Türkischer Skispringer:Seine Mama sagte: "Hör' sofort damit auf"

66. Vierschanzentournee

Fatih Arda İpcioğlu ist zu einem ernstzunehmenden Skispringer aufgestiegen.

(Foto: dpa)
  • Fatih Arda İpcioğlu ist der erste türkische Skispringer bei der Vierschanzentournee.
  • Er hat sich damit einen Traum erfüllt, und sich gegen den Widerstand seiner Eltern durchgesetzt.

Von Matthias Schmid, Garmisch-Partenkirchen

Fatih Arda İpcioğlu hat nie darüber nachgedacht, die Türkei zu verlassen. Aber wenn er auf seine Eltern gehört hätte, wäre er jetzt Student. Oder Gärtner. Auf jeden Fall etwas anderes als Skispringer.

Diese Geschichte erzählt davon, wie aus einer verrückten Idee etwas entstehen kann. Denn İpcioğlu hat geschafft, was lange Zeit nur er selbst für möglich hielt: Der 20-jährige Mann aus dem ostanatolischen Städtchen Erzurum will es einmal beständig unter die besten 30 Skispringer im Weltcup schaffen, nun ist er als erster Türke bei der Vierschanzentournee in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen gesprungen. Und er hat sich als erster türkischer Skispringer für Olympia qualifiziert, İpcioğlu reist im Februar ins südkoreanische Pyeongchang.

İpcioğlu brach sich beide Beine

"Kayakla atlama", so heißt Skispringen in seiner Landessprache, gilt in der Türkei als Extremsport. Niemand war dort je auf den Gedanken gekommen, sich von einem Sprungturm waghalsig in die Tiefe zu stürzen, es gab ja auch keine Sprungschanzen im Land, bis die Regierung im Jahr 2010 in Erzurum ein Skisprungzentrum für etwa 20 Millionen Euro errichten ließ - für die Winter-Universiade ein Jahr später. Erzurum ist die größte Stadt Ostanatoliens, 1300 Kilometer östlich von Istanbul liegt sie auf einem Plateau in fast 2000 Meter Höhe. "Dort habe ich als Elfjähriger mit Skispringen begonnen", erzählt İpcioğlu in flüssigem Englisch.

Er tat es gegen den vehementen Widerstand seiner Eltern. Viel zu gefährlich, sagten sie, wenn ihr Sohn seinem Hobby nachging. Als sich İpcioğlu vor fünf Jahren bei einem Sturz tatsächlich beide Beine brach und auf dem Operationstisch lag, protestierte seine Mama noch energischer. "Hör' sofort damit auf", befahl die Mutter, İpcioğlu ignorierte ihre Worte aber und sprang weiter. "Ich habe einen starken Willen und wollte unbedingt schaffen, was ich mir als Kind in den Kopf gesetzt hatte", sagt İpcioğlu. Er wollte eines Tages bei der Vierschanzentournee dabei sein.

"Nun bin ich hier", hauchte er in Garmisch-Partenkirchen ergriffen, "das ist unglaublich." İpcioğlu staunte über die vielen Zuschauer, über die Leistungen von Kamil Stoch und Richard Freitag, und natürlich über sich selbst. Er ist ein ernstzunehmender Springer, keiner wie der Brite Michael Edwards, der einst als "Eddie the eagle" von den Schanzen hüpfte und sich als schlechtester Skispringer der Welt vermarktete. "Ich habe immer an mich geglaubt und will mich nun weiter verbessern, um in den zweiten Durchgang zu kommen", sagt İpcioğlu.

Die Regierung beteiligt sich an den Kosten

İpcioğlu und seine Teamkollegen sind Pioniere in der Türkei, die Vorspringer einer neuen Sportart, die sich auch mithilfe der Regierung immer besser etabliert. Sie beteiligt sich an den Flugkosten, den Hotels für die Wettkämpfe in Europa und natürlich am Gehalt des finnischen Cheftrainers Pekka Niemelä, der in Anatolien Entwicklungshilfe leistet.

İpcioğlu ist ihr bester Springer, in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen belegte er in der Qualifikation die Ränge 64 und 66, auf den Rat Niemeläs hin reist er nun aber direkt in den Schwarzwald, wo am Wochenende die nächsten Springen im zweitklassigen Continentalcup anstehen, um vor Olympia noch etwas Sicherheit zu sammeln. Die zwei weiteren Springen der Tournee lässt İpcioğlu deshalb aus.

Doch İpcioğlu glaubt, dass die türkischen Skispringer eine Zukunft haben. Daheim in Erzurum üben mittlerweile fast 30 Kinder auf den verschiedenen Schanzen. Skispringer sind in der Türkei zwar noch immer Außenseiter, die mit allerhand Widrigkeiten zu kämpfen haben: Im Sommer 2014 zerstörte ein Erdrutsch fast die gesamte Anlage in Erzurum, weil bei der Planung und beim Bau geschlampt worden war.

Fatih Arda İpcioğlu lässt sich von den Naturgewalten aber ebenso wenig aufhalten wie von seinen besorgten Eltern. Der 20-Jährige träumt lieber schon von der Zukunft. "Wenn ich in zwanzig Jahren im Fernsehen Skispringen anschaue, werde ich viele türkische Springer sehen", sagt İpcioğlu. Und sogar seine eigene Mutter sei mittlerweile ein "bisschen stolz auf mich".

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