Türkei:Erdoğans treue Fußballfreunde

Türkei - Finnland

Jubeltraube vor Fahnenmeer: Die türkischen Spieler feiern ihren 2:0-Sieg gegen Finnland in der WM-Qualifikation.

(Foto: Depo Photos/dpa)
  • Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ist nach dem Sieg der türkischen Nationalmannschaft einer der ersten Gratulanten.
  • Der türkische Fußball hat dem Staatsoberhaupt viel zu verdanken, die Treue zu Erdoğan ist groß.
  • Fenerbahce-Vereinsboss Yidlirim macht den Erdoğan-Antipoden Gülen und dessen Bewegung für eine "Verschwörung" beim Manipulationsskandal verantwortlich.
  • Hier geht es zu allen Ergebnissen und den Tabellen der WM-Qualifikation.

Von Tobias Schächter

Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan war am Freitagabend in der Antalya Arena einer der ersten Gratulanten der türkischen Fußball-Nationalmannschaft. Durch zwei Tore des Besiktas-Stürmers Cenk Tosun schlugen die Türken Finnland in der WM-Qualifikation, nach fünf Spielen hat die Mannschaft von Trainer Fatih Terim die Chance auf Playoff-Platz zwei gewahrt, Tabellenführer Kroatien ist schon enteilt, der Zweite Island zwei Punkte entfernt. Ein Scheitern in der Qualifikation für die WM 2018 wäre ein Rückschlag für den türkischen Fußball - und für Erdoğan. Denn der Fußball ist eine Projektionsfläche für Erdogans Politik. Und die Offiziellen des Türkischen Fußballverbandes (TFF) sind seine treuen Gefolgsmänner.

Vergangene Woche trat Erdoğan auf einem Fußball-Symposium in Istanbul mit vielen internationalen Gästen auf. Verbandspräsident Yildirim Demirören, ein Öl- und Gas-Magnat, sagte in seiner Rede, dass er hoffe, am 17. April in einer Türkei aufzuwachen, die mit "Evet" (Ja) gestimmt habe. Am 16. April entscheiden die Türken in einem Referendum über eine Verfassungsänderung, die dem Staatspräsidenten noch mehr Macht bringen soll. Die regierungskritische Zeitung Cumhuriyet berichtete am Freitag, dass der TFF einen Schiedsrichter in der Provinz Sinop am Schwarzen Meer suspendiert habe, weil dieser sich öffentlich für ein "Hayir" (Nein) im Referendum ausgesprochen habe.

Die klare Positionierung der Repräsentanten des Fußballs verwundert nicht. Ohne den Einfluss Erdoğans und der Politik wäre der türkische Fußball nach dem großen Manipulationsskandal 2011 nie reingewaschen worden. Damals soll sich unter anderem Fenerbahce den Titel erkauft haben, Fenerbahce-Präsident Aziz Yildirim war wegen der Gründung einer kriminellen Bande zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Nach wohlwollenden Gesetzesänderungen wurde der Fall erneut aufgerollt und die Urteile kassiert.

Manipulationsskandal? Der Fenerbahce-Boss verdächtigt Prediger Gülen

Der TFF hatte behauptet, es habe keine Manipulationen gegeben und änderte handstreichartig seine Statuten, damit die Großklubs Fenerbahce und Besiktas nicht zwangsabsteigen mussten. Noch immer sind Klagen anhängig. Wie Erdoğan beim gescheiterten Putschversuch im vergangenen Juli macht Fenerbahce-Boss Yidlirim den Prediger Fethullah Gülen und dessen Bewegung für "die Verschwörung" beim Manipulationsskandal verantwortlich.

Das Ergebnis der Verwerfungen im Fußball ist eine hasserfüllte Polarisierung der Klubs und ein massiver Imageverlust des Sports. Es wirkte wie Realsatire, als TFF-Präsident Demirören im Glanz der Scheinwerfer des Symposiums in Istanbul behauptete, der türkische Fußball sei durch seine Entwicklung in den letzten 15 Jahren mittlerweile Vorbild in vielen Ländern Europas.

Türkische Spitzenklub sind hoch verschuldet

Der Italiener Andrea Traverso klang etwas anders. Traverso leitet die Abteilung Financial Fairplay (FFP) im Kontinentalverband Uefa. Die massiven Geldprobleme der türkischen Klubs seien durch schlechtes Wirtschaften zum Großteil hausgemacht. Die Spitzenklubs Besiktas, Fenerbahce, Galatasaray und Trabzonspor müssen FFP-Auflagen erfüllen, sonst droht der Ausschluss aus den europäischen Wettbewerben. Die Klubs sind im dreistelligen Millionen-Euro-Bereich verschuldet. Durch den Verfall der Lira, die in den letzten drei Jahren fast 50 Prozent ihres Wertes gegenüber Euro und Dollar verloren hat, kommen die Klubs der Zahlungsunfähigkeit näher. Spieler aus dem Ausland werden in Dollar und Euro bezahlt - die Einnahmen aber generieren die Klubs fast nur in türkischer Währung. Ausnahme ist Besiktas, das alleine durch die Teilnahme an der Champions-League-Vorrunde 33 Millionen Euro eingenommen hat.

Die türkischen Klubs leiden laut Traverso an einem gravierenden Strukturproblem: Die Süperlig-Wettbewerber geben im Schnitt 80 Prozent ihrer Einnahmen für Spielergehälter aus. Zum Vergleich: In Deutschland fließen 52 Prozent der Einnahmen in den Spieleretat, in Spanien 60 und in England 61 Prozent. Auf Zuschauereinnahmen können die Klubs in der Türkei nicht bauen, derzeit beträgt der Schnitt nur noch rund 8400 Fans pro Spiel.

Es gibt Bemühungen, die Süperlig nach dem Vorbild der DFL zu organisieren

Der Präsident des AKP-nahen Klubs Basaksehir, Güksel Gümüsdag, der mit einer Nichte von Erdoğans Frau verheiratet ist, ist Treiber hinter den Bemühungen, die Süperlig nach dem Vorbild der DFL in Deutschland zu organisieren. Auf dem Symposium in Istanbul waren auch Vertreter der DFL und Rolf Königs, der Präsident von Borussia Mönchengladbach und der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer.

Doch hinter den Strukturproblem steckt auch ein Mentalitätsproblem: Kurzfristiger Erfolg steht im türkischen Fußball immer über Nachhaltigkeit, etwa dringend notwendigen Investitionen in den Nachwuchs. Kurzfristig winkt den Klubs Rettung in Form eines neuen TV-Vertrags, der ihre Einnahmen ab der neuen Saison um rund 50 Prozent steigen lässt. Das Unternehmen "beIN-Sports" aus Katar zahlt den Klubs künftig pro Saison 557 Millionen Euro statt bisher 321.

Und Erdoğan? Kündigte auf dem Symposium in Istanbul an, dass in der Hauptstadt Ankara eine weitere, hochmoderne Arena mit einer Kapazität für 40 000 Menschen geplant sei. Er will endlich erstmals ein sportliches Großereignis ins Land holen, und die EM 2024 ausrichten. Es ist noch ein Gleichnis zwischen Sport und Politik: Um die Ausrichtung muss sich die Türkei mit einem anderen Bewerber streiten - mit Deutschland.

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