Twitter und Facebook im Sport:Aufregung hinterm Hashtag

Germany's Ariane Friedrich reacts during the women's high jump qualification at the London 2012 Olympic Games

Unschöne Erfahrungen im sozialen Netzwerk: Ariane Friedrich.

(Foto: REUTERS)

Aufmerksamkeit, Fans, Zuspruch: Soziale Medien bieten Sportlern verlockende Möglichkeiten - allmählich reift aber auch das Bewusstsein, welche negativen Einflüsse Netzwerke bringen können.

Von René Hofmann und Joachim Mölter

Die Aufregung war groß in der deutschen Olympia-Delegation, kurz vor Beginn der Eröffnungsfeier der Sommerspiele 2012 in London. Ein griechischer Journalist hatte eigentlich Gutes im Sinn gehabt. Er wollte auf die Gefahren hinweisen, die bei dem anstehenden Ereignis von den sozialen Medien ausgehen könnten, in denen ungeprüfte Behauptungen gelegentlich in Windeseile für gewaltige Wellen sorgen.

Was, so fragte er rhetorisch, wäre wohl beispielsweise los, wenn die deutsche Fahnenträgerin Natascha Keller in einem Tweet auf Twitter schreiben würde: im Olympischen Dorf sei sie umzingelt von barfüßigen griechischen Sportlern; "sobald wir sie sehen, stellen wir uns blöd, weil wir Angst haben, dass sie uns anbetteln". Diese Nachricht hatte es so wohlgemerkt nie gegeben. Aber das war egal.

In Windeseile verbreitete sich der - erfundene - Inhalt trotzdem. Kellers Twitter-Account und ihr Facebook-Profil wurden mit Beleidigungen ebenso geflutet wie der Kommentarbereich in ihrem Athletenprofil auf der Website der deutschen Olympiamannschaft. Die Welle war so gewaltig, dass im deutschen Team die Sorge aufkam, die Hockeyspielerin könnte beim Einzug ins Stadion angefeindet werden.

Um das Missverständnis aus der Welt zu schaffen, wurde es nicht nur richtiggestellt. Michael Vesper, der Chef de Mission, und Keller brachen auch zu den Griechen auf. Im Olympischen Dorf entstand ein demonstrativ freundschaftliches Bild mit deren Fahnenträger, das jeden Eindruck der Feindseligkeit zerstreuen sollte. Mit einigem Aufwand konnte so der Gau abgewendet werden: Pfiffe vor einem Millionen-Publikum gleich zum Start.

Der Sport und die sozialen Medien - das ist ein weites Feld. Die Spiele in London aber markieren darauf einen besonderen Punkt, was sich auch daran zeigte, dass die Handys eines Hauptsponsors schon in der Eröffnungsfeier eine prominente Rolle spielten: Zum ersten Mal tolerierte das Internationale Olympische Komitee (IOC) den direkten Kontakt mit den Zuschauern nicht nur - alle wurden ausdrücklich ermuntert, ihn zu suchen. "Das IOC fördert und unterstützt alle akkreditierten Personen, ihre Erfahrungen zu posten, bloggen oder zu tweeten", heißt es in den fünfseitigen Richtlinien, die der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) übersetzte und ausgab.

In dem Papier ging es allerdings vor allem um rechtliche Fragen: Warum dürfen keine Videos gezeigt werden? Warum soll vor allem in Tagebuch-Form geschrieben werden? Wie lässt sich mit unmittelbar anbrandender Kritik und Lob umgehen, welchen Einfluss kann derlei auf die sportliche Leistung haben? Das blieb unbeleuchtet. Die Fragen dazu kommen nun erst, mit einigem Abstand zu dem Ereignis, das offenbar auch ein gewaltiges Experiment war.

Die australischen Schwimmer haben in einer Studie attestiert bekommen, dass ihr vergleichsweise schlechtes Abschneiden in London auch mit der exzessiven Twitter- und Facebook-Nutzung im Team zusammenhing. Künftig, schreiben die unabhängigen Berater, sollten die Funktionäre diese beschneiden. In Kanada löste die Tennisspielerin Rebecca Marino eine ähnliche Debatte aus. Die 22-Jährige, die an einer Form von Depression leidet, zog sich aus dem Sport zurück - mit dem Hinweis, sie sei auch mit gehässigen Kommentaren in den sozialen Medien nicht zurechtgekommen.

Wie groß das Thema auch hierzulande ist, zeigt der Fall Ariane Friedrich. Die Hochspringerin war im April 2012 über Facebook sexuell belästigt worden. Ein Mann hatte ihr ein Foto seines Geschlechtsteils mir einer eindeutigen Botschaft zukommen lassen. Die 29-Jährige öffnete die Nachricht auf ihrem iPad in einer Hotellobby in Südafrika, wo sie sich im Trainingslager befand. Noch in der Lobby entschloss sich die Polizeikommissarin zu einem weitreichenden Schritt: Sie outete den Belästiger in ihrer Facebook-Gruppe und forderte ihn auf, derlei Nachrichten zu unterlassen.

"Ich war schlichtweg geschockt. Ich war in dem Moment sehr emotional, und ich schaffte es nicht, eine solche diffamierende Nachricht spurlos an mir vorbeigehen zu lassen", hat Friedrich dem Zeit-Magazin im Januar über den Vorfall erzählt. Weiter mag sie sich nicht mehr äußern. Auch aus Angst. Nicht vor dem damaligen Angreifer. Dem wurde der Prozess gemacht. Sie weiß inzwischen, welchen Kommentar-Tsunami jede Äußerung zu dem Thema auslösen kann. Auch ihr Trainer und Manager bittet aus diesem Grund um Verständnis für sein Schweigen. Die angeblichen Freunde, die so genannten Fans, die Follower - für viele Sportler sind sie offenbar zu einer nicht zu unterschätzenden Macht geworden.

Eine neue Herausforderung

Bei den Verbänden kommt das Bewusstsein für diese neue Herausforderung erst langsam an. Beim Deutschen Handballbund (DHB) etwa heißt es, das Thema sei "noch nicht akut"; es gebe nicht einmal eine Handvoll Nationalspieler, die eine Facebook-Seite unterhielten.

Die Handball-Liga hingegen beschäftigt sich Anfang nächster Woche bei einem Treffen von Pressesprechern und Marketingleitern der Klubs mit dem Thema: "Positionskämpfe bei Google, Bing und Facebook" heißt ein Programmpunkt, der nicht nur die Chancen der neuen sozialen Medien aufzeigen soll, sondern auch "mögliche Nebenwirkungen". Zudem hat die Liga einen "Social Media Guide" entworfen, der nun zur Diskussion gestellt wird. Die Basketballer sind da schon etwas weiter.

Da hat die Liga bereits ein Social-Media-Programm aufgelegt, mit einem langfristigen Ziel: So soll "allen Sportlern und Klubs eine selbständige und professionelle Kommunikation ermöglicht werden - um die Bekanntheit zu steigern und eine Marke auf- bzw. auszubauen". Begleitend gibt es einen Leitfaden, in dem auch Gefahren geschildert werden: Social Media sei wie Basketball spielen selbst, heißt es dort - wer mitmacht, wage sich in "eine Arena", brauche "einen Gameplan", müsse trainieren und benötige einen Coach.

Einen solchen stellt die Liga: Jonathan Müller, Marketing-Assistent für Social Media und Neue Medien. Ganz allgemein rät er jedem, sich vor jeder Äußerung bei Facebook oder Twitter zwei Dinge zu überlegen: "Kann ich mit dieser Aussage als Schlagzeile in der Bild-Zeitung leben?" Und: "Vorsicht mit dem ,Senden'-Knopf! Wurde er gedrückt, gibt es kein Zurück mehr. Was einmal online ist, lässt sich immer wieder finden."

In eine ähnliche Richtung weisen die Ratschläge, die Christian Klaue, der Leiter der Abteilung Medien und Öffentlichkeitsarbeit beim DOSB, vor den Olympischen Spielen in London den Fachverbänden gab, die sie hören wollten: Die sozialen Netzwerke seien wie eine virtuelle Wohnung, erzählte Klaue unter anderem den Leichtathleten, Volleyballern, den Seglern und den Fechtern, jeder müsse sich genau überlegen, wen er wann reinlasse und in welches Zimmer er Einblicke gewähre.

Wie im Umgang mit den klassischen Medien auch, seien begrenzte Zeitfenster ratsam. Irgendwann müsse das Fenster auch wieder geschlossen werden. Bei den deutschen Sportlern habe das in London ganz gut geklappt. Insgesamt wird die Aufmerksamkeit, die die Mannschaft auf der erstmals errichteten DOSB-Internet-Plattform und mit dem Hashtag #WirfuerD bei Twitter fand, als Erfolg gewertet.

Über derlei Kanäle sind viele Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, heute zugänglicher, als sie es früher waren. Auf Sportler aber wirken die sozialen Medien offenbar eine besondere Faszination aus - das behauptet zumindest Kim Dawson von der Universität Waterloo, den der Toronto Star jüngst wie einige andere Sportpsychologen zu dem Thema befragte.

Vor allem Individualsportler wie Tennis- und Golfspieler oder Eiskunstläufer würden sich auf ihren Reisen oft einsam fühlen und nach einem Gemeinschafterlebnis sehnen. Ein solches fänden sie in den sozialen Netzwerken. Allerdings würden sie sich dort tendenziell eher hinwenden, wenn sie niedergeschlagen seien - und gerade dann könnten negative Fan-Kommentare eine besonders negative Wirkung entfalten.

Frauen würde diese meist noch härter treffen, glaubt Kim Dawsons Kollegin Mario Faveri aus London/Ontario: "Männer kämpfen oder flüchten, Frauen wollen Zuneigung und Freundschaften." Langfristig, da sind die Experten sicher, müssten die Trainer deshalb stärker darauf drängen, dass häufiger die Stecker gezogen würden. Athleten bräuchten die Kontrolle über ihre Augen, ihre Ohren, ihre Gedanken. Und dabei helfe nur eines: "Isoliert Euch!"

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