Lukas Podolski in der Türkei:Kratzer in der Glitzerfassade

Medien: RB Leipzig holt Portugiesen Bruma

Zwei, die die türkische Liga verlassen: Lukas Podolski (l.) zieht es nach Japan, Bruma wechselt zu Leipzig in die Bundesliga.

(Foto: dpa)
  • Lukas Podolski macht sein letztes Spiel für Galatasaray Istanbul, bevor er nach Japan wechselt.
  • Die türkische Liga kämpft derweil noch immer mit den Folgen des großen Manipulationsskandals von 2011.
  • Auch die politische Lage beeinflusst den Fußball, dazu kommen Debatten um leeren Stadien, Misswirtschaft der Vereinschef und ausstehende Gehälter für Spieler.

Von Tobias Schächter

Ein letztes Mal kletterte Lukas Podolski auf den Zaun im Stadion von Galatasaray, ein letztes Mal reckte er den Daumen nach oben. Nach zwei Jahren mit 34 Toren und 15 Assists feierte Podolski am Samstag im letzten Saisonspiel für Galatasaray Istanbul gegen Pokalsieger Konyaspor mit einem 2:1-Sieg seinen Abschied. Podolski zieht weiter in die japanische J-League zu Vissel Kobe, die türkische Liga verliert seinen ewigen Optimisten, den sie in diesen Zeiten so gut brauchen könnte.

Schließlich kämpft die türkische Liga immer noch mit den Folgen des großen Manipulationsskandals von 2011 und der unruhigen politischen Entwicklung im Land. Dazu toben Debatten um leere Stadien, Misswirtschaft der Vereinschefs, ausstehende Gehälter für Spieler und Einflussnahme der Politik.

Am Samstag ist die Spielzeit in der Türkei zu Ende gegangen, und der Titelverteidiger Besiktas hatte noch einmal 4:0 gegen Osmanlispor gewonnen und seine Vormachtstellung untermauert. Lediglich Basaksehir Spor, ein Plastikklub mit engen Verbindungen zur Regierungspartei AKP und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, hielt bis zum vorletzten Spieltag Schritt. Die großen Istanbuler Besiktas-Rivalen Fenerbahce und Galatasaray folgen mit einigem Abstand. "Unser Ziel war nie die Meisterschaft, wir wollten nur schönen Fußball bieten." Senol Günes konnte sich als Meistertrainer diesen Satz erlauben. Dabei weiß der 64-Jährige genau, wie wenig Verlierer im türkischen Fußball zählen.

Im Sommer 2002 führte Günes die türkische Nationalmannschaft bei der WM in Japan und Südkorea mit dem dritten Platz zum größten Triumph ihrer Geschichte - zwei Jahre später wurde er nach dem Scheitern in der EM-Qualifikation vom Hof gejagt. Nun feiert der Mann aus Trabzon mit Besiktas die Titelverteidigung. Aber sofern sie nicht Senol Günes heißen, wurden Trainer in der Süperlig wieder einmal fast im Spieltagstakt gefeuert: Es gab 23 Trainerwechsel, inklusive Interimslösungen.

Alleine die Großklubs haben einen Schuldenberg von rund einer Milliarde Euro

"Ich muss große Dinge bei Galatasaray tun, um mir Türen zu öffnen", hatte der 22-jährige Armindo Bruma angekündigt. Und tatsächlich traf der Portugiese in 29 Einsätzen elf Mal und bereitete acht Treffer für Galatasaray vor. Nun führt ihn sein Weg zu RB Leipzig. Dem schnellen Außenstürmer trauen viele Experten eine große Karriere zu. Angeblich zahlte Leipzig für das Offensivtalent zwölf Millionen Euro Ablöse, die sich erfolgsabhängig auf 15 Millionen erhöhen könnten.

Galatasaray braucht das Geld aus dem Transfer, der Klub steht unter enormem finanziellen Druck. Exorbitante Gehälter und überteuerte Ablösesummen führen die türkischen Klubs immer näher an den Rand des Ruins. Die Stars werden in Euro oder Dollar bezahlt, den Großteil der Einnahmen generieren die Klubs aber in heimischer Währung. Der Verfall der Lira gegenüber Euro und Dollar in den vergangenen Jahren verschärfte die Finanzprobleme der Vereine dramatisch.

Alleine die Großklubs Besiktas, Galatasaray, Fenerbahce und Trabzonspor türmen zusammen einen Schuldenberg von rund einer Milliarde Euro auf. Statt Geld in die Nachwuchsausbildung zu investieren, machen die Spielergehälter in der Türkei im Schnitt 70 bis 90 Prozent der Ausgaben aus. Kurzfristig lindert zwar der neue TV-Vertrag mit den Rechteinhabern aus Katar das Desaster - künftig kassieren die Klubs bemerkenswerte 557 statt 321 Millionen Euro pro Saison. Doch die Liga plagt ein Zuschauerproblem. Besiktas, mit den ehemaligen Hoffenheimern Andreas Beck, Ryan Babel und Demba Ba, hebt mit rund 30 000 Fans pro Heimspiel den Zuschauerschnitt der aktuellen Saison erheblich. Dank Besiktas liegt er bei 9500. Doch lediglich sieben der 18 Klubs kommen auf einen Schnitt von mehr als 6000 Fans. Die Auftritte des Ligazweiten Basaksehir besuchen beispielsweise nur knapp 3000 Menschen.

Die Politik übt großen Einfluss auf den türkischen Fußball aus

Denn nach dem großen Manipulationsskandal von 2011 hat der türkische Fußball viel Vertrauen verspielt. Die größten Zuschauereinbußen musste Fenerbahce hinnehmen: Im Schnitt sahen 16 500 die Heimspiele, fast 12 000 weniger als in der Vorsaison. Verwundert stellte Fenerbahce-Trainer Dick Advocaat fest: "Ich dachte, dass die Stadien in der Türkei immer voll sind." Dieser Satz des 69-jährigen Niederländers steht stellvertretend dafür, wie sich ausländische Stars, geblendet durch horrende Gehälter, in die von vielen Skandalen geprägte Süperlig locken lassen. Advocaat kehrt nach einem Jahr in der Türkei wieder in seine Heimat zurück und übernimmt erneut die niederländische Nationalmannschaft.

Besserung scheint nicht in Sicht hinter der Glitzerfassade, die Altstars wie Wesley Sneijder bei Galatasaray oder Samuel Eto'o bei Antalyaspor aufrechterhalten. Das Verhalten mancher Klubbosse sorgt zudem für weitere Irritationen. Der skandalumtoste Fenerbahce Präsident Aziz Yildirim beispielsweise produzierte jüngst erneut einen Eklat: Bei einem Frauen-Basketballspiel von "Fener" verprügelte der notorische Wüterich den Präsidenten des Near East University Teams, weil dieser Karten für Fenerbahce-Fans zurückgehalten und an Besiktas-Anhänger verkauft haben soll. Yildirim war nach dem Manipulationsskandal von 2011 (unter anderem soll sich Fenerbahce damals den Titel erkauft haben) zunächst wegen der Bildung einer kriminellen Bande zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Nach Gesetzesänderungen aber wurde er freigesprochen. Yildirim machte eine Verschwörung der Gülen-Bewegung für den Manipulationsskandal verantwortlich.

Der Einfluss der Politik auf den türkischen Fußball ist groß. Auf Druck von Regierungsmitgliedern schloss Galatasaray die türkische Fußballlegende Hakan Sükür aus dem Verein aus, weil dieser der Gülen-Bewegung nahe stehen soll. Galatasaray folgte jüngst auch einer Anordnung von Staatspräsident Erdoğan und benannte seine "Türk Telekom Arena" in "Türk Telekom Stadyumu" um. Erdoğan hatte erklärt, das Wort "Arena" erinnere ihn an die Arenen im alten Rom, in denen Menschen "zerfleischt" wurden. Basaksehir-Präsident Göksel Gümüsdag, der mit einer Nichte von Erdoğans Frau verheiratet und Sprecher der Klubvereinigung ist, bestätigte: "Wir denken, dass es richtig ist, dass unsere Stadien mit türkischen Wörtern in Verbindung gebracht werden."

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