Tschechien:Der Papagallo schießt wieder

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Zeichen der Verzweiflung: Die Tschechen sind wild entschlossen, den angeschlagenen Milan Baros gegen Italien spielen zu lassen.

Christian Zaschke

Sie haben alles dafür getan, dass er nicht zu sehen ist. Wieder einmal hängen die grauen Planen rund um den Übungsplatz der tschechischen Mannschaft, wieder einmal hat Nationaltrainer Karel Brückner ein Geheimtraining angesetzt.

Milan Baros beim Training, im kurzen Höschen. (Foto: Foto: AFP)

Hinter den Planen, so wird kolportiert, läuft er wieder: "Baros ist dabei", diese Kunde verbreitet sich schnell unter den Journalisten, und als nach eineinhalb Stunden die Plane am Eingang des Trainingsplatzes gelüftet wird, ist zu sehen, dass es tatsächlich stimmt: Milan Baros steht auf dem Platz, er zieht sich gerade die Fußballschuhe aus. Dann zupft er sich die Socken von den Füßen, setzt sich auf den Rasen und befühlt den Fuß, der die tschechischen Fußball-Fans seit etwas mehr als zwei Wochen beschäftigt.

Erstmals seit 16 Tagen hat Baros wieder mit der Mannschaft trainiert, erstmals also seit dem Testspiel gegen Trinidad & Tobago, in dem er sich eine Bänderdehnung an der linken Ferse zuzog. Sah erst gar nicht schlimm aus, aber dann wurde die Verletzung erst nicht besser und dann sogar schlechter.

Bei einer Untersuchung wurde schließlich festgestellt, dass sich Blut in der Ferse gesammelt hatte, womit es unwahrscheinlich geworden war, dass Baros noch einmal bei der WM spielen würde. Ärgerlich zwar, aber einstweilen zu verschmerzen.

Nachdem Baros seinen Fuß eine Weile betastet hat, steht er auf und beginnt, barfuß um den Platz herumzulaufen. Er hat die kurze Hose noch aufgekrempelt, so dass sie kürzer als kurz ist, Baros sieht aus wie ein italienischer Papagallo, der prüfend den Strand abschreitet. Einmal liegt ein Ball im Weg herum, und Baros drischt ihn über den Platz. Schießen kann er also schon wieder.

Mittlerweile ist er vom Verletzten, auf den man zur Not auch ein paar Spiele verzichten kann, zur Hoffnung des tschechischen Teams geworden. Sein Sturmpartner Jan Koller ist nach einem Muskelfaserriss im Oberschenkel frühestens im Achtelfinale wieder einsatzbereit, dessen Ersatz Vratislav Lokvenc ist nach zwei gelben Karten gesperrt, und Marek Heinz, eine Art Ziehsohn von Trainer Brückner, ist ein technisch versierter Spieler, er würde jedoch in einer Wahl zum torungefährlichsten Stürmer der Neuzeit jederzeit selbst anerkannte Koryphäen auf dem Gebiet wie Carsten Jancker oder "Stolper-Harry" Ellbracht locker hinter sich lassen.

Nun ist Baros auch nicht gerade als Vollstrecker vor dem Tor bekannt, aber in der jetzigen Lage wird darüber hinweggesehen.

Als Baros genug gelaufen ist, beginnt er mit Liegestützen. Schnell drückt er sich immer wieder nach oben, als wolle er energisch zeigen, wie viel Kraft er hat. Anschließend rollt sich Baros auf den Rücken und beginnt mit Sit-ups, erst rechts, wieder in energischen Bewegungen, dann links.

Doch ein Spieler, der über zwei Wochen nicht am Mannschaftstraining teilnimmt, ist nicht fit. Optimal wären zur Vorbereitung zwei, drei Einsätze, allmählich länger werdend, um wieder fit für ein ganzes Spiel zu werden.

Dafür aber ist keine Zeit, es geht im Spiel gegen Italien bereits um alles, und deshalb wird Brückner, wenn er nur im Geringsten glaubt, dass es etwas bringt, Baros aufstellen. "Es besteht immerhin die Chance, dass Milan fit wird" sagte er.

Baros schlendert vom Platz, nachdem er seine Übungen absolviert hat, und erstmals seit Wochen äußert er sich wieder zu seiner Situation. "Ich bin noch nicht wieder bei 100 Prozent", sagt er, "ich weiß nicht, ob es reicht."

Die Zeit ist knapp, am Donnerstag steht das Spiel gegen Italien an, und nur ein Sieg würde das sichere Weiterkommen aus eigener Kraft bedeuten. "Wir müssen jetzt abwarten, wie der Fuß reagiert", sagt Baros. Noch sei die Verletzung sehr schmerzhaft, erzählt er und fügt an: "Wenn es nicht eine WM wäre, würde ich sagen: Tut mir leid, aber es geht nicht. Die Situation ist aber schwierig, und ich will der Mannschaft helfen."

Ein wenig Hoffnung

Es ist natürlich fraglich, inwieweit ein angeschlagener Stürmer den Tschechen gegen eine abwehrstarke Mannschaft wie Italien helfen kann. Der unbedingte Wille, den verletzten Baros einzusetzen, muss wohl als Zeichen von Verzweiflung gedeutet werden.

Die Tschechen waren in der WM-Qualifikation eine der offensivsten Mannschaften Europas; sie spielten gern mit zwei Stürmern und drei offensiven Mittelfeldspielern, doch nun ist diesem offensiven Team der Sturm abhanden gekommen.

Zunächst hat Brückner reagiert, indem er lediglich einen Stürmer aufstellte. "Wie wir diesmal spielen, hängt davon ab, welche Spieler zur Verfügung stehen." Es hängt also davon ab, ob Baros zur Verfügung steht.

Es könnte Karel Brückner und der Mannschaft ein wenig Hoffnung geben, dass Baros' erstes Mannschaftstraining auf ein besonderes Jubiläum fiel. Genau 30 Jahre zuvor, am 20. Juni 1976, haben die Tschechen die Europameisterschaft gewonnen (5:3 nach Elfmeterschießen gegen Deutschland). Das könnte eine Art Omen sein. Es könnte allerdings, was wahrscheinlicher ist, bloß ein netter Zufall sein.

© SZ vom 21.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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