Türkei:Daheim gedemütigt

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Das WM-Aus setzt den Niedergang fort. Island vor erstmaliger Qualifikation.

Von Tobias Schächter, München

Das genervte Lächeln von Arda Turan, als er mit Pfiffen vom Platz begleitet wurde, war das Bild eines gedemütigten Topspielers, der sich nach einer Stunde Spielzeit vom Platz schleppt - und dieses Bild stand symbolisch für das Scheitern der türkischen Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation. Der desolate Zustand des türkischen Fußballs spiegelte sich in einer 0:3-Niederlage in Eskisehir - gegen furchtlose Isländer, die nun im Falle eines Heimsiegs gegen Außenseiter Kosovo zum ersten Mal zu einer WM fahren.

Nach Toren von Gudmundsson (32.), Bjarnason (39.) und Arnason (49.) war die Partie früh für die Isländer entschieden, die in dieser schwierigen Gruppe I bewiesen haben, dass ihr starker Auftritt bei der EM 2016 kein Zufall war. Für die Türken, den Tabellenvierten der Gruppe, ist das Turnier in Russland hingegen unerreichbar. Das Aus in der WM-Kampagne war die nahtlose Fortsetzung ihres schwachen, von Streitereien geprägten EM-Auftritts.

Das Scheitern schadet auch der Bewerbung für die EM 2024

Der türkische Fußball macht nichts aus seinen Möglichkeiten. Nach dem dritten Platz bei der WM 2002 wähnte man sich auf Augenhöhe mit den Größen des Weltfußballs. Doch es begann ein langer Niedergang, der durch das Erreichen des EM-Halbfinales 2008 (2:3 gegen Deutschland) kurz kaschiert wurde. Der Fußball in der Türkei erzählt eine Saga von Selbstüberschätzung, falschem Stolz, mangelnder Kritikfähigkeit und einer Mentalität, in der schneller Erfolg alles ist. Der Manipulationsskandal von 2011 und die vermehrte Einmischung der Politik in den Sport vergrößerten die Probleme noch mehr.

Seit 2002 nahm die Türkei an keiner WM mehr teil, nun werden wieder Sündenböcke gesucht. Ob Mircea Lucescu Trainer bleibt, ist fraglich, obwohl der 72 Jahre alte Rumäne erst vor sechs Wochen das Amt übernommen hat. Sein Ansatz, auf Erfahrung statt Jugend zu setzen, war falsch. Lucescu reaktivierte den 37-jährigen Emre Belözoglu und setzte wieder auf Arda Turan, 30. Dabei stand Letzterer in dieser Saison noch keine Sekunde für den FC Barcelona auf dem Platz. Der selbstverliebte Dribbler Arda gewinnt kaum mehr ein Laufduell und war eine Belastung für die türkische Elf. Schon als er vor dem Spiel gegen Island für sein 100. Länderspiel geehrt wurde, hagelte es Pfiffe von den Rängen.

Arda war im Juni nach einem Streit mit dem damaligen Trainer, Fatih Terim, aus der " Milli Takim " zurückgetreten. Die Ereignisse eskalierten, nachdem Arda einen Journalisten, der über einen Prämienstreit während der EM 2016 berichtet hatte, gewürgt hatte. Der Spieler wurde suspendiert und trat beleidigt zurück. Doch auch Terim stolperte kurz darauf über seine Überheblichkeit und seinen Jähzorn. Die 64 Jahre alte Trainer-Ikone war untragbar, nachdem er in einem Nachbarschaftsstreit zweier Kneipiers (einer Terims Schwiegersohn) handgreiflich geworden war.

Nachfolger Lucescu sah das Debakel gegen Island auf der Tribüne, weil er sich zuvor beim 0:2 in der Ukraine über den Schiedsrichter beschwert hatte. Co-Trainer Tayfur Havutcu übernahm das Coaching - ein 47-Jähriger, der im Manipulationsskandal von 2011 zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Als Trainer von Besiktas soll Havutcu einen Pokalfinal-Sieg manipuliert haben.

Das WM-Aus ist nun auch nicht gut für die türkische Bewerbung um die EM 2024. Staatspräsident Erdogan und die regierende AKP-Partei wollen endlich ein großes Turnier ausrichten, überall im Land entstehen neue Stadien. Einziger Mitbewerber ist Deutschland.

© SZ vom 09.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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