TV Bittenfeld:Die listigen Handballer aus dem Remstal

Lesezeit: 3 min

Der bisher erfolgreichste Werfer der Stuttgarter Bundesliga-Handballer: Michael Spatz. (Foto: Baumann/Imago)
  • Der TVB Stuttgart gehört zu den Entdeckungen in der Handball-Bundesliga.
  • Mit unkonventionellen Methoden und einem ganzen Dorf im Rücken mischt der Klub nach dem Aufstieg die erste Liga auf.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen und zur Tabelle in der Bundesliga.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Beim letzten Heimspiel des Jahres kurz vor Weihnachten, gegen die Füchse Berlin, kamen mal wieder mehr Zuschauer in die Stuttgarter Porsche-Arena als Bittenfeld Einwohner hat. Um genau zu sein: 6211 - mehr passen nicht rein. 4377 Menschen leben in dem Waiblinger Ortsteil, der 30 Kilometer nordöstlich von Stuttgart im Remstal liegt. In unmittelbarer Nähe der Gemeindehalle, wo Ende der Neunzigerjahre der wundersame Aufstieg der Handballer in der Verbandsliga begonnen hat, ist zwar neben vier Tennisplätzen und einem Waldfreibad auch ein Fußballplatz zu finden, einen dazu gehöriger Fußballverein sucht man in Bittenfeld aber vergeblich: "Den Rasenplatz haben wir nur, damit wir darauf Feldhandball spielen können", erklärt Geschäftsführer Jürgen Schweikardt.

In der Handball-Bundesliga gehört der Aufsteiger TV Bittenfeld - neben dem starken Neuling SC DHFK Leipzig - zu den Entdeckungen dieser Saison. Der Klub mit einem der geringsten Etats aller Mannschaften liegt nach 20 Spielen mit 9:31 Punkten überraschend auf Rang 14. "Wir könnten zwei, drei Punkte mehr haben, aber ich bin total zufrieden, weil wir dort stehen, wo wir auch am Saisonende sein wollen", sagt Schweikardt - auf einem Nicht-Abstiegsplatz.

Die außergewöhnliche Geschichte des Dorfklubs veranschaulicht kaum jemand besser als der 35-Jährige selbst, der im Verein schon fast jede Position ausgefüllt hat. Er war Spieler, Trainer, Geschäftsführer - und manchmal sogar alles zusammen. "Unsere Geschichte ist fast zu gut, um wahr zu sein", sagt Schweikardt, der erst mit dem Aufstieg im Sommer seine Doppelfunktion als Coach und Manager beendet hatte. Der TV Bittenfeld ist wohl der unkonventionellste Aufsteiger seit Langem in der stärksten Handball-Liga der Welt, die dafür bekannt ist, dass sie ziemlich gnadenlos zu Aufsteigern ist.

Von den 15 Neulingen in den vergangenen Jahren stiegen 13 sofort wieder ab: "Der Klassenverbleib ist daher das einzige realistische Ziel für uns", sagt Schweikardt vor der sechswöchigen EM-Pause.

Jahresrückblick
:Sportmomente: Als Messi die Bayern zerrupfte

Barcelonas Stürmer wackelt alle aus, über Sepp Blatter regnet es Geld. Dazu gibt es Tränen von Nowitzki und einen Tennis-Rastafari. Die Sportmomente 2015.

Mit der Niederlage am Sonntag beim VfL Gummersbach endete das bisher aufregendste Jahr in der langen Historie des Bittenfelder Handballs. Nicht nur der Aufstieg in die erste Liga war in dem seit 1898 bestehenden Klub eine Zäsur, sondern auch die Namensänderung. Im Sommer entschieden sich die Mitglieder dafür, Stuttgart in den Schriftzug mit aufzunehmen. Schon seit drei Jahren hatten sie in der mit 2200 Zuschauern fassenden Stadionhalle der Stuttgarter Fußballarena ihre neue Heimstätte gefunden. "Mit diesem Schritt wollten wir uns endgültig für Sponsoren und die Zuschauer aus der ganzen Region Stuttgart öffnen", sagt Schweikardt.

Wichtig war allen Bittenfeldern allerdings, dass ihr Logo unangetastet blieb: "Unsere Identität wollten wir uns für den Erstliga-Handball nicht abkaufen lassen", betont der Geschäftsführer. Deshalb behielt der Klub sein altes Wappen, nur ein neuer Name entstand: TVB 1898 Stuttgart. Der Verein spielte sowohl in der Porsche-Arena als auch in der Stadionhalle, trainiert wird aber weiterhin in der Gemeindehalle in Bittenfeld. "Hier ist und bleibt unser Trainingszentrum", betont Schweikardt.

Dass die Mannschaft des ehemaligen Friesenheimer Erstliga-Trainers Thomas König stark genug ist, um den Klassenverbleib schaffen zu können, hat sie im bisherigen Saisonverlauf schon angedeutet. Vier Spieler sind noch aus Regionalliga-Zeiten dabei. Doch allein auf Spieler aus der eigenen Jugend können und wollen sich die Bittenfelder natürlich nicht verlassen. Da ihr Aufstieg erst gegen Ende Mai, Anfang Juni feststand, waren sie bei der Akquise auf unkonventionelle und listige Transfers aus Handballfernen Ländern angewiesen.

Zum Beispiel holten sie in Yunus Özmusul einen türkischen Torhüter oder in Sejad Esteki einen iranischen Rückraumspieler: "Spieler aus Deutschland oder Skandinavien konnten wir uns nicht leisten", sagt Schweikardt. Die auffälligsten Bittenfelder Spieler in dieser Saison sind sein zurzeit verletzter Bruder Michael, der als Spielmacher Präzision und Struktur ins Spiel bringt, und der rechte Außenläufer Michael Spatz. Der 33-Jährige kam vor der Saison vom Drittligisten TV Großwallstadt und ist mit 108 Treffern der bisher erfolgreichste Werfer der Mannschaft.

Bittenfeld wird in der Szene plötzlich ernstgenommen

Jürgen Schweikardt hat in all den Jahren in Bittenfeld gelernt, dass nichts unmöglich ist: "Ich würde nie sagen, dass wir nicht eines Tages in der Champions League spielen", sagt er. Es will nicht übermütig klingen. Aber er sieht, wie der Klub und der Etat von 2,5 Millionen Euro Jahr für Jahr wächst - und dass sie nun in der Szene als ernsthafter Bewerber wahrgenommen werden: "Uns werden plötzlich Spieler angeboten, die uns im Sommer noch nicht angeboten worden sind", bekennt Schweikardt. In den nächsten drei bis fünf Jahren, fügt er hinzu, "wollen wir uns in der ersten Liga etablieren". Und wird er vielleicht sogar noch mal die Mannschaft trainieren? Ausschließen mag er das nicht.

© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: