Türkei:Gefangen in der Transferspirale

Besiktas s new German football Player Mario Gomez arrives at Ataturk Airport in Istanbul Turkey on

Ankunft im gleißenden Licht: Mario Gomez (Mitte) sorgt für eine Fan-Party auf dem Atatürk-Flughafen.

(Foto: imago/Seskim Photo)

Mario Gomez gerät in Istanbul in eine Fußball-Welt der Extreme. Vom deutschen Stürmer werden viele Tore für das Prestige von Beşiktaş erwartet.

Von Tobias Schächter

Auch weil er sofort ins Trainingslager nach Österreich weiterreisen musste, fiel der ganz große Rummel für Mario Gomez am Donnerstag aus. Zehn Tage zuvor war der Portugiese Ricardo Quaresma als erster prominenter Zugang von Besiktas bei seiner Ankunft am Istanbuler Flughafen noch von Hunderten wie ein Heilsbringer gefeiert worden. Allerdings fehlten da die Mitglieder der großen Besiktas-Fanvereinigung Çarşi. Aus Respekt vor den Toten des Selbstmordattentates von Suruc hatten sie auf das übliche Ritual verzichtet. Çarşi, das wird Gomez schnell feststellen, ist eine besondere Fangruppe. Immer wieder nimmt die bekannteste Fanvereinigung der Türkei politisch Stellung. Politisch motiviert, so viele Beobachter, ist auch ein laufendes Verfahren gegen Mitglieder von Çarşi nach den regierungskritischen Protesten auf dem Gelände des Gezi-Parks vor zwei Jahren.

Die drei Istanbuler Großklubs setzen auf das schnelle Geld - nicht auf langfristige Planung

Der einstige Bayern-Stürmer Mario Gomez will sich nach dem Wechsel vom AC Florenz in der Türkei auf den Fußball konzentrieren. Er will sich bei Besiktas ebenso wie Lukas Podolski beim Stadtrivalen Galatasaray für den deutschen Kader der Europameisterschaft 2016 in Frankreich empfehlen. Bei Besiktas tritt Gomez die Nachfolge des ehemaligen Hoffenheimers Demba Ba an, der nach China weiterzog. Die Integration wird ihm eher leicht fallen, denn neben dem jüngst aus Hoffenheim gekommenen Andreas Beck stehen sieben weitere aus Deutschland stammende Profis auf der Lohnliste, zum Beispiel die Vorbereiter Olcay Sahan und Gökhan Töre. Die taktisch weniger ausgefeilte und langsamere Spielweise in der Süperlig könnte dem 30-jährigen Gomez nach zwei schweren Spielzeiten in Italien zudem entgegenkommen. Allerdings muss der als sensibel bekannte Stürmer lernen, mit sehr hohen Erwartungen umzugehen.

Nirgendwo wechseln die Extreme schneller als in der Süperlig, gerade in Istanbul, wo Besiktas, Galatasaray und Fenerbahce konkurrieren. So steht Robin van Persie, der Niederländer, schon kurz nach seinem Transfer von Manchester United stark unter Druck. Diese Woche gab es in der Champions-League-Qualifikation nur ein 0:0 zu Hause gegen Schachtjor Donezk. Ein Ausscheiden würde Fenerbahces Saisonstart erneut verhageln - nach zwei Jahren Sperre auf internationaler Ebene wegen der erkauften Meisterschaft 2011.

In der Heimat zählt für die Klubbosse ohnehin primär die Meisterschaft; international aber sind Branchenführer wie Real Madrid die Referenzgröße. Diese Mentalität - in der Verlieren nie Chance, sondern immer Schmach ist - erklärt den gewaltigen Transfer-Trubel am Bosporus.

Für Ruhm und Ehre setzen die stolzen Klubbosse lieber auf das schnelle Geld als auf langfristige Planung. Gerade die "Üc Büyük" - die drei Istanbuler Großklubs - schaukeln sich immer mehr nach oben in der Transferspirale. Nach der Verpflichtung von van Persie ätzte Besiktas-Präsident Fikret Orman in Richtung Fenerbahce: "Van Persie lag unser Angebot vor, dann hat Fenerbahce nachgelegt."

Es vergeht fast keine Woche, in der sich Präsidenten und Präsidiumsmitglieder nicht mit Beleidigungen piesacken. In der Woche vor den Derbys nehmen die rauen Töne zu. Jüngst erzählte Besiktas-Boss Orman, Galatasaray und Fenerbahce hätten ein Gesuch von Besiktas abgelehnt, alle Heimspiel-Derbys seines Klubs erst in der Rückrunde austragen zu dürfen. Dies, so Orman, zeige doch nur, dass die Konkurrenz Angst vor Besiktas habe - und demzufolge Besiktas der größte Klub der Türkei sei. Hintergrund des Gesuchs: Das neue Stadion von Besiktas am Ufer des Bosporus ist auch wegen Finanzproblemen noch immer nicht fertig. Ursprünglicher Einzugstermin: August 2014. Besiktas trug seine Heimspiele vorige Saison teilweise im fernen Ankara aus. Jetzt soll das neue Stadion am sechsten Spieltag mit dem Derby gegen Fenerbahce eröffnet werden.

Besiktas gilt traditionell als Klub der einfachen Leute aus dem gleichnamigen Stadtviertel, Fenerbahce als Klub der Kemalisten und des Militärs, Galatasaray als Verein der westlich orientierten Istanbuler Oberschicht. Doch geführt werden die börsennotierten Klubs längst von Unternehmern, die den Erfolg mit allen Mitteln suchen. Wie die mit dreistelligen Millionenbeträgen verschuldeten Klubs die Transfers und Gehälter ihrer oft wechselnden Stars finanzieren, ist eine spannende Frage. Oft bezahlen einzelne Mitglieder der untereinander nicht selten heillos zerstrittenen Präsidien mit privatem Geld die Transfers und lassen sich dafür feiern. Aziz Yildirim, der Fenerbahce-Präsident, erklärte jüngst, er habe in den vergangenen Jahren 30 Millionen Dollar nur für Transfers in den Klub gesteckt, in diesem Jahr trage Fenerbahce die Ausgaben aber selbst.

Manche Finanziers geben den Klubs allerdings auch nur Kredit. Oder die Klubs nehmen Bankkredite auf, um die fürstlichen Gehälter zu finanzieren. Podolski zum Beispiel kassiert bei Galatasaray drei Millionen Euro pro Saison und 20 000 pro Einsatz - netto. Das Gehalt von Gomez soll sich auf 3,5 Millionen plus Boni belaufen; die Ablöse betrug sechs Millionen Euro. Profis und Trainer hadern jedoch oft mit der Zahlungsmoral. Der Niederländer Wesley Sneijder wartete vorige Saison drei Monate auf sein Gehalt bei Galatasaray.

Anstatt die vielerorts brachliegende Jugendarbeit auszubauen, wird weiter nur auf große Namen gesetzt. Ab der neuen Saison sind erstmals elf Ausländer in der Startelf der Süperlig-Teams erlaubt. Allerdings: Die Mitglieder der Besiktas-Fangruppe Çarşi wollen auch kommende Spielzeit den Stadionbesuch boykottieren. Wie viele andere Fans glauben sie, der Staat wolle - nach den Gezi-Park-Protesten - durch das E-Ticketsystem nur ihre Daten abgreifen. Der Zuschauerschnitt in der Süperlig lag vorige Saison gerade einmal bei 6000 Besuchern. Ein Blick hinter die Fassade lässt in der Süperlig tiefe Abgründe erkennen.

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