Tyler Hamilton:Zwei positive Tests, ein bekannter Reflex

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Zeitfahr-Olympiasieger Tyler Hamilton wird des Blutdopings mit Transfusionen verdächtigt - und leugnet.

Von Andreas Burkert

Andy Rihs, 61, ist ein sehr lebendiger Mensch, wenn er über seine Passion spricht, schwärmt er ohne Punkt und Komma. Rihs ist nach eigener Aussage "angefressen vom Radsport", was im Empfinden eines Schweizers so viel bedeutet, dass er nicht mehr ohne ihn leben mag. Vor vier Jahren hat der Weinliebhaber mit der graumelierten Künstlerfrisur seine Kompagnons beim Schweizer Hörgerätehersteller Phonak davon überzeugen können, künftig auf traditionelle Werbung zu verzichten - und stattdessen ein Radteam mit rollenden Litfasssäulen zu engagieren.

Doch auf die massive Aufmerksamkeit, wie sie das Team des millionenschweren Firmenmitbegründers seit gestern erfährt, hätte Rihs "gut verzichten" können, wie er am Dienstag bekannte. Denn ausgerechnet sein Alphatier hat Phonak in den übel riechenden Sumpf seiner Sportart gerissen: Tyler Hamilton, 33, Zeitfahr-Olympiasieger von Athen und generell eine Leitfigur der Veloszene, steht unter sehr dringendem Dopingverdacht.

Offenbar ist der US-Amerikaner sogar zweimal positiv getestet worden. Zuletzt war der Tour-Vierte von 2003 bei einer Blutkontrolle während der Spanienrundfahrt positiv, dies hat angeblich der Teamarzt bestätigt. Hamilton soll mit Bluttransfusionen manipuliert haben. Nach dem Befund von Spanien hat vermutlich die Weltantidoping-Agentur Wada angeordnet, nachträglich Hamiltons Athener Probe auf Blutdoping zu kontrollieren; bei Olympia war nur auf Wachstumshormone und das Blutdopingmittel Epo getestet worden.

Fremd- oder Eigenblut?

Und: Die nachträgliche Kontrolle ergab ebenfalls einen positiven Befund. Für beide Fälle stehen die B-Proben noch aus, zumindest die positive A-Probe von Athen wurde aber mehr oder weniger konkret bestätigt. Phonak-Teamsprecher Georges Luedinger sagte gestern, es seien "vermehrt rote Blutkörperchen als Folge einer Transfusion festgestellt worden". Und Giselle Davies, Sprecherin des für die Athener Tests verantwortlichen Internationalen Olympischen Komitees, bestätigte den Fall insofern, als sie von einem "schwebenden Dopingverfahren" sprach.

Unklar ist bislang, ob es sich bei Hamiltons Manipulation um die unerlaubte Transfusion von Fremd- oder von Eigenblut handelt. Bei Blutdoping lassen sich Athleten kurz vor dem Wettkampf dieses Fremd- oder Eigenblut injizieren; die Entnahme erfolgt etwa einen Monat zuvor. Man nimmt das Blut ab, damit sich einerseits im Körper genügend Blutkörperchen nachbilden; zum anderen wird das entnommene Blut mit dem synthetischen Hormon Epo angereichert. Blutdoping mittels Transfusionen ist erst seit kurzem nachweisbar, nach der von australischen Wissenschaftlern entwickelten Methode können derzeit nur die IOC-Labore in Lausanne und Athen testen.

Tyler Hamilton wäre der erste Sportler, dem Blutdoping nachgewiesen würde. Genau diesen Umstand benutzt der Profi aus Neuengland nun dafür, einer wahrscheinlichen Sperre - und dem Verlust seiner Goldmedaille - zu entgehen. "Ich habe keine Transfusionen vorgenommen", beteuerte Hamilton, der bei der Vuelta das erste Zeitfahren gewonnen hatte, ehe er in der zweiten Woche aufgab - offiziell wegen Magenproblemen. Auch Andy Rihs sagte gestern der SZ, er rechne "mit einem langen Verfahren, denn so einem Test glauben wir nicht".

Man vertraue der neuen Methode "überhaupt nicht, da ist sowieso vieles extrem komisch gelaufen". Hamilton insistierte am Dienstagabend: "Ich kann 100-prozentig garantieren, dass ich unschuldig bin. Radsport ist mir zwar sehr wichtig, aber nicht so wichtig. Wenn ich jemals gezwungen wäre zu dopen, hätte ich vorher meine Karriere beendet."

Der Reflex, Unschuld zu beteuern, ist allerdings nicht neu im Radsport. Zuletzt hatte der Schotte David Millar Epo-Doping geleugnet, als Beamte kurz vor der Tour bei ihm entsprechende Präparate fanden - in Verhören gestand der frühere Weltmeister schließlich doch. Mit Hamilton und Millar sind den Fahndern in diesem Sommer zwei Protagonisten des Radsports ins Netz gegangen. Die umfangreiche Doping-Affäre um Millars Cofidis-Team sowie die detaillierten Anschuldigungen des Spaniers Jésus Manzano gegen seinen früheren Kelme-Rennstall komplettieren ein weiteres Skandaljahr des Metiers. Manzano hatte zu Protokoll gegeben, Kelme habe bei der Tour de France 2003 mit Eigenblut manipuliert.

Armstrong indirekt belastet

Die Causa Hamilton belastet indirekt auch Tour-Champion Lance Armstrong. Bei drei Tour-Siegen assistierte Hamilton dem US-Postal-Leader, mit dem er eng befreundet ist und in Gerona gemeinsam unter einem Dach wohnt. In Athen hatte Hamilton noch die Dienste seines Trainers Luigi Cecchini gepriesen.

Der Italiener - dessen Rat nach eigenem Bekenntnis auch Jan Ullrich in Anspruch nimmt - arbeitete früher lange mit Michele Ferrari zusammen. Das ist Armstrongs "Fitnessberater" - gegen den Arzt, Branchenname Dottore Epo, beantragte gestern der Staatsanwalt von Bologna eine Haftstrafe von 14 Monaten sowie ein Jahr Berufsverbot wegen Sportbetrugs mit Dopingmitteln.

Andy Rihs sagte gestern, er stehe "fest hinter Tyler". Rihs liebt den Radsport. Dabei wäre Hamilton der fünfte Phonak-Profi, der des Dopings überführt würde.

© Süddeutsche Zeitung vom 22.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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