Triathlon:Am Ende der Täler

Ironman World Championship

"Um sich in der Weltspitze nur um ein, zwei Prozent zu verbessern, muss man oft das Doppelte und Dreifache investieren": Anja Beranek.

(Foto: Bruce Omori/dpa)

Anja Beranek wurde umgefahren, sie wollte aufhören - ihr vierter Platz beim Ironman ist ein Sieg über frühe Enttäuschungen.

Von Johannes Knuth

Sie ähnele ein wenig einem Dieselmotor, hat die Triathletin Anja Beranek einmal über sich selbst gesagt. Es dauere ein wenig, bis sie warmgelaufen ist. Aber dann . . .

Anja Beranek, 31, aus Fürth schaut jetzt noch einmal auf die vergangenen Tage, die durchaus schlechter hätten laufen können. Sie schaut auf den Ironman, den sie vor einer Woche auf Hawaii hinter sich gebracht hat, in der Urzelle ihres Sports, 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42 Kilometer Laufen. Sie hat dann ein paar Tage Urlaub drangehängt, Schnorcheln, mit Delfinen schwimmen, was man eben so macht, wenn man schon mal vor Ort ist. Die Reise nach Kona erinnere sie auch daran, "warum ich diesen Sport mache. Ich bin gerne den ganzen Tag draußen, lerne Land und Leute kennen", sagt Beranek. Umso schöner sei es, wenn man die Erinnerungen mit einem Erfolg im Jetzt verknüpfen kann. Beranek ist vor einer Woche Vierte geworden auf Hawaii, es war der bislang wohl wertvollste Ertrag ihrer Karriere, der fast vom Erfolg der deutschen Männer verschluckt wurde. Nur Vierte? Ach was, sagt Beranek, sie sei "super-happy". Mit Hawaii verhielt es sich bei ihr bis zuletzt ja wie mit ihrer Karriere: Es dauerte ein wenig, bis sie an Fahrt aufnahm, aber dann . . .

Inzwischen prüft Beranek auch das Gewicht der Schnürsenkel

Beraneks Erfolg erzählt einiges darüber, warum die Deutschen in diesem zehrenden Ausdauerdreikampf gerade so sehr reüssieren. Und vor allem erzählt er davon, dass es sich lohnt, auch in den größten Enttäuschungen nach etwas Positivem zu wühlen. Zwei Mal war Beranek vor diesem Jahr in den Ausdauerklassiker auf Kona eingetaucht, zwei Mal strandete sie. Das erste Mal lagerte sie ihre Trinkflaschen im Kühlschrank, als sie die Flasche dann an einer Verpflegungsstation abholte, war sie umhüllt von Kondenswasser. Kurz darauf flutschte Flasche samt Energiereserven aus der Halterung, Beranek rollte auf der Radstrecke aus wie ein Auto mit leerem Tank. Und beim zweiten Mal, vor drei Jahren, rieb sie sich so lange in den Mühen der Qualifikation auf, dass sie "körperlich durch" war, als sie auf Hawaii eintraf. Sie schritt durch weitere Täler, 2014 wurde sie von einem Staffelfahrer umgefahren, als sie beim Klassiker in Roth gerade führte; wenige Wochen später wurde sie trotzdem Dritte bei der Halbdistanz-WM. Aber das Laufen war "ein totales Desaster", erinnert sich Beranek, sie beschloss: "Ich beende meine Karriere."

Die Langstrecke ist ein tückisches Geschäft. Man kann sich noch so gewissenhaft vorbereiten - in den wenigen Rennen, die der Sport einem gewährt, stößt jeder Triathlet in Bereiche vor, die er im Training nicht simulieren kann. Wie bei einer Expedition in unerforschtes Gebiet. Da ist es die Ausnahme, dass ein Plan aufgeht.

Beranek machte dann doch weiter. "Beim Erfolg lässt man auch mal das eine oder andere Problem gut sein", sagt sie, "am meisten lernt man als Sportler ja doch aus dem Misserfolg." Es dauert oft Jahre, bis ein Profi-Triathlet seine körperlichen Fertigkeiten (und Schwächen) kennenlernt, bis er ein Umfeld um sich hochgezogen hat, in dem er an den tausend Kleinigkeiten dieses Sports tüfteln kann, vom Reifenbelag bis zum Gewicht der Schnürsenkel. Beranek übt mittlerweile mit einem Trainer für jede Disziplin. "Um sich in der Weltspitze nur um ein, zwei Prozent zu verbessern, muss man oft das Doppelte und Dreifache investieren", sagt sie. Und: "Man muss auch mal geduldig sein." 2015 fand sie in ihren Sport zurück, sie wurde Dritte in Roth, und jetzt: Hawaii, Platz vier.

Beranek war früh dem Extremen ausgesetzt, sie lacht, wenn sie zurückblendet. Sie war mit ihrer Familie oft in der Natur unterwegs, "der Maßstab bei den Wandertouren war nicht auf mich angepasst, sondern auf meinen Vater". Also wanderte sie tapfer mit. Sie lernte früh die Langstrecke kennen, Roth, die Urzelle des deutschen Triathlons, lag in ihrer Nachbarschaft. Beranek probierte sich auf der olympischen Kurzdistanz, verlor aber die Lust, weil die Verbände beim Radfahren das Windschattenfahren gestatteten. Das widersprach ihrer Vorstellung, sich den Kräften der Natur auszusetzen, alleine. 2007 startete sie erstmals in Roth, sie studierte, arbeitete bald als Diplom-Kauffrau, als Kaderathletin wäre ihre Karriere spätestens jetzt ausgetrudelt. Aber auf der Langstrecke brechen die besten Jahre ab der Ü30-Klasse an, Breiten- und Profisport sind enger verwandt als in anderen Sportarten. 2011 legte sie den Beruf still und glitt ins Profitum über. Sie war bereits mit den finanziellen Ressourcen ausgestattet, auch Breitensportler geben für den Ironman eine mittlere vierstellige Summe aus, pro Jahr. "Hat sich so ein bisschen ergeben", sagt sie.

Und jetzt? Beranek ist 31, "im besten Alter, um den Sport auf höchstem Niveau zu betreiben", weiß sie. Ziele mag sie sich keine stecken, das Materielle hat sie sowieso nie angetrieben. "Man lernt Emotionen kennen, die man in einem normalen Job so nicht hat", sagte sie. "Im Misserfolg sind diese Emotionen sehr negativ, aber man kann auch in wahnsinnige Höhen kommen, so wie jetzt." Wenn man sich nur ein wenig geduldet.

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