TSV 1860 in der Relegation:Direkt am Rand des Abgrunds

Karlsruher SC v 1860 Muenchen  - 2. Bundesliga

Die Löwen kamen oft zu spät - beim KSC unterlagen sie 0:2.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Ein Debütant in der Startelf, ein Eigentor, kein Schuss aufs gegnerische Tor: Der TSV 1860 München muss nach dem 0:2 in Karlsruhe in die Relegation.
  • Gegen Holstein Kiel droht der totale Absturz.

Von Philipp Schneider, Karlsruhe

Wenn fast alles zusammenbricht bei einem Fußballklub, dann gibt es meist die hässlichsten Szenen zu sehen. Im Wildparkstadion lief die 75. Minute als die Karlsruher Fans mit den kalten Herzen ein hämisches Lied anstimmten, sie hüpften und schunkelten und sangen: "Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!". Und nebenan im Block, wo die Gäste aus München Platz genommen hatten, da begannen die wenigen Mitgereisten mit außergewöhnlich kleinem Geiste Feuerwerkskörper zu zündeln.

Der Schiedsrichter unterbrach die Partie für kurze Zeit, weil ja nun Gefahr für Leib und Leben herrschte, auf dem Platz und den Tribünen. Und für den Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München war es das unwürdige vorläufige Ende einer unwürdigen Saison. Mit 0:2 (0:1) verlor er gegen den Tabellendritten KSC, beide Klubs müssen nun in die Relegation. Sechzig nur, weil Aue nach großer Aufholjagd am Ende doch nur 2:2 in Heidenheim spielte. "Heute haben wir Hilfe bekommen. Das nächste Mal müssen wir es selbst richten", sagte 1860-Trainer Fröhling.

Sechzig spielt an diesem Freitag und am 2. Juni (jeweils um 20.30 Uhr) gegen den Drittligisten Holstein Kiel, der zunächst Heimrecht hat, um den Abstieg doch noch zu verhindern. Sie balancieren nun direkt am Rand des Abgrunds entlang. Der KSC trifft am Donnerstag und am 1. Juni (auch jeweils 20.30 Uhr) auf den Hamburger SV, um möglicherweise erstmals seit 2009 wieder in der Bundesliga zu spielen.

Es sei alles drin, hatte Karlsruhes Trainer Markus Kauczinski vor der Partie angekündigt: "Wir sehen das als Chance, was richtig Geiles zu machen." In der Tat, die Gelegenheit bot sich sogar beiden Mannschaften. Der KSC musste gewinnen, um die Chance zu wahren, als Tabellenzweiter den direkten Aufstieg in die Bundesliga zu schaffen. 1860 musste gewinnen, um den direkten Abstieg in die dritte Liga zu verhindern. Ohne Umweg in der Relegation. Dieses Ziel verfehlten die Münchner allerdings krachend, nach der gewiss traurigsten sportlichen Vorstellung der Saison.

"Wer so auftritt, der dürfte sich auch nicht beschweren, wenn er gar keine weitere Chance mehr erhalten würde", sagte Kapitän Christopher Schindler, womit er auf die Relegation anspielte. "Wenn wir gegen Kiel so auftreten, dann werden wir auch in der Relegation riesengroße Probleme bekommen." Es "kotze ihn an", dass nach dem 2:1 gegen Nürnberg die so lustlos auftretende Mannschaft daran erinnert werden musste, "dass wir hier in Karlsruhe auch direkt hätten absteigen können."

Fröhling bringt sogar einen Debütanten

Etwas ungünstig war zweifelsfrei, dass Münchens Trainer Torsten Fröhling ausgerechnet im letzten Spiel der Saison nur einer Rumpfmannschaft, sozusagen seinem letzten Aufgebot, vertrauen konnte. Sonderlich viele Spieler hatte er nicht mehr zur Verfügung, vor allem in der Abwehr. Gelbgesperrt fehlten Stürmer Valdet Rama und Verteidiger Gary Kagelmacher, verletzt war Innenverteidiger Gui Vallori. Die vor der Saison als Heilsbringer gefeierten Spanier Ilie Sanchez und Edu Bedia hatte Fröhling diesmal nicht einmal mehr für den Kader vorgesehen. In der Nacht vor dem Spiel war dann auch noch Martin Angha eine Erkältung zugeflogen, der als Notlösung eingeplant war für Kagelmacher auf der rechten Abwehrseite.

Und weil in dem von Sportchef Gerhard Poschner so kurios zusammengestellten Kader keine weitere Alternative für die Abwehr mehr zu finden war (obwohl Poschner ja insgesamt 13 neue Spieler erstehen durfte seit dem vergangenen Sommer), musste nun eben eine Notnotlösung aushelfen: Vladimir Kovac, ein 24-jähriger, robuster Slowake, den Trainer Fröhling kurzfristig aus der U21 hochzog, um ihm im wichtigsten Spiel seit 2004 zu seinem Debüt in der Profimannschaft zu verhelfen. "Er hat Kämpferherz und ist lernbereit", sagte Fröhling. Nun denn, immerhin.

Fast hätte Aue noch gewonnen

Zunächst probierte es Kauczinskis Team zunächst mal mit langen Bällen. Fröhlings Truppe versammelte sich dagegen fast geschlossen im eigenen Strafraum. Manuel Torres schickte einen weiten Pass in die Spitze auf Rouwen Hennings, mit 17 Treffern Rekordschütze der Liga, Hennings dribbelte sich durch den Sechzehner, setzte aber den Ball neben den Pfosten (2.). Der KSC wollte hier offenbar schnell für eine Vorentscheidung sorgen, er setzte sich jedenfalls gleich fest im Strafraum der Münchner.

Und Gaetan Krebs und Hiroki Yamada zelebrierten kurz darauf eine feine Folge von Kurzpässen, verrannten sich erst spät in den Beinen von Christopher Schindler. 1860 geriet immer stärker unter Druck: Der lernbereite Debütant Kovac warf sich gerade noch so in einen Schuss von Hennings (7.). Und dann brach für Sechzig schon eine kleine Fußballwelt zusammen.

Erinnerungen an Kioyo

Nach einem schlimmen Fehlpass von Bandowski flankte Torres von der rechten Seite, Kai Bülow wollte klären vor Hennings, der den Ball nur noch über die Linie hätte schieben müssen. Bülow aber klärte nicht. Er schob den Ball mit der Fußsohle ins eigene Netz - das frühe 1:0 für Karlsruhe (9.).

Erinnerungen an Kioyo

Erinnerungen wurden wach an Francis Kioyo, den traurigsten aller traurigen Löwen, der am vorletzten Spieltag von Sechzigs Abstiegssaison 2004 einen Elfmeter verschoss. Würde die Münchner elf Jahre später wegen eines Eigentors von Bülow noch eine Liga tiefer rauschen? Bülow wirkte, als könne er recht lässig mit der Szene umgehen. Er rappelte sich auf, meckerte kurz, wohl mehr über sich selbst als über jemand anders, dann erhielt er von den Kollegen ein paar Klapse auf den Hinterkopf und spielte weiter.

Sechzig erhielt jetzt deutlich mehr Raum vom KSC, konnte ihn allerdings nicht sinnvoll ausgestalten. Einzig Bandowski, der das frühe Gegentor ebenso verschuldet hatte wie Bülow, probierte es mal mit einem Distanzschuss (25.). Mehr war nicht. Der KSC dagegen gab sich dem selbst erarbeiteten Luxus hin, dieses Spiel aus der eigenen Hälfte locker verwalten zu dürfen. Er setzte allenfalls ein paar Stiche, startete Konter. Interessanterweise nicht über die Seite von Debütant Kovac, sondern immer wieder über rechts.

Der schnelle Torres spielte den an sich ebenso rasanten Bandowski immer häufiger schwindelig. "Wir haben Riesenprobleme gehabt mit ihren Laufwegen, sie haben immer wieder die Bälle hinter unsere Abwehr gespielt", war auch Schindler aufgefallen, der ja als Innenverteidiger Teil der Abwehr ist. Und kurz vor der Pause brach Torres auf der rechten Seite durch, flankte auf den diesmal völlig unbewachten Hennings - der seinen Kopfball kurios über die Latte setzte. Ein Raunen ging durch das ausverkaufte Wildparkstadion.

Sechzig genügte das 0:1 vorerst nur zur Qualifikation für die Abstiegs-Relegation. Weil es im Spiel zwischen Abstiegs-Mitkonkurrent FSV Frankfurt und Fortuna Düsseldorf zur Pause 2:2 stand. Wie würde Fröhling reagieren? Er wechselte nicht, er brachte keinen zweiten Stürmer, offenbar vertraute er auf die Fortuna, die an diesem Tag nur Andreas "Lumpi" Lambertz letzte Partie zu feiern hatte.

Erst als er sah, dass weiter nur Karlsruhe spielte, brachte Fröhling Stephan Hain für Mittelfeld Julian Weigl (53.), und kurz darauf den Spanier Rodri für den mal wieder vollkommen unsichtbaren Okotie (68.). Zu Chancen kam weiter nur der KSC: Yamada verpasste knapp (58.), dann verhinderte Eicher mit einem prächtigen Reflex einen Freistoßtreffer von Hennings. Ehe wieder Yamada einen feinen Querpass auf Enrico Valentini schickte, der klug durchsteckte auf Torres - das 2:0, die Entscheidung (69.).

"Kein Kontakt" zum Investor

Zwei Spiele bleiben Sechzig, um diese schlimmste aller schlimmen Spielzeiten noch zu einem halbwegs versöhnlichen Ende zu bringen. Doch auch in der Relegation gegen Drittligist Holstein Kiel muss eine Mannschaft irgendwann mal auf Tor schießen, um zu bestehen. Zwei Spiele noch, dann weiß auch das selbsternannte "Glückskind" Poschner, ob er wirklich das unglückliche Kunststück fertig gebracht hat, nach 2004 zum zweiten Mal abzusteigen mit den Löwen. Erst als Spieler, nun als Sportchef.

Präsident Gerhard Mayrhofer stellte nach dem Spiel in Aussicht, es werde "über vieles" gesprochen werden, " was in dieser Saison nicht so gut gelaufen ist". Das wären so ziemlich alle Themenbereiche. Ob er die Probleme gemeinsam mit Investor Hasan Ismaik besprechen wird, ist unklarer denn je. Es gebe "keinen Kontakt" zum Mehrheitsgesellschafter aus Jordanien, sagte Mayrhofer im Bayerischen Fernsehen. Dem Vernehmen nach reagierte Ismaik zuletzt nicht einmal mehr auf Mails des Präsidenten.

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