TSV 1860 München:Sender und Empfänger

Das 2:2 beim FC St. Pauli zeigt, dass Sechzigs kostspielige Mannschaft aus guten Fußballern auch die Banaltugenden beherrscht.

Von Jörg Marwedel und Markus Schäflein

Eigentlich wäre der Löwen-Präsident Peter Cassalette, wie er gestand, am Donnerstag gern auf der Wiesn gewesen. Stattdessen reiste er mit Investor Hasan Ismaik zum Hamburger Millerntor und berichtete in der Pause, Ismaik sei sehr böse gewesen über den 0:1-Rückstand des TSV 1860 München im Zweitligaspiel beim FC St. Pauli. War ja auch ein dummes Gegentor, weil Verteidiger Maximilian Wittek nicht mitbekommen hatte, dass sein Mitspieler Milos Degenek am Boden lag. Er spielte also in der 16. Minute den Ball nicht ins Aus, sondern verlor ihn gegen St. Paulis Angreifer Kyong-Rok Choi. Löwen-Kapitän Jan Mauersberger war froh, die Kugel noch vor Überschreiten der Torlinie zu erwischen, doch er servierte sie Christopher Buchtmann in den Fuß.

Am Ende des aufregenden Spiels waren die Münchner nicht mehr ganz so böse und Casselette war froh, doch am Millerntor gewesen zu sein. Trainer Kosta Runjaic lobte nach dem 2:2 die "gute Moral" und nahm Wittek in Schutz: "Das passiert. Er ist ein junger Löwe, und er hat dann nach vorne viel Herz gezeigt." Mittelfeldspieler Karim Matmour sah "einen Prozess, in dem wir uns steigern". Und Mauersberger glaubte, dass "wir immer mehr zum Team werden".

2. Bundesliga 16/17 - FC St. Pauli vs. 1860 Muenchen

Ab ins Glück: Der eingewechselte Victor Andrade zieht in der 77. Minute von der Strafraumgrenze ab und sichert den Löwen einen wichtigen Zähler.

(Foto: Fishing4)

Selbst St. Paulis Trainer Ewald Lienen, der bei Sky noch gegen das Finanzmodell des TSV 1860 gewettert hatte ("Schlimmer als in Leipzig. Da hängt man am Tropf des Investors, das hat mit kontinuierlicher Entwicklung nichts zu tun"), lobte den Gegner. Da seien auch "ältere Spieler dabei, die immer noch im Saft stehen". Damit meinte er beispielsweise Ivica Olic, 37, Sascha Mölders, 31, und Michael Liendl, bald 31 - wobei 1860 besonders vom bulligen Stürmer Mölders und vom Techniker Liendl profitierte.

Doch für die größte Aufregung an diesem Abend sorgte Schiedsrichter Robert Kampka. Erst übersah er kurz nach der Pause einen Knietritt des Hamburgers Lasse Sobiech gegen Mauerberger, was eine rote Karte hätte nach sich ziehen müssen. Dann gab er in der 70. Minute einen Elfmeter für die Münchner, als Matmour im Strafraum stürzte, aber wohl nicht, weil ihn der mitlaufende Hamburger Bernd Nehrig zu Fall brachte. Doch Liendl ließ sich auch von einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert nicht beeindrucken und verwandelte cool zum 1:1. Und selbst, als Nehrig sechs Minuten später erneut die Führung für St. Pauli erzielte, konterten die Löwen postwendend. Der eingewechselte Victor Anrade, 20, traf mit einem Schuss von der rechten Strafraumgrenze in den entfernten Winkel - Lienen fand, der Brasilianer sei "ein toller Spieler".

FC St. Pauli v TSV 1860 Muenchen - Second Bundesliga

"Schlimmer als Red Bull": St.-Pauli-Trainer Ewald Lienen sorgte mit Ismaik-Kritik für Aufsehen.

(Foto: Oliver Hardt/Getty Images)

Runjaic stellte mit einigem Recht fest, Andrade habe "einen Riesenbums", leitete dann allerdings vorsichtig zur Frage über, ob Andrade zusätzlich nicht auch einen Riesenknall hat. Gelb wegen Trikotausziehens, danach ein ungeahndeter kleiner Schlag gegen seinen Gegenspieler, verbesserungsfähiges Defensivverhalten - "Unruhe stiften kann er auf jeden Fall", stellte Runjaic fest und sorgte mit der Doppeldeutigkeit für Lacher. "Er hat ein für uns alle unheimlich wichtiges Tor erzielt, aber der Schuss hat ja nichts mit seinem taktischen Verhalten zu tun." Wie wertvoll er sein kann, hatte Andrade trotz allen Kritikpunkten bewiesen. "Wir sind gefordert, sein Talent in die richtigen Bahnen zu lenken", meinte Runjaic mal wieder - das scheint eine Weile zu dauern: "Das ist ein Prozess für ihn, und wir werden dazu tun, was wir tun können. Kommunizieren ist da ein wichtiger Faktor. Da gehören Sender und Empfänger dazu."

Andrade sei "irgendwann" schon ein Kandidat für die Startelf, sagte Runjaic. Am Sonntag (13.30 Uhr, Arena Fröttmaning) allerdings eher noch nicht. Dann kommt in Hannover 96 wieder eine "Erstliga-Mannschaft" auf den TSV 1860 zu, wie Mauersberger meinte, und Runjaic sah es genauso: "Hannover hat einen erstklassigen Kader, feine Fußballer, und ist sehr ambitioniert." Der Trainer folgerte: "Eine solide Leistung wird nicht reichen, wir müssen wieder alles geben und ähnlich leidenschaftlich, mutig und entschlossen sein." Dass Runjaics kostspielig zusammengestellte Mannschaft aus guten Fußballern auch die Banaltugenden zeigen kann, ist keine Selbstverständlichkeit, aber am Millerntor hat sie es schon einmal bewiesen.

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