TSV 1860 München:Im Gebirge der Wahrheit

Die Geschäftsführer Rejek und Basha erläutern in Estepona zunächst ihre unsichere Situation. Kurz darauf lässt Investor Hasan Ismaik plötzlich mitteilen, dass er Darlehen gewähren möchte.

Von Markus Schäflein

Am Freitag stellte sich Zugang Levent Aycicek im Trainingslager des TSV 1860 vor, der 21-Jährige schrieb ein paar Autogramme für die Fans und berichtete in der Hotellobby der Presse, dass er sich vom SV Werder Bremen für ein halbes Jahr ausleihen lässt, weil er dort zuletzt nicht wie gewünscht zum Zuge kam. Er habe "andere Anfragen" gehabt, die ihn aber "nicht überzeugt" hätten. An Sechzig überzeuge ihn, dass "der Verein cool" sei. An diesem Samstag findet ein Testspiel gegen einen rumänischen Erstligisten statt, da wird Aycicek erstmals mitwirken. Es läuft äußerlich in Estepona an der Costa del Sol beim Münchner Zweitligisten tatsächlich alles ab wie bei einem normalen Fußballverein.

Aycicek soll auch nicht der letzte Neue bleiben. "Wir haben die Möglichkeit, die Maßnahmen, die wir uns vorgenommen haben, durchzuführen", sagte Geschäftsführer Markus Rejek am Morgen in der Lobby. Dass die Deutsche Fußball-Liga (DFL) die Strafe für die Verschlechterung der Eigenkapitalquote von den Fernsehgeldern direkt einbehalten wird, sei "schon einkalkuliert". Ein Teil der Transfereinnahmen für Marius Wolf dürfe reinvestiert werden, erklärte Rejek: "Wir brauchen momentan kein zusätzliches Geld." Momentan. Demnächst hingegen schon, denn für die Lizenzierung durch die DFL, die bis 15. März beantragt werden muss, ist ein Darlehen in Höhe von rund fünf Millionen Euro erforderlich. "Wir brauchen finanzielle Unterstützung, sonst können wir es nicht schaffen", sagte Rejek. Und wenngleich er kein Facebook-Freund von Hasan Ismaik ist, konnte er es nicht vermeiden zu erfahren, was sein Gesellschafter zuletzt dort Beunruhigendes verkündete. Die mitgereisten Fans und Journalisten haben schließlich alle ihre Smartphones dabei. "Im Gebirge der Wahrheit kletterst du nie umsonst: Entweder du kommst schon heute weiter hinauf, oder du übst deine Kräfte, um morgen höher steigen zu können", schrieb Ismaik unlängst, nebst weiteren Zitaten seines Lieblingsphilosophen Friedrich Nietzsche.

2. Fussball Bundesliga TSV 1860 München Trainingslager in Estepona

Gemischte Gefühle im Trainingslager: Sportdirektor Oliver Kreuzer und Geschäftsführer Markus Rejek und Noor Basha (v. l.) beobachten die Mannschaft.

(Foto: Stefan Matzke/sampics)

Auf dem Gipfel des Wahrheitsgebirges warten dann die Erkenntnisse, die Ismaik schon zuvor verbreitet hatte: Etwa, dass die 50+1-Regel der Deutschen Fußball-Liga abgeschafft werden sollte. Dass er nicht wisse, was bei Sechzig mit seinem Geld passiere. Und dass der TSV 1860 aufhören solle, in der teuren Arena zu spielen und Miete an den FC Bayern zu überweisen. Zudem hatte sich Präsident Peter Cassalette bei seiner Ankunft dazu hinreißen lassen, davon zu sprechen, dass "die Insolvenz noch nicht vorbereitet" werde. Noch nicht. Nun sollte Rejek also zu alldem Stellung beziehen. Das war eine schwere Aufgabe, schließlich schwebt über sämtlichen Sprachregelungen bei Sechzig der Versuch, Ismaik keinesfalls zu verärgern. Die zahlreichen Facebook-Aussagen hätten "uns alle überrascht, auch in der Art und Weise", sagte Rejek. "Aber wir müssen das einfach hinnehmen." Selbst konkrete Vorwürfe an die Geschäftsführung, etwa die vermeintliche Verschwendung von 50 000 Euro für eine angeblich unnötige Marketingstudie, verleiteten ihn nicht zu unbedachten Aussagen: "Ich habe das nicht kommentiert, denn wir tun gut daran, nicht an einem Ping-Pong-Spiel teilzunehmen." Ismaiks Vorwurf, er wisse nicht, was mit seinem Geld passiere, widersprach Rejek aber: "Wo die Gelder hingehen, weiß jeder, der als Gesellschafter bei uns verbunden ist."

Über allen Sprachregelungen schwebt bei Sechzig der Versuch, Ismaik keinesfalls zu verärgern

Auch die Kritik Ismaiks am Arena- Vermieter machte ihm zu schaffen: "Ich klatsche nicht in die Hände, wenn ich so etwas lese. Ich kann als Geschäftsführer keinen Vertrag brechen." Rejeks Geschäftsführer-Kollege Noor Basha sagte zu Cousin Ismaik: "Teilweise kann ich ihn verstehen, er hat seine Meinung zu 50+1 dargelegt. Aber ich bin nicht mehr sein Vertreter und auch nicht sein PR-Manager. Es ist schwer, Charaktere wie Hasan zu beeinflussen."

TSV 1860 München: Neu bei 1860: Levent Aycicek wechselt aus Bremen.

Neu bei 1860: Levent Aycicek wechselt aus Bremen.

(Foto: Getty Images)

Das klang alles wenig verheißungsvoll, aber Sechzig ist halt immer für eine Überraschung gut. Am Freitagmittag verkündete der Klub, nachdem die Geschäftsführer zuvor noch sehr verhalten geklungen hatten, den Medienvertretern im Hotel sowie schriftlich, plötzlich und unverhofft den "Durchbruch", wie die Überschrift einer Mitteilung lautete. Unter dem Motto "Planungssicherheit - Klarheit - Fakten" erklärte die Presseabteilung zwei Stunden nach dem Treffen: "Ergänzend zum heutigen Gespräch dürfen wir mitteilen, dass Hasan Ismaik zu seinem Wort steht, die Löwen auch künftig zu unterstützen. Das betrifft die Verlängerung der fälligen Darlehen sowie die Bereitstellung weiterer notwendiger Mittel für die Saison 2016/17."

Rejek berichtete, was in der Zwischenzeit passiert sei: "Noor hat Hasan angerufen und ihm von dem Pressegespräch berichtet. Dann hat er gesagt: Teilt das jetzt der Öffentlichkeit mit." Er habe ja, abseits von Facebook und Twitter, im realen Leben schon seit Wochen sinnvollere Kommunikation mit Ismaik betrieben; es habe sich nun ausgezahlt, ruhig geblieben zu sein. Allerdings habe Ismaik vor der Pressekonferenz gebeten, "noch nichts zu verkünden". Um es kurz darauf zu tun. Es wirkte geradezu, als habe der Investor eine Erlösungsgeschichte inszeniert. Die erhoffte Erlösung ist allerdings mit Auflagen verbunden: "Er hat uns aufgerufen, hoch gesteckte und ambitionierte Ziele zu erreichen", berichtete Rejek - eine Kürzung des Etats für die Profimannschaft gehört sicherlich dazu.

Streit auf dem Platz

Seit Tagen trainiert Stürmer Rubin Okotie beim TSV 1860 kaum mit. Er klagt über Bauchmuskelschmerzen, bei Untersuchungen konnte aber keine Ursache gefunden werden. "Ich kann niemanden zwingen, mit Schmerzen zu trainieren", sagte Trainer Benno Möhlmann. Bei der Übungseinheit am Freitagnachmittag gerieten Okotie und der Übungsleiter nun aneinander. "Entweder Sie spielen mit oder Sie gehen vom Platz", schimpfte Möhlmann - und Okotie ging vom Platz und trabte gemächlich seine Runden. Nach der Einheit und einem langen Vier-Augen-Gespräch sprach Möhlmann von "unterschiedlichen Anschauungen" und ergänzte im Weglaufen: "Da können wir vielleicht morgen drüber reden, heute aber nicht." Markus Schäflein

Ismaiks bloße Zusage dürfte vorerst ausreichen für die Lizenzierung; Erleichterung bei Rejek wird sich allerdings erst einstellen, wenn das Geld wirklich eintrifft. Das Gebirge der Wahrheit, es ist in der Tat schwer zu erklimmen bei 1860 München.

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