EM-Quali:Türkei kehrt aberwitzig zurück

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Fatih Terim: Wieder obenauf (Foto: dpa)
  • Die Türken sind durch einen späten Treffer gegen Island nun bester Gruppendritter - und qualifizieren sich direkt für die EM in Frankreich.
  • Drei Mal trainierte Trainer Fatih Terim Galatasaray Istanbul, nun zum dritten Mal die Nationalelf.
  • Durch Übermut und Jähzorn hat er seine Mannschaften auch schon mal in dunkle Sackgassen geführt.

Von Tobias Schächter, Konya/München

Im Sport verdichten sich Entscheidungen oft in einem einzigen Moment. Auch Dienstagnacht war das so, beim EM-Qualifikationsspiel zwischen der Türkei und Island in Konya: Eine Minute vor dem Abpfiff gibt es Freistoß für die Türkei, 18 Meter vor dem Tor, es steht 0:0. Selcuk Inan schlenzt den Ball zum Siegtreffer für die Türken in den Winkel. Eine aberwitzige Comeback-Geschichte - für die es allerdings im fernen Riga auch noch einen Spieler namens Islambek Kuat brauchte. Kuat traf für Kasachstan in Lettland zum 1:0-Siegtreffer. Lettland fiel auf den letzten Platz in der Gruppe A zurück. Und weil Resultate gegen die Tabellenletzten im Ranking der besten Tabellendritten nicht gezählt werden, sind die Türken nun bester Gruppendritter - und qualifizieren sich direkt für die EM in Frankreich.

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Noch vor vier Wochen erschien eine Direktqualifikation der Türkei utopisch. Mit nur einem Punkt aus den ersten drei Partien war die Mannschaft von Trainer Fatih Terim gestartet. Dann aber schlug sie die Holländer 3:0 - und gewann nun auch die letzten beiden Partien, gegen die bereits qualifizierten Tschechen (2:0) und Isländer. Die türkischen Zeitungen schwelgen nun wieder von "Riesen" und "Giganten". Und Terim ist wieder der Retter. Dienstagnacht erklärte er: "Man verliert nicht, wenn man Punkte liegen lässt, sondern, wenn man aufgibt." Nach einem trüben 1:1 im September gegen Lettland schien die Qualifikations-Kampagne bereits verloren zu sein. Nun bilanzierte Terim: "Nach diesem Lettland-Spiel haben wir uns geschworen: Es ist nicht vorbei, bis wir sagen, es ist vorbei. Das lässt sich heute leicht sagen, damals war es das nicht."

Nun erinnert die Lage wieder an die EM 2008 in Österreich und der Schweiz, als die Türken es mit wilden Comebacks in den letzten Minuten ebenfalls unter dem Trainer Terim bis ins Halbfinale gegen Deutschland schafften. Das 2:3 in Basel war aber ihr bislang letzter Auftritt auf der großen Bühne, danach qualifizierten sie sich nicht mehr für Turniere.

Calhanoglu wurde mit einer Waffe bedroht - jetzt spielt er wieder mit

Nun, nach den tödlichen Bombenanschlägen auf eine regierungskritische Friedensdemonstration in Ankara sowie drei Wochen vor der Parlamentswahl, fällt der Erfolg der Fußballer in eine Phase schwerer innenpolitischer Turbulenzen. Terim erklärte, es falle ihm angesichts der Anschläge schwer, sich nun richtig zu freuen. Zu Terims Stärken aber gehört es, seine Spieler gerade in solchen Situationen hinter sich zu vereinen. Der große Motivator Terim, 62, verkörpert die von seiner Mannschaft gezeigten Comeback-Qualitäten selbst in seiner Vita. Drei Mal trainierte er Galatasaray Istanbul, nun zum dritten Mal die Nationalelf. Er feierte große Erfolge, wurde aber auch immer wieder mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt.

Durch Übermut und Jähzorn hat er seine Mannschaften auch schon mal in dunkle Sackgassen geführt. Das peinliche Aus in den Playoffs zur WM 2006 gegen die Schweiz war so ein Beispiel. Die Stimmung beim Rückspiel in Istanbul war auch durch Terims Parolen unerträglich aufgeheizt und mündete in Gewalt gegen Schweizer Spieler und Offizielle. Auch in der nun erfolgreich abgeschlossenen Qualifikation schien Terim zunächst auf dem falschen Weg zu sein.

Etwa mit seiner bizarren Handhabung der sogenannten "Pistolen Affäre": Ein Bekannter des Spielers Gökhan Töre hatte die beiden Leverkusener Ömer Toprak und Hakan Calhanoglu im Streit mit einer Schusswaffe bedroht. Toprak spielt seither nicht mehr in der Nationalelf, weil der Trainer Terim den Spieler Töre ohne Rücksprache wieder eingeladen hatte. Calhanoglu, der am Samstag in Tschechien das 2:0 erzielte, kehrte erst Anfang des Jahres in den Kader zurück.

Ein weiterer Tiefpunkt war erreicht, als der langjährige Torwart Volkan Demirel von Fenerbahçe Istanbul vergangenen November beim Spiel gegen Kasachstan beim Warmmachen im Stadion des Fener-Rivalen Galatasaray vor dem Anpfiff von den Zuschauern angefeindet wurde und nicht antrat. Der Manipulationsskandal von 2011, als sich unter anderem Fenerbahçe die Meisterschaft erkauft hatte, woraufhin Klub-Präsident Azis Yildirim zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde, belastet den türkischen Fußball bis heute. Erst vergangene Woche wurden nach etlichen juristischen Winkelzügen und umstrittenen Gesetzesänderungen die Angeklagten doch wieder freigesprochen.

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Schon gegen Holland fand ein entscheidendes Länderspiel fern der Istanbuler Polarisierungen im zentralanatolischen Konya statt. Eine kluge Maßnahme von vielen. Terim gelang die Wende auch deshalb, weil er auf Arda Turan (Barcelona) und Selcuk Inan (Galatsasaray) als Führungsspieler setzte und die Mannschaft verjüngte. Nun sagt er: "Diese neue Generation haben wir alle zusammen erschaffen. Mit großem Stolz laufe ich als Trainer dieser Mannschaft auf."

© SZ vom 15.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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