Tumulte im "Clásico":Mourinho vergiftet den spanischen Fußball

Trainer José Mourinho wird nach dem Supercup gegen Barcelona zum Augenstecher und steckt mit seiner militanten Siegermentalität den edlen Klub Real Madrid an. Die Milliarden-Truppe mutiert zur marodierenden Bande und selbst Bundestrainer Joachim Löw muss sich Sorgen machen.

Javier Cáceres

Es war in Barcelona noch um kurz vor ein Uhr morgens 33 Grad heiß, auch sonst waren wenig geeignete Umstände gegeben, um hitzige Gemüter zu beruhigen. Nur ein Mann schien in sich selbst zu ruhen, genau wissend, was er tun wollte und was er tat, als alle um ihn herum nach einem erst Mittwochabend um elf Uhr angepfiffenen Spiel verrückt zu spielen schienen: José Mourinho.

Marcelo, Linksverteidiger bei Real Madrid, war Barcelonas Cesc Fàbregas im Stile eines Schlächters in die Knöchel gefahren und hatte dafür die rote Karte gesehen. Es folgte ein Handgemenge, das bei jeder kleineren Studentendemo den Einsatz eines Sondereinsatzkommandos mit Tränengas und Wasserwerfern zur Folge gehabt hätte: Spieler, Trainer, Assistenten, alle rauften sie wie in einem Saloon. Dann also trat Mourinho auf den Plan, der Trainer von Real Madrid. Er ging gemessenen Schrittes auf Barcelonas Trainerassistenten Tito Vilanova zu und fuhr seinen Arm aus.

Die einen sagen seither, Mourinho habe Vilanova bloß die Kontaktlinse unters Lid schieben wollen. Die anderen, Mourinho sei vom Film "Kill Bill" inspiriert gewesen und habe versucht, Vilanovas Augapfel herauszureißen. Mourinho trug später nichts zur Wahrheitsfindung bei: "Vilanova? Kenne ich nicht."

Es war ein Eklat, der so manche unumstößliche Wahrheit fast noch verdeckt hätte, die der 3:2-Sieg Barcelonas im Rückspiel um den spanischen Supercup bereithielt (Hinspiel 2:2). Erstens: Lionel Messi, der das 1:0 durch Andrés Iniesta vorbereitete und die anderen beiden Treffer nicht minder genial selbst erzielte, ist selbst dann noch der beste Spieler der Welt, wenn er mit einem Bein im Urlaub steht. "Der ist hier in Flipflops angekommen und macht zwei Tore", sagte Barças Verteidiger Piqué.

Zweitens: Selbst eine gute, zeitweise hervorragende Milliardentruppe von Real Madrid muss von nun an mit dem Frust leben, nicht mal die Trainingslager-Version des FC Barcelona bezwingen zu können. Und drittens: Real wird zusehends seiner einst weltweit als edel und gut etikettierten Wesensart beraubt. Von Mourinho.

Seit José Mourinho bei Real die Geschäfte führt, erleidet Spaniens Rekordmeister von Woche zu Woche aufs Neue einen Imageschaden. Und wird immer mehr zu einer marodierenden Bande. Mourinhos Tätlichkeit ist nur die Klimax eines zunehmend militanten Verständnisses seiner Arbeit, die gravierende Folgen für die Psyche seiner Spieler zu haben scheint und das Umfeld ansteckt.

Ein (Mourinho-naher) Kommentator der (Real-nahen) Zeitung Marca fand, der Stich mit dem Finger sei insgesamt korrekt, habe aber auf die falsche Körperöffnung gezielt. Gewiss: Real Madrid bestach in der ersten Halbzeit durch aggressive Spielführung, grandioses Pressing, der permanenten Suche nach dem umstandslosesten Weg zum Abschluss. Dass Real viele Chancen vergab, hat übrigens genau mit dieser Dringlichkeit zu tun, im Zweifelsfall auch überstürzt aufs Tor zu schießen.

Mesut Özil war völlig außer sich

Aber: Manche Szenen lassen sich nur so deuten, dass Mourinho nicht nur taktische Finesse lehrt, sondern auch die physische Vernichtung des Gegners predigt. Marcelos hinterhältiger Angriff auf Cesc (Real-Kapitän Casillas: "Der hat sich fallen lassen") war nicht dessen erste schwerwiegende Aggression der Partie; er hätte für einen Tritt gegen Messi schon vorher vom Platz gehört.

Dass Reals Verteidiger Pepe 180 Minuten Supercup ohne rote Karte überstehen durfte, ist zudem wohl nur dem Druck geschuldet, den Mourinho mit seinen monatelangen und systematischen Attacken gegen die Schiedsrichter erfolgreich geschürt hat.

Allmählich muss sich auch Bundestrainer Joachim Löw Sorgen machen: Man hat das Gefühl, dass noble Seelen wie Sami Khedira und Mesut Özil unter Mourinhos Handlungsanweisungen von sich selbst entfremdet werden, ohne es zu merken. Özil flog beim Handgemenge vom Platz, weil er, völlig außer sich, versucht hatte, sich mit der halben Barcelona-Bank zu prügeln; unter anderem mit Barça-Stürmer David Villa, der ihn provoziert hatte und ebenfalls Rot sah.

Der vorher ausgewechselte Khedira konnte Özil nur mit Mühe bändigen. Mourinho selbst focht das alles nicht an - er versteckt sich unterm Macho-Mantel. "Ich bin in einer Kultur groß geworden, in der Fußball eine Männersache ist und bei der man nicht nach dem ersten Hauch umfällt", sagte er.

Die Sorgen, die aus dem Lager Barcelonas kamen, sind durchaus ernsthaft gemeint. "Mourinho macht den spanischen Fußball kaputt", befand Gerard Piqué. Barcelonas Trainer Josep Guardiola erklärte: "Wir müssen aufpassen, denn sonst wird irgendwann etwas passieren, was wir alle bereuen werden."

Auch das Gesicht des Weltmeistertrainers Vicente del Bosque ist allmählich zerfurcht. Das Klima im Nationalteam, vergangenen Sommer noch als mustergültig besungen, hat so sehr unter dem Special-One-Gift gelitten, dass einstige Freundschaften zerbrochen sind. Spieler erkennen einander nicht wieder. "Ich weiß nicht, ob es eine Lösung gibt", sagte der besonnene Iniesta.

Hinter vorgehaltener Hand wird von kleineren und größeren Demütigungen berichtet. "Wie? Ihr geht schon?", blaffte ein Real-Profi einen Nationalmannschaftskollegen aus Barcelona an, als Real Madrid im Mai in Valencia den Pokal geholt hatte - und sich Barcelonas Mannschaft wieder auf dem Weg in die Kabine machte, nachdem sie den Siegern Spalier gestanden hatten. In der Nacht zum Donnerstag gratulierte nicht ein einziger Spieler von Real Madrid seinem Gegner.

Die famose Zeile aus Reals Klubhymne, in der es heißt, dass der madridista "... in der Niederlage die Hand reicht...", sie ist längst ad absurdum geführt. Als die Partie vorüber war, ging Vereinschef Florentino Pérez in die Real-Kabine und gratulierte seinen Mannen zu ihrer grandiosen Darbietung.

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