TV Großwallstadt:Schlussverkauf

Enttaeuschung auf breiter Ebene nach dem Schlusspfiff bei Grosswallstadt HG Saarlouis vs TV Grosswa

Enttäuschung auf der Großwallstädter Bank nach dem Schlusspfiff im Spiel gegen HG Saarlouis.

(Foto: imago)

Der Traditionsverein TV Großwallstadt, stolzes Gründungsmitglied der Bundesliga, verschwindet nach der Insolvenz aus dem Profi-Handball.

Von Ralf Tögel

Wir fahren trotzdem nach Malle", sagt Michael Spatz, Saisonabschluss, so eine Art Tradition bei vielen Handballvereinen. Abschalten, von einer langen Saison erholen, feiern. Wenn man das beim TV Großwallstadt überhaupt noch so sagen kann. Denn für den torgefährlichen Linksaußen und seinen Klub gibt es nichts zu feiern, rein gar nichts, ganz im Gegenteil. Die TV Großwallstadt Handball GmbH hat beim Amtsgericht Aschaffenburg Insolvenz beantragt. Die gesamte Mannschaft und die Trainer hatten sich noch vor dem letzten Saisonspiel in der zweiten Bundesliga arbeitslos gemeldet, die Partie beim TSV Bayer Dormagen ist ausgefallen.

Coach Maik Handschke fordert, was er nie hatte: Sicherheit. Sonst ist auch er weg

"Als die Bombe geplatzt ist", wie Spatz es ausdrückt, "war ich natürlich niedergeschlagen." Das Aus erwischte den Verein mit voller Wucht, dabei hatte sich das Ende lange angekündigt. Seit einigen Jahren drücken den Klub finanzielle Probleme, Altlasten waren abzutragen, was immer im krassen Gegensatz zu den Ansprüchen des Traditionsklubs stand: Gründungsmitglied der eingleisigen Bundesliga, 44 Jahre fortwährende Erstligazugehörigkeit, sechs Meistertitel, vier Pokalsiege, zwei europäische Landesmeistertitel - 2011 stand der TVG noch im Finale des EHF-Pokals. Erfolge, die stetig hohe Erwartungen im Umfeld weckten. Es wurde ein Handball-Leistungszentrum (HBLZ) in Großwallstadt gebaut, die Frankenstolz-Arena in Aschaffenburg, wo der TVG seit 2010 seine Heimspiele austrägt, um einen Vip-Anbau erweitert. Um in der weltbesten Liga konkurrenzfähig zu bleiben, wurden hochkarätige Spieler verpflichtet, Anfang 2010 kam Trainer Michael Biegler vom SC Magdeburg, ausgestattet mit einem Dreijahresvertrag. Nach knapp einem Jahr musste er wieder gehen, doch sein dem Vernehmen nach üppiges Honorar blieb zwei weitere Jahre am TVG kleben, ehe Biegler polnischer Nationaltrainer wurde.

Diese hohen Ausgaben im Kontext mit immer größeren Problemen bei der Suche nach Geldgebern: Ein Teufelskreis, der vor zwei Jahren mit dem Abstieg aus dem Oberhaus einen ersten Höhepunkt fand. Doch die Abwärtsspirale drehte sich weiter: Der direkte Wiederaufstieg misslang, in der gerade abgelaufenen Saison spielte der TVG zwar vorne mit, die Versetzung nach oben blieb erneut außer Reichweite. Dann verweigerte der Ligaverband dem TV Großwallstadt die Lizenz, nicht Neues, der Klub kannte das aus den vergangenen Jahren. Es gab Auflagen, stets musste nachgebessert werden, doch dieses Mal wollte das nicht mehr gelingen. 650 000 Euro aus dem geplanten 1,75-Millionen-Etat waren nach Ansicht der Prüfkommission nicht gedeckt. Geschäftsführer Georg Ballmann verweist zwar auf "mündliche Zusagen und geplante Neuabschlüsse" von Sponsoren für diese Summe, letztlich verzichtete der TVG auf den Schritt vor ein Schiedsgericht.

Damit ist Profi-Handball in Großwallstadt bis auf Weiteres Geschichte. Wie lange weiß momentan niemand einzuschätzen, die GmbH wird von einem Insolvenzverwalter abgewickelt. Nun ist der TV Großwallstadt 1888 e.V. am Ruder und damit die beiden Vorsitzenden des Hauptvereins, Bernd Sam und dessen Stellvertreter Burkhard Müller. Sie haben die Lizenz für die dritte Liga beantragt und erhalten, Geschäftsführer Ballmann spielt in den Planungen keine Rolle mehr.

Für die kommende Saison sollten ohnehin mehrere kostspielige Akteure gehen, der Fokus auf Eigengewächse aus dem HBLZ gelegt werden. Dieses Vorhaben findet nun eine dramatische Befeuerung, der Ausverkauf des Teams ist in vollem Gange. Die israelischen Nationalspieler Chen und Gil Pomeranz, der tschechische Alt-Internationale Pavel Prokopec, Juniorennationalspieler Jannik Kohlbacher, Torhüter Milos Putera und Hugo Lopez haben bereits neue Vereine. Unklar ist auch, ob Trainer Maik Handschke bleibt. Er gilt als Idealbesetzung für einen Neuaufbau, genau das nämlich hatte der ehemalige Nationalspieler schon bei Tusem Essen vorzüglich hinbekommen. Den seinerseits angeschlagenen Zweitligisten führte er nach nur zwei Jahren zurück ins Oberhaus, der schnelle Aufstieg nebst miserablem Start in Liga eins hatte ihn letztendlich sogar den Job gekostet. Er ging zum TVG, nun nach Monaten ohne Gehalt und dem anhaltenden und anstrengenden Überlebenskampf bei den Oberfranken wirkt der bullige 1,90-Meter-Hüne angeschlagen.

Grundsätzlich wäre Handschke bereit, den Neustart an leitender Stelle zu begleiten, sagt er, doch ehe er in die dritte Liga geht, will er die zuletzt so arg vermisste Sicherheit, dass "nur das Geld ausgegeben wird, das auch da ist". Ein Angebot eines anderen Klubs hat Handschke bereits ausgeschlagen, momentan gebe es weitere "zwei, drei lose Anfragen". Er würde gerne mit ein paar Routiniers und den eigenen Talenten "über zwei, drei Jahre eine Mannschaft perspektivisch aufbauen". Handschke hofft auf die Vereinsvorsitzenden Sam und Müller, denn ohne Garantien kann er sich keine Zukunft in Großwallstadt vorstellen: "Ich habe ihnen meine Vorschläge und eine Spielerliste übergeben", sagt Handschke, die Vereinsführung kennt seine Vorstellungen, nun ist sie am Zug.

Auch Michael Spatz hat mehrere Offerten, aus der ersten und zweiten Liga. Ob er in die dritte Liga geht, hängt auch bei ihm maßgeblich von der Perspektive ab. Trainer Handschke wäre da ein Argument, zumal Spatz gerne in der Region bleiben würde. "Ich baue gerade in der Nähe von Aschaffenburg", erzählt er, Anfang Juli wird er heiraten. Andererseits könnte er mit 32 Jahren noch ein paar Jahre auf höchsten Niveau spielen, in der abgelaufenen Saison war er viertbester Torschütze. "Ich bin in einer vergleichsweise komfortablen Situation", sagt er, er wartet erst mal ab. Gedanken über die Zukunft? Sicher, bald, aber jetzt erst einmal abschalten, vergessen. Am dafür idealen Ort, mit ein paar Teamkollegen auf Mallorca.

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