Tuchel vs. Watzke beim BVB:Abschiedsrede im großen Ballsaal

  • Der BVB gewinnt in Berlin den DFB-Pokal und trotzdem sieht es so aus, als könnten sich Trainer Tuchel und Vereinschef Watzke nicht mehr vertragen.
  • Tuchel möchte gerne bleiben, doch auch aus der Mannschaft gibt es Kritik.

Von Klaus Hoeltzenbein, Berlin

Seine ganz wilden Jahre hat Marius Müller-Westernhagen längst hinter sich. In den letzten Wochen war er eher in diplomatischer Mission unterwegs bei dem Versuch, ein bisschen dabei mitzuhelfen, etwas zu kitten, was augenscheinlich nicht mehr zu kitten ist. Zu viel Porzellan sei da wohl zerschlagen worden, sagt auch Westernhagen, dessen Karriere als Rockmusiker von einer fast ebenso langen Laufbahn als Fan von Borussia Dortmund begleitet wird.

Einige Interviews hatte der 68-Jährige zuletzt "als Außenstehender" zum innerbetrieblichen Zustand des BVB gegeben, und auch an diesem Feierabend, kurz nach Mitternacht, legt er die Rock-Rhetorik von der Bühne ab und wechselt ins abwägende, analytische Fach: Als "fast infantil" habe er empfunden, was er zuletzt mit seiner zweiten Leidenschaft erleben und erleiden musste, es habe Borussia doch immer ausgezeichnet, dass "alles intern geregelt wurde, dass nichts nach außen drang". Und jetzt: "Diese Sprachlosigkeit war auch nicht gut, je länger ein Konflikt schwelt, desto größer wird er. Das ist auch nicht gut für eine Mannschaft."

Trotzdem hat diese Mannschaft einen Titel holen können. Den ersten nach vier verlorenen Endspielen in Serie, dreien im DFB-Pokal und einem in der Champions League gegen den FC Bayern (2013). Doch trotz dieses 2:1 (1:1) im DFB-Pokal gegen eine erstaunlich widerstandsfähige Frankfurter Eintracht hat auch der Transport einer funkelnden Trophäe aus dem Stadion ins Teamhotel keine neuen Energien mehr entwickeln können, um zu verhindern, dass in den nächsten Stunden vollzogen wird, was offenbar schon längst Beschlusslage ist: die vorzeitige Trennung von Trainer und Verein. Was sich in der Scheidung von Thomas Tuchel, 43, und BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, 57, personifiziert.

Auf dem Rasen hatten all die Adleraugen, die nur nach diesen beiden suchten, noch eine direkte Begegnung registriert, die herzlicher ausgefallen zu sein schien als eine Woche zuvor bei Toresschluss in der Bundesliga.

"Nachdem die letzte Umarmung handgestoppt wurde, haben wir uns Mühe gegeben, es diesmal besser hinzukriegen", sagte Tuchel im Bauch des Olympiastadions auf der Sieger-Pressekonferenz und stellte fest: "Ich habe noch einen Vertrag und möchte den erfüllen. Ich möchte nicht naiv erscheinen, und es geht auch nicht darum, Drucksituationen aufzubauen, aber es scheint, als seien die Gespräche ergebnisoffen." Im Stadion hatten die BVB-Fans, was selten zu hören war in den zwei gemeinsamen Spielzeiten, auf der Ehrenrunde einen kurzen, aber eindeutigen "Thomas-Tuchel"-Chor intoniert.

Wechsel der Berliner Szenerie, rüber zum Marlene-Dietrich-Platz 2. Nächster Akt im Drama einer galoppierenden Entfremdung. Auch Marius Müller-Westernhagen ist eingezogen in den Grand Ballroom B, er wird dort nicht singen, dabei hätten diverse Songs von seinen vielen Alben wie ,Lausige Zeiten' (1986) oder ,Affentheater' (1994) durchaus der jüngsten Tonlage im Klub entsprechen können. Westernhagen bleibt interessierter Beobachter einer Sitzung, über der in den Klubfarben ein schwarz-gelbes Banner prangt: "WIR FOLGEN DIR - EGAL WOHIN ES GEHT". Damit ist natürlich nur der Verein gemeint. Nicht der Trainer.

Der Verein ist größer als der Trainer, das wird wohl am Ende auch das Fazit sein.

Der Trainer hat zum Abschied geliefert, wie es auf Neudeutsch im Fußball heißt - es ist der erste große Titel in Tuchels Laufbahn, mit der A-Jugend von Mainz 05 gewann er vor Jahren eine deutsche Meisterschaft. Es war allerdings alles viel komplizierter als erhofft - gerade weil die Borussia, der große Favorit, nach dem frühen Tor zum 1:0 durch den Franzosen Ousmane Dembélé (8.) "völlig die Kontrolle verlor", wie sogar BVB-Fan Westernhagen beklagte.

Wäre es in Berlin schief gegangen - die Eintracht traf ja nicht nur durch Rebic (29.) zum 1:1, sondern vor der Pause durch Seferovic zudem scharf den Pfosten - wäre im Nachklang eine Personalie noch heftiger diskutiert worden. Denn Tuchel hatte im Mittelfeld massiv umgebaut: Stammkraft Julian Weigl ist verletzt, an seiner Stelle wurde aber nicht etwa der Dortmunder Lokalmatador Nuri Sahin in die Zentrale beordert, sondern Matthias Ginter, zwar Nationalspieler, aber doch eher der Typ Innenverteidiger - Sahin saß nicht nur nicht auf der Bank, er wurde aus dem Kader gestrichen und kauerte auf der Tribüne.

Tuchel begründete seine Aufstellung mit den "langen Bällen" und "der Kopfballstärke" der Eintracht, offensichtlich aber wurde, dass Ginter in der Regiezentrale fremdelte. Tuchel reagierte zur Pause: Gonzalo Castro kam neben Shinji Kagawa in den Maschinenraum. Fortan konnte der BVB die Dramaturgie wesentlich aktiver dem Elfmeter-Siegtor des Pierre-Emerick Aubameyang (67.) entgegen treiben.

Ins Zentrum der betriebsinternen Dortmunder Debatten rückte aber weniger Torjäger Aubameyang, der mit seinem Abschied kokettiert, sondern die Personalie des Nuri Sahin. Stellvertretend für den tief im BVB verwurzelten Kern des Kaders erhob Marcel Schmelzer Klage: "Mich hat es sehr geschockt. Ich verstehe es einfach nicht", sagte der Kapitän schon kurz nach Abpfiff in die Mikrofone: "Wir stehen komplett hinter Nuri. Ein toller Mensch."

Fast wortgleich äußerte sich vor dem Ballroom der wie Schmelzer zur Halbzeit verletzt ausgewechselte Nationalspieler Marco Reus - Tenor: Auf der Bank hätte Tuchel ihn wenigstens lassen können, den Sahin. Der wurde später vom BVB in den ARD-Sportschau-Club delegiert, wo er öffentlich mit seiner Fassung rang: "Ich möchte nicht mehr darüber reden, weil das..., sonst... - ich möchte nicht mehr darüber reden."

Die Parteien sind auseinandergedriftet

In einer eher randständigen Personalie kulminierte am Ende alles, was die Parteien seit Monaten auseinander driften lässt. Im alten Kern des Klubs sagen sie, der Trainer verstehe die Seele des BVB nicht. Der Trainer, ein taktischer Überzeugungstäter, beklagt dagegen populistische Seilschaften und versucht, diese streng im Sinne seiner sportlichen Visionen zu kappen.

Nicht immer, aber doch im Saisonfinale hatte der Tüftler Tuchel das für die Legitimation seiner radikalen Experimentierfreude dringend notwendige Wettkampfglück: Im Pokal-Halbfinale zum Beispiel hatte die Borussia massiv davon profitiert, dass der FC Bayern daheim geradezu ein Fehlschützen-Fest aufführte. Erfolg, führte Tuchel nun an seinem "schönsten Tag im Trainerleben" aus, könne nur im Kollektiv gelingen: "Ich glaube, dass besondere Leistungen erbracht werden, wenn der Trainer eine Verbindung zu seinen Spielern hat, wenn Vertrauen herrscht und umgekehrt. Wenn das nicht ist, dann erreichst du deine Ziele nicht." Nicht in Hörweite, aber doch unweit davon, legte Kapitän Schmelzer gegen diese These gerade sein Veto ein.

Zurück in den Ballroom, zurück in den Kern der Borussia. Dort stand BVB-Boss Watzke am Mikrofon und begrüßte die Gäste: den Fußball-Präsidenten, den Bundesinnenminister, den Dortmunder Oberbürgermeister, die Lokalpolitik, mal mit Gattin und mal ohne, es folgten verdiente Fußballer, der Schmelzer, der Piszczek, der Kagawa, die 2012 schon in Berlin dabei waren, beim jetzt vorletzten Pokaltriumph, diesem noch heute viel diskutierten 5:2-Sieg gegen den FC Bayern.

Es folgten weitere Stammkräfte, Weidenfeller, Bender, Sahin, aber doch dann auch - "Wo sitzen sie? Das Trainerteam ist wo?" - Tuchel und seine Vertrauten. "Lieber Thomas", hob Watzke an, "das ist dein erster Titel für dich und dein Team. Ich sage dir, dass ich mich total darüber freue. Toll gemacht, herzlichen Glückwunsch."

Es wirkte wie die Abschiedsrede an einen geschlossenen Zirkel, an einen Staat im Staate der Schwarz-Gelben.

Nicht unwichtig zu wissen ist noch, dass Müller-Westernhagen, der Schwarz-Gelbe, vom selben Manager wie Thomas Tuchel betreut wird. Erkennbar aber war sein Bemühen, im Abschied neutral zu bleiben. "Thomas wird, egal wo er hingeht, immer Erfolg haben", sagte der Mann, der Millionen Tonträger mit Ohrwürmern wie "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" kehlig besungen hat. "Er arbeitet systematisch, er arbeitet minutiös", führte Westernhagen aus, nur: "Was er vielleicht noch lernen muss, ist, dass man diplomatisch sein kann, ohne sich verbiegen zu müssen."

Mit erfolgreichen Musikern ist es bekanntlich wie mit ambitionierten Trainern: Eine Tournee wird bestens honoriert und kennt unendlich viele Etappen.

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