachter in dem 21-Jährigen im Mittelfeld den legitimen Nachfolger von Klubikone Steven Gerrard. Doch Can bremst ab, wenn man ihn auf diesen Vergleich anspricht. Auch mit Sami Khedira, der 2009 eine leitende Rolle besaß, als die deutsche U21 zuletzt Europameister in Schweden wurde, wird Can gerne verglichen. Er selbst nennt vor allem einen Namen: Bastian Schweinsteiger. Von ihm habe er während seiner Zeit beim FC Bayern viel gelernt, sagt er. Nimmt er sich Schweinsteiger ernsthaft zum Vorbild, dann steht Emre Can tatsächlich eine sehr große Karriere bevor.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: