TSV Vestenbergsgreuth:Seine Freunde nennen ihn "Bayern-Killer"

DFB-Pokal: TSV Vestenbergsgreuth - FC Bayern München: 1:0, 1994

"Die Flanke ist perfekt gekommen, ich komme mit dem Kopf leicht hin. Joa, da war der Oli Kahn geschlagen." - Roland Stein dreht jubelnd ab, der FC-Bayern-Torwart ist fassungslos.

(Foto: Sven Simon)

1994 erlebte Roland Stein seinen größten Moment: Er schoss das Tor zum 1:0 des TSV Vestenbergsgreuth gegen den FC Bayern. Manchmal ist er immer noch ein Held.

Von Christopher Gerards

Den Moment, in dem der FC Bayern sehr klein wurde und der TSV Vestenbergsgreuth sehr groß, trägt Roland Stein immer mit sich. Er hat ihn zum Hintergrundbild seines Smartphones gemacht. Wenn er eine Nachricht bekommt, wenn er die Uhrzeit prüft, wenn er telefonieren will - dann sieht Roland Stein dieses 22 Jahre alte Bild. Er sieht Bayerns Torwart Oliver Kahn vor seinem Tor stehen, die Schultern hängend, der Blick fragend. Und daneben sieht er, mit hochgerissen Armen, den Regionalliga-Spieler, der gerade gegen denselben Kahn das entscheidende 1:0 geköpfelt hat. Er sieht den Mann, der mit seinem Tor den FC Bayern in der ersten Runde aus dem DFB-Pokal schmiss.

Dieser Mann ist er selbst.

Der Name Vestenbergsgreuth ist eine Art Chiffre geworden für fußballerische Sensationen - oder Blamagen, je nachdem, wie man es sieht. Er steht für einen Regionalligisten, der sich gegen den großen FC Bayern auflehnte, gegen eine Mannschaft mit Kahn, Matthäus, Scholl. Doch den Namen des Siegtorschützen haben die meisten Menschen vergessen. Roland Stein, 43, Aufzugsmonteur inzwischen, lebt mit seiner Familie in Strullendorf bei Bamberg, in einem Viertel deutschen Mittelstandes, weiße Einfamilienhäuser, Basketballkörbe in den Einfahrten. Der DFB-Pokal und der FC Bayern liegen weit entfernt von hier, sie rücken nur alle paar Jahre ein Stückchen näher, wenn ihn Reporter anrufen. Sie wollen wissen, wie das damals war und ob so etwas heute noch geht. Dann erzählt Roland Stein seine Geschichte.

Roland Stein

Roland Stein, 43, spielte nach seiner Zeit beim TSV Vestenbergsgreuth noch für die SpVgg Greuther Fürth, Burghausen und Schweinfurt. Heute arbeitet er als Aufzugsmonteur.

(Foto: Gerards/oh)

Sein Gegenspieler damals: Jorginho

Es war der 14. August 1994, er war 21 damals. Er wohnte auf dem ausgebauten Dachboden seiner Eltern und arbeitete als Betriebsschlosser beim Hauptsponsor seines Klubs, einer Teefirma. "Wir waren es gewohnt, vor 4000, 5000 Zuschauern zu spielen", sagt er. Zum Pokalspiel im Nürnberger Frankenstadion kamen 24200 Menschen. Stein kann sich nicht mehr an alle Details dieses Abends erinnern, die Kisten mit den Fotos und Zeitungsartikeln liegen auf dem Dachboden, seit er mit seiner Familie vor zwei Jahren ins neue Haus gezogen ist. Aber er weiß noch, wie aufgeregt er war, als er im Spielertunnel stand.

Er weiß noch, dass sein Team vor allem verteidigen musste, natürlich. Er weiß noch, dass sein Gegenspieler im linken Mittelfeld Bayerns Brasilianer Jorginho war. Und er weiß noch, wie er in der 44. Minute loslief, wie Wolfgang Hüttner den Ball in den Strafraum schlug: "Die Flanke ist perfekt gekommen, ich komme mit dem Kopf leicht hin. Joa, da war der Oli Kahn geschlagen." Und etwas mehr als eine Halbzeit später hatte Vestenbergsgreuth 1:0 gewonnen.

Stein ist danach mit seinen Mitspielern feiern gegangen, das Spiel war an einem Sonntag, sein Chef hatte ihm montags frei gegeben. Aber am nächsten Morgen dauerte es nicht lange, da klingelte Steins Telefon. Er müsse zum Klubgelände gekommen, das Fernsehen wartete auf ihn, die Zeitungen. Sie alle wollten Sätze von Roland Stein, 21, Betriebsschlosser, Amateurfußballer und nun halt auch: Held.

Wenige Monate nach seinem Tor verletzte er sich

Die Frage ist, wie sich so ein Moment, der sich im Grunde nicht mehr steigern lässt, auf die Karriere eines jungen Fußballers auswirkt. Wenn man Roland Stein fragt, muss er kurz überlegen. "Es war weder positiv noch negativ", sagt er in seinem Wohnzimmer in Strullendorf. "Ich denke, dass es schon weiterhelfen kann, wenn man hört: Roland Stein, Tor geschossen gegen den FC Bayern. Aber dann müssen die kleinen Dinge halt passen." Denn so außergewöhnlich Steins Karriere an diesem Abend verlief, so stellvertretend stand sie in den Jahren danach für all jene Fußballkarrieren, die ohne den einen großen Moment auskommen müssen.

Der Glanz von einst

Vergessene Helden, frühere Spitzen-vereine, verschwundene Sportarten und traditionsreiche Standorte: Auf einem Streifzug durch Bayern entdeckt die SZ in einer losen Serie Geschichten, die es wert sind, sich zu erinnern.

Drei, vier Monate nach dem Pokalspiel verletzte Stein sich bei einem Autounfall an den Adduktoren, fiel mehrere Wochen aus. "Und wenn man verletzt ist, ist man schnell wieder vergessen", sagt er. Er kämpfte sich zurück, spielte noch eineinhalb Saisons in Vestenbergsgreuth, wechselte dann zum Nachfolgeklub Greuther Fürth, später zu Burghausen. Doch im Jahr 2000, als sein Team in die zweite Bundesliga aufstieg, starb überraschend Steins Vater. Mit seinem Bruder übernahm er den Aussiedlerhof der Familie, Schweinezucht und Mastbetrieb mit Ackerbau. Ein guter Freund brachte ihn zur gleichen Zeit beim FC Schweinfurt ins Gespräch, der Klub war ebenfalls in die zweite Liga aufgestiegen und für Stein schneller zu erreichen. Er arbeitete in Strullendorf und spielte Profifußball in Schweinfurt. "Aber von der Belastung her war es einfach zu viel", sagt Stein, insgesamt trat er nur sieben Mal in der zweiten Liga an. Als Schweinfurt abstieg, blieb Stein für ein weiteres Jahr, dann ging in die Landesliga, war Spielertrainer in der Bezirksoberliga, später in der Kreisklasse.

Heute baut er Aufzüge

Er gehört nicht zu den Menschen, die laut darüber nachdenken, wie sich seine Karriere mit etwas mehr Glück hätte entwickeln können. Stein sagt: "Im Großen und Ganzen war es eine super Zeit für mich." Er spielt weiterhin Fußball, inzwischen bei den Alten Herren der DJK Mistendorf und bei einer Altherrenauswahl des Kreises Bamberg. Daneben trainiert er seinen Sohn, der in der D-Jugend spielt. Die Arbeit auf dem Hof hat er aufgegeben, die Preise für Fleisch und Getreide waren zu gering, um zwei Familien zu ernähren, sagt er. Jetzt baut Stein Aufzüge ein.

Es ist nicht so, dass ihn die Leute auf der Straße erkennen, auch wenn er fast noch so athletisch aussieht wie vor 22 Jahren. Aber er weiß schon, dass er etwas geschaffen hat, das geblieben ist. Freunde nennen ihn "Bayern-Killer", manchmal sieht er sich selbst im Vorspann vor einem DFB-Pokalspiel im Fernsehen. Und kürzlich fuhr er nach Bamberg, um einen Rucksack für seinen Sohn zu kaufen. Seine Frau zahlte mit Karte, da las der Verkäufer den Namen: Stein. "Das ist doch der Fußballer?", rief er. "Der hat mich über den Namen erkannt", sagt Roland Stein und klingt wie jemand, der es fast nicht glauben kann.

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