Türkei:Zwischen Herz und Perspektive

Friendly football match between Turkey and Greece in Istanbul on November 17 2015 Final Score Tu

Viermal durfte Yunus Malli bereits in der türkischen A-Nationalmannschaft auflaufen, wie hier im November gegen Griechenland. Nun könnte er für die EM nominiert werden.

(Foto: Seskim Photo/imago)

Yunus Malli wurde in Deutschland ausgebildet und durchlief ab der U17 alle Junioren-Auswahlteams des DFB. Bei der EM könnte er zum Joker der Türken werden.

Von Tobias Schächter, Mainz

Yunus Malli erinnert sich noch genau an den 25. Juni 2008, Deutschland und die Türkei trafen in Basel im EM-Halbfinale aufeinander. 16 Jahre jung war er damals und träumte im Internat von Borussia Mönchengladbach von einer Karriere im Profifußball. Das große Spiel schaute Malli allerdings im Urlaub in seiner Heimatstadt Kassel an, mit Freunden beim Public Viewing. "Ich wollte schon, dass Deutschland weit kommt", erinnert er sich, "aber im Halbfinale war ich dann doch für die Türkei." Am Ende war der Teenager traurig, Deutschland gewann durch ein Tor von Philipp Lahm in der letzten Minute 3:2.

Yunus Malli ist mittlerweile 24 Jahre alt. Nach vier Jahren Ausbildung bei Borussia Mönchengladbach hat er gerade seine fünfte Bundesligasaison absolviert und bei Mainz 05 den Sprung vom Talent zum Leistungsträger geschafft. Der kleine Techniker mit der fintenreichen Spielweise hat ab der U17 alle Junioren-Auswahlmannschaften des DFB durchlaufen. Inzwischen ist er aber schon sechs Mal für die A-Nationalmannschaft der Türkei aufgelaufen. Und wenn alles gut läuft, dann wird vielleicht ein weiterer Traum wahr für Yunus Malli, er sagt: "Wenn ich bei der EM gegen Deutschland spielen würde, wäre das natürlich ein Traum."

In den EM-Kader von Trainer Fatih Terim hat es Malli geschafft. Seit er sich im vergangenen Oktober entschieden hat, für die Türkei zu spielen, kam er auf vier Einwechslungen in der Milli Takim. Noch im vergangenen Sommer, bei der U21-EM in Tschechien, trug er das Trikot der Deutschen. Als aber Anfang der abgelaufenen Saison ein Mittelsmann des türkischen Verbandes Kontakt mit seinem Berater und Onkel Ilhan aufgenommen und Malli sich nach einem Bundesligaspiel in Leverkusen mit der türkischen Trainerlegende Fatih Terim getroffen hatte, entschied er sich für die Auswahl der Türkei.

"Mit den Jahren ist das Gefühl gekommen, dass es etwas Besonderes wäre, für die Türkei zu spielen. Beim Anschauen der Spiele der türkischen Nationalmannschaft habe ich gemerkt, dass da doch eine andere Emotionalität da ist. Als dann das Interesse vom Verband und vom Nationaltrainer kam, musste ich nicht lange überlegen", erklärt Malli, der erst die türkische Staatsbürgerschaft wieder beantragen musste, weil er diese einst aufgegeben hatte, um für Deutschland zu spielen.

Kühle Karriereplanung

Es sind komplizierte Entscheidungen, die von talentierten Fußballern mit deutsch-türkischen Wurzeln verlangt werden. Nicht selten wird auf die Spieler Druck ausgeübt, von Verbänden oder Eltern. Oft entscheidet das Herz, aber immer öfter auch die kühle Karriereperspektive über den Werdegang. Für Deutschland und die Türkei spielten in der Vergangenheit prominente Profis mit beiden Optionen. Mustafa Dogan zum Beispiel für den DFB, die Altintop-Brüder für die Türkei.

Im EM-Kader der Türken stehen neben Malli in Nuri Sahin (Dortmund), Hakan Calhanoglu (Leverkusen), den in Deutschland geborenen Besiktas-Profis Cenk Tosun, Olcay Sahan sowie Hakan Balta (beide Galatasaray) sechs Spieler, die theoretisch auch für Deutschland spielen könnten. Andererseits tragen Mesut Özil, Emre Can sowie der derzeit verletzte Ilkay Gündogan nicht das türkische Trikot, sondern das DFB-Shirt. Hätte sich Malli für Deutschland entschieden, hätte es für ihn angesichts der Leistungsdichte im Kader der Deutschen künftig womöglich keine Möglichkeit gegeben, A-Länderspiele zu bestreiten und an einem großen Turnier teilzunehmen. Er sagt: "Es ist ja kein Geheimnis, dass in der deutschen Nationalmannschaft Riesenqualität ist. Aber ich habe mir nicht so viele Gedanken gemacht, wann und ob ich für die Deutschen spielen könnte. Ich bin aber froh, dass ich mich so entschieden habe."

Es habe von türkischer Seite keine besonderen Verlockungen gegeben, versichert Malli. Trainer Terim habe ihm gesagt, er sei wie jeder Spieler aus Europa willkommen, der für sein Vaterland spielen wolle. Seine Eltern hätten auch eine andere Wahl mitgetragen. Die Eltern stammen aus der Nähe von Trabzon und kamen im Kindesalter nach Kassel.

Seine Spielweise ist deutlich aggressiver geworden

Yunus Malli ist niemand, der einen Raum ausfüllt, wenn er ihn betritt, er ist zurückhaltend und spricht leise. Sein Spiel hat unter Anleitung seines Mainzer Trainers Martin Schmidt deutlich an Aggressivität gewonnen. "Ich hatte sehr viel Geduld und habe mich von Jahr zu Jahr Stück für Stück verbessert. Ich bin mit kleinen Schritten vorangekommen und habe immer mehr Zug zum Tor entwickelt." Vielleicht kann Malli nun den nächsten Schritt in seiner Laufbahn gehen, eine gelungene EM-Teilnahme würde seinen Marktwert noch steigern, für rund zehn Millionen Euro kann er aus seinem Vertrag in Mainz herausgekauft werden. Vergangenen Winter schon gab es Angebote aus Dortmund sowie von Klubs aus England und der Türkei. "Mal sehen, was im Sommer kommt", sagt er.

Erst einmal will er Fatih Terim bei der EM überzeugen. Er sei in eine gefestigte Mannschaft gekommen, erzählt er. Die Serie der Türken von 13 Spielen ohne Niederlage wurde erst kürzlich im Testspiel in England (1:2) unterbrochen. Von den Skandalen im türkischen Fußball spüre er nichts im Mannschaftskreis. Malli glaubt, dass die Türken weit kommen könnten, sollten sie die schwere Gruppe mit Spanien, Kroatien und Tschechien überstehen.

Eine Pointe hat die Geschichte von Yunus Malli in diesem Zusammenhang noch: Europameister ist er schon einmal geworden: Er stand im Kader jener deutschen U17-Auswahl, die 2009 den Titel gewann.

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