TSG Hoffenheim:Wie Mathe mit einem Mathelehrer

Hamburger SV - 1899 Hoffenheim

Erster Auswärtssieg mit der TSG Hoffenheim: Julian Nagelsmann.

(Foto: Dominik Flügel/dpa)

Auch in Hamburg spürt Hoffenheim den "Nagelsmann-Effekt".

Von JÖRG MARWEDEL, Hamburg

Wer Erfolg hat, kann großzügig sein: Alexander Rosen, Direktor Profifußball bei der TSG Hoffenheim, hat aus seiner Sympathie für Knut Kircher kein Geheimnis gemacht. Er hat dem Schiedsrichter sogar einen falschen Elfmeterpfiff gegen die eigene Mannschaft verziehen - Ivo Ilicevic bugsierte den Ball nicht an die Hand, sondern an die Brust von Pavel Kaderabek, Aaron Hunt verwandelte cool in seinem 250. Bundesligaspiel zum 1:2-Anschlusstor für den HSV. Ebenso verzieh Rosen die vorenthaltene rote Karte gegen René Adler. Der HSV-Torwart hatte den aufs Tor zulaufenden Stürmer Kevin Volland in der 20. Minute weggerammt, dafür aber nur Gelb gesehen hatte. Immerhin wies Kircher den fälligen Elfmeter an, den Andrej Kramaric sicher zum 1:0 für die Hoffenheimer verwandelte.

Rosen sagte nach dem 3:1-Sieg der Hoffenheimer in Hamburg nur, der Referee sei "innovativ" gewesen. Er habe halt schon die neue Regel angewandt, die vom 1. Juli an gelten soll. Dann nämlich soll die Dreifachbestrafung (Elfmeter, rote Karte, Sperre) aufgehoben werden, was die meisten Fußballer begrüßen. Und auch Julian Nagelsmann, 28, war "weit entfernt davon, eine rote Karte zu fordern" - zumal das Fach Regelkunde, wie er süffisant anmerkte, sein schwächstes bei der gerade abgeschlossenen Ausbildung zum Fußballlehrer gewesen sei. Er hatte aber auch nichts dagegen, dass es in der 22. Minute einen indirekten Freistoß für die TSG sechs Meter vor dem HSV-Tor gab, weil Kircher befand, Hamburgs Verteidiger Matthias Ostrzolek habe die Kugel gezielt zu Schlussmann Adler zurückgespielt, der den Ball mit der Hand aufnahm - was untersagt ist. Aus dem Freistoß fiel das 0:2 durch Volland.

Nagelsmann, der jüngste Trainer der Bundesliga-Geschichte, ging über die diskussionswürdigen Entscheidungen ebenso hinweg wie über den Aufschwung, der ihn Platz drei in der "Nagelsmann- Tabelle" behaupten ließ. Das ist das Tableau, in dem nur jene sieben Ligaspieltage enthalten sind, seit er im Februar den Job des erfolglosen Defensiv-Spezialisten Huub Stevens übernommen hatte. In jenen Partien erwirtschaftete Hoffenheim 13 Punkte, mehr erspielten seither nur die Branchenriesen FC Bayern und Dortmund.

31 HSV-Punkte reichen nicht, um den Sommerurlaub zu buchen

Die Nordbadener, deren Vision seit den seligen Zeiten mit dem Aufstiegstrainer Ralf Rangnick das offensive, frische Spiel nach vorne war, haben mit der Handauflegung Nagelsmanns alles zurückbekommen, was verloren gegangen war: Selbstbewusstsein, Spielfreude, taktisches Geschick. Man fragt sich, weshalb der Klub nach den Trainer-Fehlgriffen 2012 (Babbel und Kurz) mit Stevens erneut einen Übungsleiter verpflichtet hatte, der zum Projekt so gut passte wie ein Mathelehrer, der Deutsch unterrichten soll.

Dabei hatte Nagelsmann, der auch beim einst in Hoffenheim tätigen HSV-Direktor Bernhard Peters ausgebildet wurde und die alte Hoffenheimer Schule verkörpert, am Samstag nicht mal einen "Sahnetag" seines Teams gesehen. Seine Spieler, fand er, hätten die großen Räume, die ihnen der HSV zur Verfügung stellte, "schlecht bespielt". Hätte nicht Hoffenheims Torwart Oliver Baumann einen Tag erwischt, der "nahe an der Weltklasse" war, wie der Coach urteilte, hätten wohl einige der 24 HSV-Schüsse ins Ziel gefunden. In der 60. Minute fischte Baumann einen Schuss von Gregoritsch aus fünf Metern aus dem Eck (es wäre das 2:2 gewesen); auch einen Kopfball von Cléber (67.) wehrte er ab.

Stattdessen erzielte die TSG, die vom drängenden, ein bisschen altenglisch mit weiten Bällen agierenden HSV weit in ihre Hälfte gedrängt wurde, durch ein Kontertor von Eduardo Vargas das 3:1. Natürlich lobten die TSG-Profis anschließend erneut die Arbeit ihres blutjungen Chefs: "Wir spielen wieder ganz anderen Fußball und gehen vorne drauf", schwärmte Volland, der nach langem Tief mit Schwung und Lust dem Gegner wegläuft. Und Baumann hob hervor: "Er gibt uns eine klare Richtung vor, lässt uns aber auch Freiräume." Dass der neue Anleiter, so Baumann, zuweilen "komplizierte Dinge" verlange, werden alle hinnehmen, solange es so gut läuft.

Der Hamburger SV, der schon weit entfernt zu sein schien von den Abstiegsregionen, ist nun mit nur noch vier Punkten Vorsprung wieder im Sog nach unten. Der Umgang mit den Chancen war aus Hamburger Sicht, trotz des herausragenden Baumann, "fahrlässig", wie Hunt feststellte. Und Ostzrolek deutete die 31 HSV-Punkte realistisch: "Das reicht nicht, um schon den Urlaub zu buchen."

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