Transfers aus der Premier League:Bank of England in der Bundesliga

Transfers aus der Premier League: Michy Batshuayi kam vom FC Chelsea nach Dortmund. Genauer gesagt: Von der Bank des FC Chelsea.

Michy Batshuayi kam vom FC Chelsea nach Dortmund. Genauer gesagt: Von der Bank des FC Chelsea.

(Foto: AFP)
  • Mit Michy Batshuayi, Ademola Lookman und vielen anderen kommen derzeit reihenweise Fußballer aus der Premier League nach Deutschland.
  • Der Trend verdeutlicht eine gewisse Not der Bundesliga: Die allerbesten Spieler von der Insel können sich deutsche Klubs kaum leisten.

Von Jonas Beckenkamp

Der 20. Januar 2018 war für Michy Batshuayi ein erfreulicher Tag, und das lag nicht allein daran, dass sein damaliger Verein FC Chelsea auswärts bei Brighton and Hove Albion 4:0 gewann. Der Belgier Batshuayi erlebte in dieser Partie bis dahin Unbekanntes: Er durfte erstmals, wie es in der Branche heißt, "Premier-League-Luft über 90 Minuten schnuppern". Man muss diese 90 Minuten jetzt hervorheben, wenn man über den mittlerweile in Dortmund aktiven Stürmer berichtet, denn ansonsten erschnupperte Batshuayi in England meistens die Luft auf der Bank.

In eineinhalb Jahren auf der Insel gerade mal eine Ligapartie über die volle Spielzeit - das hat gereicht, um ihn in Dortmund zum Hingucker-Transfer des Winters zu machen. Statt über Aubameyang jubelt Dortmund jetzt über einen 24-jährigen Fußballer, der von der Auswechselbank eines (zugegebenermaßen großen) Premier-League-Klubs kommt. Seine zwei Tore beim Debüt in Köln haben dabei aber eine Entwicklung überlagert, die bei einem Blick auf die Transfer-Aktivitäten der Bundesliga kaum zu übersehen ist: Deutsche Vereine bedienen sich mehr und mehr in England und holen dabei nicht etwa die Eins-A-Leute, sondern eher Spieler aus der Kategorie "Ladenhüter".

Spieler wie Batshuayi, der in London Lücken füllte, wenn den Kollegen Morata, Hazard oder Pedro mal die Achillesfersen weh taten. Jetzt ist er von Chelsea bis Saisonende an den BVB ausgeliehen. Genauso gestaltet sich das Arbeitspapier von Ademola Lookman, den der FC Everton nach exakt null Premier-League-Einsätzen über 90 Minuten in Leipzig parkt. Auch der Engländer traf gegen Gladbach gleich bei erster Gelegenheit in der Bundesliga - und erinnerte dabei an weitere aus England angereiste Fußballer: Die Herren Havard Nordveidt (von West Ham zu Hoffenheim), Bartosz Kapustka (Leicester zu Freiburg), Yuning Zhang (Bromwich zu Bremen) oder Ron-Robert Zieler (Leicester zu Stuttgart).

Oder die Herren Viktor Fischer (Middlesbrough zu Mainz) und Ryan Kent (Liverpool zu Freiburg), die von diversen Abstellgleisen im Mutterland des Fußballs in die Bundesliga kamen, kein Glück fanden und nun wieder schon ganz andere Luft atmen. Und zwar außerhalb Deutschlands.

All diese Inselhopper eint, dass sie im Vereinigten Fußballkönigreich keine ganz so großen Nummern waren. Man könnte zugespitzt sagen: Sie waren allerhöchstens die Bank von England. Trotzdem scheinen die Verantwortlichen in Deutschland mit ihren Shoppingerfolgen bei Englands Hinterbänklern hochzufrieden zu sein. "Wir haben in Aubameyang einen außergewöhnlichen Stürmer verloren und jemanden gewonnen, der Abschlussqualität hat", befand etwa BVB-Trainer Peter Stöger über Batshuayi, ein "richtig guter Junge" sei er. So gut, dass er beim FC Chelsea auch die Tribüne recht gut kennenlernte. Einerseits.

Andererseits lässt sich die neue Transferoffensive der deutschen Klubs in England auch als Kniff in komplizierten Akquisezeiten interpretieren: Vielleicht hat die Bundesliga einfach eine Nische entdeckt, in der für überschaubares Geld Fußballer mit gewissen Qualitäten zu haben sind. Letztlich sind sie beim BVB wohl froh, zu diesem schwierigen Zeitpunkt im Winter überhaupt jemanden gefunden zu haben - und das für eine Leihgebühr von 1,5 Millionen Euro. Die allerbesten Spieler von der Insel können sich deutsche Vereine sowieso kaum leisten.

Begeisterung für Auswechselspieler

Das Loch hinter 159-Tore-Mann-Aubameyang musste schnell gestopft werden und sicherlich spielt bei der "Ad-hoc"-Begeisterung für seinen Nachfolger der Verdruss über die Spirenzchen des Gabuners eine Rolle. Aber dass Batshuayi, der sich in England de facto nicht durchsetzen konnte, gefeiert wird wie ein Toptoptop-Transfer (Sportdirektor Michael Zorc schwärmt auf der BVB-Homepage von einer bestechend "hohen Torquote"), ist bemerkenswert.

Ähnliche Umstände eines Winterwechsels offenbaren sich in Leipzig. Dort mussten sie auf den längeren Ausfall von Emil Forsberg reagieren - und fanden: Lookman, den 20-jährigen Juniorenweltmeister mit dem Schuhproblem beim Debüt (bis zu seinem Treffer war er mehr herumgerutscht als gelaufen). "Es war nicht nur ein Last-Minute-Transfer, sondern ein Last-Second-Transfer", sagt Sportdirektor Ralf Rangnick nicht ohne Stolz. Lookman ist zwar ein vielversprechner Raser für die linke Seite, in der Premier League brachte er es diese Saison in sieben Einsätzen trotzdem nur auf 152 Minuten Spielzeit. Die Erwartungen an ihn sind beträchtlich, in Leipzig sollen sie sogar eine Kaufoption für den gebürtigen Londoner besitzen.

"Lassen sie mich hier erstmal ankommen und Fußball spielen", sagte Lookman, "ich will mich in der Bundesliga durchsetzen, Spaß haben, der Mannschaft und dem Klub helfen." Ob er mit einem längeren Verbleib in der Bundesliga rechnet, daran darf man zweifeln, schließlich wollen Engländer meist da spielen, wo es englische Luft zum Atmen gibt: in der Premier League. Lookman erklärte deshalb: "Kein Mensch weiß, was in fünf Monaten ist."

Überschaubare Erfahrungswerte wie jene neun Einsätze von Ron-Robert Zieler in der vergangenen Saison für Leicester oder jene Nullkommanull des Freiburgers Kapustka reichen derzeit aus, um von der Bundesliga als hip und cool und darüber hinaus als verpflichtenswert eingestuft zu werden. Dass gleichzeitig seit einigen Jahren die Aubameyangs, Kolasinacs, Sanés, Chicharitos, Firminos oder De Bruynes als Spitzenpersonal über den Ärmelkanal machen, illustriert die schwindende Attraktivität und Kaufkraft der Bundesliga. Der Trend zum Bankspieler aus England, der mit Bojan Krkics Wechsel nach Mainz (er kam aus Stoke und war bald wieder weg) im Winter 2016 seinen Anfang nahm, muss sich erst noch als Erfolgsversprechen beweisen.

Prominent funktioniert hat es bisher in Deutschland nur einmal: Mit Nabil Bentaleb holte Schalke 2016 einen Profi aus der Abstellkammer von Tottenham Hotspur, dessen Knieverletzung ihn dort aus dem Kader purzeln ließ. Seither hat der Algerier, immerhin 19 Millionen Euro teuer, mächtig hineingeschnuppert in die Bundesliga. Er gehörte vergangene Saison zu den besten Schalkern und findet gerade nach einer erneuten Verletzungspause zurück ins Team von Trainer Tedesco.

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