TSV 1860 München:"Ich sehe mich absolut als Cheftrainer"

Eintracht Braunschweig - TSV 1860 München

Daniel Bierofka: "Ich denke, dass ich mich in den letzten Jahren entsprechend entwickelt habe."

(Foto: Alexander Ködpa)

1860-Übergangstrainer Daniel Bierofka verkündet, dass er zum letzten Mal eingesprungen ist. Auf der Tribüne sitzt ihm schon Vitor Pereira im Nacken.

Von Ulrich Hartmann und Philipp Schneider

Der Mann, von dessen Entscheidungen einiges abhängen wird beim führungslos taumelnden TSV 1860 München, erscheint pünktlich wie bestellt im Löwenstüberl. Dann setzt sich der Mann, der den Klub schon einmal gerettet hat, an einen der schöneren Tische gleich am Fenster, schaut aus großen blauen Augen in die Runde und kommt ohne viel Anlauf gleich zum Kern der Debatte. Daniel Bierofka sagt: "Es war das letzte Mal, dass ich hier als Interimstrainer und Feuerwehrmann eingesprungen bin. Ich habe das jetzt zweimal gemacht, weil mein Verein in einer schwierigen Situation war."

Nun befand sich Bierofkas Verein am Sonntag noch immer in einer schwierigen Situation. Vielleicht befand er sich gar in der kritischsten Situation überhaupt (wobei man mit derlei Superlativen an der Grünwalder Straße sparsam umgehen sollte), aber niemand konnte diesem repräsentativsten aller Vorzeigelöwen nun vorwerfen, dass er das Vorhaben gefasst hatte, in Leben und Karriere etwas voranzukommen, was ja in den vergangenen elf Jahren keinem einzigen Übungsleiter bei 1860 beschieden war.

Investor Ismaik wünscht sich Vitor Pereira als 13. Trainer seit seinem Einstieg vor fünf Jahren

Er habe "einen ganz klaren Plan", sagt also Bierofka, dessen Sondergenehmigung zum Coachen eines Zweitligisten schon zum zweiten Mal abgelaufen war. Einen Plan, in dem er weder als Last-Minute-Held in Erscheinung tritt, noch dauerhaft als Assistent eines Cheftrainers, dem er die Hütchen auf den Rasen schleppen darf. "Ich mache jetzt nicht bis Juni Co-Trainer und dann erst den Fußball-Lehrer, da gibt es schon vorher Aufnahmeprüfungen. Wenn, dann muss man sich das gut überlegen", sagt Bierofka. Er müsse zunächst mit dem neuen Chef-Trainer besprechen, "wie das überhaupt funktionieren soll". Wenn der sich irgendwann mal entscheiden sollte zu unterschreiben.

Am Samstag, beim 0:1 in Bochum, hatte Bierofka ziemlich energisch auf einem Kaugummi herumgekaut, fast aggressiv, als probierte er es ganz klein zu beißen. Mit verschränkten Armen und fast trotzigem Blick stand er am Spielfeldrand im Bochumer Stadion, und möglicherweise war er aus gleich zwei Gründen allenfalls mittelprächtig gelaunt. Erstens beobachtete er seine Fußballer dabei, wie sie nur wenige Torchancen herausspielten und diese auch noch kläglich vergaben, und zweitens saß ihm auf der Haupttribüne Vitor Pereira im Nacken. Den Portugiesen wünscht sich Investor Hasan Ismaik als bereits 13. Trainer seit dem Einstieg in sein absurd defizitäres Investment vor fünf Jahren.

Die pure Begeisterung sprang Pereira an der Castroper Straße allerdings nicht aus den Augen, was weniger an der sicher unterhaltsamen Gesellschaft des neuen 1860-Geschäftsführers und gelernten Maschinenbauingenieurs Anthony Power gelegen haben dürfte, der neben ihm mit Fanschal auf der Tribüne saß.

"Das geht alles nicht spurlos an uns vorbei"

Nach einem nur halbwegs soliden Spiel und allerhand vergebenen Chancen kassierten die Münchner in der 77. Minute den spielentscheidenden Gegentreffer. Als der Bochumer Russell Canouse einen hüpfenden Ball mit einem eher unkontrollierten Lupfer an den Innenpfosten des Tores und von dort ins Netz spitzelte. Dass Canouse den hereingeflogenen Eckball mit dem Ellbogen gestoppt hatte, passte ins unglückliche Bild, das 1860 seit Wochen abgibt.

Kapitän Stefan Aigner gab sich nach dem Spiel im Kabinengang gerade deshalb betont ruhig, so als wolle er die "extreme Unruhe im Verein" demonstrativ konterkarieren. "Das geht alles nicht spurlos an uns vorbei", sagte er, "wir würden uns natürlich mehr Ruhe im Verein wünschen." Für ein bisschen sportliche Beruhigung hätte Aigner selbst sorgen können, wenn er nämlich in der 64. Minute Münchens beste Chance zum Treffer genutzt hätte.

Er wartete auf Höhe des zweiten Pfostens auf jenen Ball, den Ivica Olic von der linken Strafraumgrenze quer bis zu ihm hinüberspielte, doch dann schoss Aigner nur Bochums Abwehrmann Timo Perthel an und wurde fünf Minuten später durch Daylon Claasen ersetzt. "Insgesamt war das heute spielerisch zu wenig", gestand Aigner ungeachtet der unruhigen Zeiten im Klub, "wir müssen es einfach schaffen, uns auf den Fußball und die Verbesserung unserer Schwächen zu konzentrieren - aber das ist uns diesmal leider nicht gelungen."

Bierofka, der mangels Lizenz nach drei Spielen und einem Sieg unter seiner interimistischen Anleitung im letzten Spiel des Jahres am Freitag gegen Heidenheim Denis Buschujew weichen muss, wirkte nach der Partie in Bochum enttäuscht, weil die Mannschaft "zu fahrig und zu hektisch" agiert habe. Mit zu vielen hohen Bällen statt knackigem Kurzpassspiel gelang ihr zu wenig Konstruktives, nur 55 Prozent der Pässe kamen an. Ärgerlich fand er zudem, dass das Spiel trotz etlicher Defizite sogar hätte gewonnen werden können.

Ob er Lust habe, den Dolmetscher für Pereira zu geben, wurde Bierofka pointiert gefragt. "Sicher nicht", antwortete er. Er sehe sich "absolut als Cheftrainer. Ich denke, dass ich mich in den letzten Jahren entsprechend entwickelt habe." Schade, dass er mit diesem Trend fast alleine ist bei 1860.

10 12 2016 Fussball 2 Bundesliga 2016 2017 16 Spieltag VfL Bochum TSV 1860 München im Vonovia; Vitor Pereira

Zum Fan gereift in Windeseile: 1860-Geschäftsführer Anthony Power (rechts, vordere Reihe, natürlich mit Fanschal) und Wunschtrainer Vitor Pereira (mit Sonnenbrille).

(Foto: imago/MIS)
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