Transfers im Fußball:Ganz neu im Angebot: die Rauswillklausel

VfL Wolfsburg v 1899 Hoffenheim - Bundesliga

Will nur noch raus aus seinem Vertrag: Julian Draxler.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Der Fall Draxler zeigt, was Verträge im Fußball noch wert sind. Wichtiger als die Frage, wie lange jemand bei einem Klub bleibt, ist: Wie wird man auseinander gehen?

Kommentar von Ralf Wiegand

Um zu verstehen, welcher Wahnsinn den Fußball befallen hat und in was für einem Klima geschieht, was gerade geschieht, reicht eine kleine Meldung aus Kaiserslautern. Keine großen Namen, keine großen Summen. Der Isländer Jón Daði Böðvarsson, 24, der seit dem vergangenen Winter gerade 15 Mal für den Zweitligisten gespielt hatte, wechselt in die zweite englische Liga. Kolportierte Ablösesumme: drei Millionen Euro. Im vergangenen Winter hatten die Pfälzer den Flügelstürmer noch umsonst von Viking Stavanger bekommen, dann kam die EM, da traf Böðvarsson für diese irren Isländer gegen Österreich - und, schwups, ging es von 0 auf 3 000 000. "Es war schon immer mein Traum, einmal in England zu spielen. Ich bin sehr dankbar für meine Zeit in Kaiserslautern und werde den Klub auch weiterhin verfolgen", ließ Böðvarsson wissen und wanderte weiter zu den Wolverhampton Wanderers.

Ach, Jón, hättest du doch geschwiegen. Gestern wollte er noch "den nächsten Schritt von Skandinavien nach Deutschland" wagen. Morgen kann es der nach China sein. Leider stehen Fußballprofis inzwischen unter dem Generalverdacht des Geschwätzes, wenn sie ihr Engagement auch nur irgendwie anders zu begründen versuchen als mit mehr Kohle. Ehrlich war zuletzt nur Anthony Ujah, der sich bei den Fans von Werder Bremen sinngemäß so verabschiedete: Tut mir leid, ich komme eben aus Afrika und kann mir nicht leisten, jedes Angebot auszuschlagen. Das Angebot kam aus Chinas sportlich bisher eher fragwürdiger Super-Liga.

Was sind Verträge im Fußball noch wert?

Dass Verträge im Fußball das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt werden, ist längst und schon vor dem Fall Julian Draxler eine Binse gewesen - falsch ist es noch dazu. Diese Verträge, die das Ende ihrer Laufzeit selten erreichen, erfüllen genau den Zweck, für den sie geschlossen wurden. In der Ehe zwischen Fußballern und Vereinen wird nämlich die Trennung schon bei der Hochzeit mit verhandelt, es wird nur nicht so gerne drüber geredet. Wichtiger als die Frage, wie lange jemand wo bleibt, ist die Frage: Wie wird man dereinst auseinandergehen? Mit Ausstiegsklausel? Trotz Option? Mit Weiterverkaufsbeteiligung?

Bayer Leverkusen hat gerade ungefähr fünf Millionen Euro nur dafür bekommen, dass der frühere Leverkusener Arkadiusz Milik, nachdem er ein Jahr für Leverkusen kaum gespielt hatte, von Amsterdam nach Neapel transferiert wurde. Leverkusens Beteiligung am fußballerischen Warentermin-Geschäft: 16 Prozent.

Bei Julian Draxler ist lediglich neu, dass er neben einer schriftlichen Ausstiegsklausel über (angeblich) 75 Millionen Euro (greift erst 2017) nach eigenen Angaben auch noch eine Art mündlicher Rauswillklausel verhandelt haben möchte, einen verbalen Sprungbrett-Paragrafen, den Ex-Hops-und-weg-Joker. Sein Arbeitgeber, der VfL Wolfsburg, kann dieser Darstellung nicht folgen und beharrt darauf, dass der Fünf-Jahres-Vertrag frühestens nach zwei Jahren gegen eine Gebühr von eben 75 Millionen Euro aufgelöst werden kann.

Jene Fans, die naiv genug waren zu glauben, dass da ein hoffnungsvoller junger Spieler in ihrem Verein eine Fünf-Jahres-Ära begründen wollte, dürfen sich von Draxler total und von ihrem Verein ziemlich geleimt fühlen. Sie können in Schalke nachfragen, wo Draxler zuvor gespielt hatte und noch bis 2018 "mit Stolz und Leidenschaft" spielen würde, wie auf Plakaten geschrieben stand - wenn er nicht im vergangenen Sommer nach Wolfsburg geflohen wäre. Natürlich mit Schalkes Zustimmung und gegen einen entsprechenden Preis.

Der Wahnsinn hat System

Das alles ist inzwischen so peinlich, dass gerade eine neue Mode im Geschäft einreißt: Klubs erklären nun auch die Laufzeit von Arbeitsverhältnissen zu jenen Inhalten des Vertrags, über die "Stillschweigen" vereinbart wird, so geschehen zum Beispiel gerade beim Transfer von Max Kruse von Wolfsburg nach Bremen. Nun rätseln die Fans dort kaum mehr über die Position, die der Offensivspieler in der neuen Werder-Mannschaft einnehmen könnte, als vielmehr über den Zeitpunkt und die Bedingungen, unter denen er sie wieder verlassen wird.

Der Wahnsinn hat System, und das System spuckt immer absurdere Ziffernketten aus. Früher hat man darüber lachen können, wenn in einen Messi-Vertrag eine Ausstiegsklausel von 100 Millionen Euro aufgenommen wurde. Utopisch! Heute wäre er zu so einem Preis wahrscheinlich morgen schon im Flugzeug nach Irgendwo. Manchester United würde für den Franzosen Paul Pogba sogar 120 Millionen Euro nach Turin überweisen. Und das Lösegeld für Cristiano Ronaldo, um ihn aus Madrid freizukaufen, liegt bei angeblich einer Milliarde Euro - 1 000 000 000. (Messis Preisschild wurde übrigens längst auf 250 Millionen korrigiert.)

Auch Märkte könne überhitzen

Das alles ist gefährlich. Gefährlich für die Glaubwürdigkeit von Vereinen und Spielern, für die Identifikation mit dem Sport und - Achtung, großes Wort - auch für die Moral. In dem Maße, wie der Fußball durch seine Attraktivität Geld en masse akquiriert, sei es von englischen Fernsehsendern, arabischen Scheichs, chinesischen Konzernen oder bayerischen Sportartikel-Herstellern, wird das System korrumpiert. Die Ablösesummen sind inzwischen so hoch und die Wechselmodalitäten so komplex, dass sich der Transfermarkt vom ursprünglich dazugehörigen Sport abzukoppeln scheint.

Die Spieler in Bewegung zu halten, von hier nach da nach dort, immer häufiger ohne erkennbaren sportlichen Sinn - schon das generiert viel zu viel Geld. Allein in Dortmund sind, Ein- und Verkäufe zusammengerechnet, mehr als 200 Millionen Euro nur in diesem Sommer bewegt worden.

Die Beteiligten an diesem riesigen Durchlauferhitzer verweisen gerne auf "den Markt", der die Dinge regele. Doch Märkte können überhitzen, sie können sich aufplustern wie ein Blase, und sie können platzen. Im Fußball wäre es an der Zeit, über Begriffe wie Transparenz und Selbstbeschränkung nachzudenken. Denn wenn das Publikum sich belogen fühlt, weil es nicht mal mehr ahnt, was wirklich gespielt wird, und wenn Vereine durch unmoralische Angebote gezwungen werden, ihre Kaderplanung von einem Tag auf den anderen zu ändern, und sei es für drei Millionen aus Wolverhampton - dann stimmt etwas nicht mehr.

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