TSV 1860 München:"Es hieß: Geh nach China"

19 01 2017 Fussball 2 Bundesliga 2016 2017 Testspiel im Trainingslager Troia Portugal TSV 1860; Karim Matmour TSV 1860 München

"Seine einzige Aufgabe bestand darin, einen zugespielten Ball abklatschen zu lassen" - die Zeiten, in denen Karim Matmour an den Spielen der Profis teilnahm (hier im Trainingslager gegen CD Cova da Piedade), sind vorbei.

(Foto: MIS/Imago)
  • 1860-Offensivspieler Karim Matmour ist mittlerweile zur zweiten Mannschaft versetzt worden, die in der viertklassigen Regionalliga spielt.
  • Vor Gericht klagt er, um wieder mit der Zweitliga-Mannschaft trainieren zu können.
  • Seine Erfolgsaussichten stuft der Richter zum Auftakt als sehr groß ein.

Von Markus Schäflein

Der Prozess begann kurios. Anthony Power, der Geschäftsführer des Fußball-Zweitligisten 1860 München, war nicht im Arbeitsgericht in der Winzererstraße erschienen, stattdessen Hausjustiziar Patrick Schwarz. "Haben Sie eine Vollmacht?", fragte Richter Werner Bader. Schwartz antwortete: "Keine schriftliche." Der Richter blickte irritiert: "Aber Sie wissen alles und dürfen alles?" - "Ja." - "Bitte ins Protokoll aufnehmen, dass die behauptete Vollmacht nachgereicht wird."

Auf der Gegenseite war Karim Matmour selbst erschienen. Das Potpourri aus Prozessen, das der TSV 1860 dem Arbeitsgericht beschert, begann am Montag mit der Klage des Offensivspielers. Der 31-Jährige, der im Sommer als Wunschspieler des ehemaligen Trainers Kosta Runjaic nach Giesing gekommen war, ist mittlerweile zur zweiten Mannschaft versetzt worden, die in der viertklassigen Regionalliga spielt.

Matmours Anwalt Stefan Hagen beklagte, es werde dort viel seltener trainiert als bei den Profis, es stünden seltener Ärzte und Physiotherapeuten zur Verfügung, die Bälle seien anders - "Derbystar" statt "Adidas Torfabrik" -, und zudem hätten die Übungseinheiten in den vergangenen Tagen auf Kunstrasen stattgefunden. Matmour werde dort auf einer Position in der Abwehr eingesetzt statt als offensiver Mittelfeldspieler und als Sparringspartner benutzt: "Seine einzige Aufgabe bestand darin, einen zugespielten Ball abklatschen zu lassen."

Eine einstweilige Verfügung lehnt das Gericht ab

All dies führe zu einer Verschlechterung des Leistungsvermögens Matmours: "Sein Körper ist seine Firma, sein Kapital." Eine einstweilige Verfügung, dass Matmour sofort wieder bei den Profis mittrainieren kann, lehnte das Gericht allerdings ab - eine solche Dringlichkeit, wie sie der Anwalt darstellte, sei nicht gegeben. Für das anstehende Verfahren prognostizierte Richter Bader Matmour hingegen sehr große Aussichten auf Erfolg.

Im Standardvertrag der Deutschen Fußball Liga ist die Möglichkeit, einen Spieler zur zweiten Mannschaft zu versetzen, zwar ausdrücklich festgehalten: "Der Spieler ist auf Anweisung verpflichtet, am Training anderer Mannschaften teilzunehmen, sofern sie mindestens in der fünften Liga spielen, ein Trainer eine A-Lizenz besitzt und das Training in Mannschaftsstärke stattfindet", trug der Richter vor.

Damit hätte das Gericht nur noch zu klären, ob es sich bei dieser Klausel um eine "unangemessene Benachteiligung" des Arbeitnehmers handelt. Bei Sechzig tragen allerdings die Umstände dazu bei, dass der Fall nicht so einfach abzuhandeln ist. Denn der Klub wollte den Vertrag mit dem Spieler, für den der im Winter neu gekommene Trainer Vitor Pereira keine Position in der Mannschaft sah, unbedingt auflösen.

Matmour verlängert per Klausel den Vertrag bis 2019

"Im Paket aus Vorwürfen steht drin, dass der Spieler gezielt aufs Abstellgleis geschoben wird", erklärte Bader. Der Richter berichtete selbst von einer Whats-App-Nachricht, die 1860-Geschäftsführer Anthony Power an Matmour schickte, und deren Existenz von den 1860-Vertretern, Schwarz und dem Stuttgarter Anwalt Tassilo König nicht bestritten wurde.

Demnach wollte Power Matmour an einen chinesischen Verein abgeben. "Es hieß: Geh' nach China. Das hat er abgelehnt, dann hieß es: Dann gehst du zur zweiten Mannschaft", erklärte Richter Bader. Der zeitliche Zusammenhang könne "kein Zufall" sein: "Das ist aus unserer Sicht ein klarer Verstoß gegen das Maßregelungsverbot. Herr Matmour wird vermutlich das Hauptsacheverfahren gewinnen." Vier bis fünf Monate dürfte sich dieses allerdings hinziehen.

Vier weitere Prozesse stehen an

Dass Matmour eine Klausel in seinem Vertrag zog, die jenen um ein Jahr bis zum 30. Juni 2019 verlängert, sieht Anwalt Hagen angesichts des derzeitigen Streits nicht als widersprüchlich an, sondern als logische Folge. "Der Spieler wurde vom Trainer öffentlich für unbrauchbar erklärt, und der Verein hat alle Kanäle genutzt, um seinen Ruf zu schädigen." In einer Pressemitteilung hatte 1860 gemutmaßt, dass Matmour "lediglich das Ziel verfolgt, finanziellen Nutzen aus dieser Situation zu ziehen". Die Vorwürfe würden sich auch bei anderen Klubs, die eine Verpflichtung Matmours in Erwägung ziehen könnte, herumsprechen: "Deshalb hat er die Option gezogen."

Am Donnerstag stehen weitere Prozesse mit Beteiligung des TSV 1860 an. Nach einer vorzeitigen Trennung ist es üblich, sich zusammenzusetzen und eine Abfindung auszuhandeln - sofern diese nicht bereits im Vertragswerk fixiert ist. Bei Trainer Kosta Runjaic, Co-Trainer Tuncay Nadaroglu, Geschäftsführer Eichin und dessen Assistenten Peer Jaekel handhabte der Klub dies anders: Er reduzierte die Gehaltsfortzahlungen nach SZ-Informationen kurzerhand auf ein Minimum. Offenbar ist der jordanische Investor Hasan Ismaik, der die 1860-Geschicke bestimmt, der Meinung, dem Trainer und dem Geschäftsführer sei vereinsschädigendes Verhalten nachzuweisen. Das Argument, Eichin habe überteuert den verletzten Sebastian Boenisch verpflichtet, ist allerdings schon mal hinfällig: Boenisch ist mittlerweile Stammspieler. In der Profimannschaft, wohlgemerkt.

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